Der Aufwerten-

User-Guide

Hier steht der zweiseitige User-Guide zur Erklärung der Handhabung und Inhalte von AUFWERTEN zum Herunterladen bereit. Darin wird speziell für PädagogInnen geschildert, wie die Plattform funktioniert und aufgebaut ist. In diesem Informationsblatt wird anhand eines theoretischen Anwendungsfalles dargestellt, wie man die Seite einsetzen kann, wie die Materialien verwendet werden können und auf welchen Bereichen von AUFWERTEN welche Inhalte auffindbar sind.

Kurzinformationen

für Lehrer_innen

Afghanistan

Politischer und historischer Hintergrund:

Afghanistan bildete über Jahrhunderte das östliche Randgebiet persischer Reiche. Paschtunische Stammesgruppen wanderten vermutlich erst während des Safawiden-Reiches aus Zentralasien (Khorasan) in das heutige Afghanistan ein. Wie in anderen Teilen des Iran war der tribale Nomadismus kein immer schon existierender Faktor. Vielmehr wurden viele Regionen mit sesshaften Bodenbauern erst durch die Verwüstung von ganzen Landstrichen im Zuge der Invasionen der Mongolen und Timuriden von Nomaden besiedelt. Zu den nomadischen Stammesbevölkerungen, die seither große Teile des Südens Afghanistans dominierten, gehören u.a. die Paschtunen, die heute die größte ethnische Gruppe des Landes bilden.

Das heutige Afghanistan ist allerdings kein Nationalstaat der Paschtun_innen, sondern ein ethnisch wie religiös sehr heterogenes Land. Während die Paschtun_innen im Süden und Südosten des Landes dominieren, dominieren im Norden persischsprachige ethnische Gruppen, wie die Tajik_innen, Aimak, Qizilbasch oder die schiitischen Hazara. Dazu kommen im Pamir verschiedenen kleinere iranischsprachige pamirtajikische Gruppen, deren Sprachen oft nur in einem einzigen Tal gesprochen werden. Ebenso vielfältig ist die ethnische und sprachliche Landschaft in Nuristan, wo verschiedene kleine Sprachgruppen leben, die seit ihrer gewaltsamen Islamisierung 1895/96 nicht mehr unter dem bis dahin gebräuchlichen Begriff der Kafiren („Ungläubige“), sondern als Nuristani („Bewohner des Land des Lichts“) zusammengefasst werden. Insgesamt 6 verschiedene Sprachen mit insgesamt etwa 30.000 Sprecher_innen werden unter diesem Begriff zusammengefasst. Während all diese Sprachen zu den iranischen Sprachen der großen indoeuropäischen Sprachfamilie zählen, also miteinander verwandt sind, sprechen die Usbeken und Turkmenen im Norden des Landes Turksprachen, während die Brahui eine drawidische Sprache sprechen. Das zu den mongolischen Sprachen zählenden Mogholi ist mittlerweile fast verschwunden. Die Nachkommen dieser Bevölkerungsgruppe sprechen heute wie die Tajiken, Hazara, Aimak und Qizilbasch das Persische Afghanistans, genannt Dari.

Religiös ist Afghanistan nicht weniger vielfältig. Es dominiert zwar der sunnitische Islam. Die Hazara und einige kleinere Gruppen sind allerdings Schiit_innen und gehören als 12er-Schiiten jener Form des schiitischen Islams an, die auch im Iran, Irak, Bahrain und Aserbaidschan dominiert. Viele Pamirtajik_innen sind ismailitische Schiit_innen, also Angehörige einer anderen Form des schiitischen Islams. Daneben gibt es auch noch Sikhs. Von den einst zahlreichen jüdischen Gemeinden blieb nur noch eine Synagoge in Kabul als Zeuge mit einem einzigen letzten Juden.

Schiit_innen und Sikhs waren immer wieder Diskriminierungen von Sunnit_innen ausgesetzt. Ganz besonders traf dies allerdings auf die Hazara zu, die zudem noch als Nachkommen der Mongolen sich sichtbar von anderen Afghanen unterscheiden und oft bis heute doppelt diskriminiert werden. Besonders prekär war deren Lage in der Zeit der Taliban.

Die afghanische Staatlichkeit ist v.a. mit den Paschtunen verbunden. Ab 1729 ergriff ein paschtunischer Clan, die Abdalis, unter ihrem Khan Ahmad Schah die Gelegenheit, sich von Kandahar aus unabhängig zu machen. Zwar existieren über die Anfänge des 1747 von Ahmed Schah errichteten Durrani-Reiches unterschiedliche Versionen. Sie stimmen aber darin überein, dass er von einer loya jirga, einer großen Ratsversammlung der paschtunischen Stämme, zum Anführer gewählt worden war. Diese Vorstellung von der loya jirga spielt für den afghanischen Nationalmythos bis heute eine wichtige Rolle. Sie erhebt Ahmed Schah zum mythischen Reichsgründer, verdeutlicht jedoch zugleich, dass der afghanische Staat von Anfang an als paschtunische Stammesföderation und nicht als moderner Nationalstaat konzipiert war.

Feste Grenzen erhielt das Durrani-Reich erst durch die Konflikte mit den expandierenden Kolonialmächten Russland und Großbritannien, die Afghanistan im Zuge des „Great Game“ als Pufferstaat zwischen den eigenen Einflusssphären dulden mussten, nachdem Versuche die Territorien Afghanistans zu erobern gescheitert waren.

Der ländliche Raum blieb lange von den verschiedenen Stammesstrukturen geprägt. In Kabul konnte sich mit neuen Bildungsinstitutionen, wie der 1931 gegründeten Universität von Kabul, allerdings eine Schicht gebildeter Afghan_innen entwickeln, die nicht mehr ausschließlich in tribalen Kategorien dachte, sondern zunehmend eine Modernisierung des Staates anstrebte. Die Universitäten brachten nicht nur eine Elite für die die Verwaltung der Monarchie hervor, sondern auch eine linke Opposition zu den erstarrten politischen und gesellschaftlichen Strukturen.

Bereits 1957 gründete Babrak Karmal unter dem Decknamen „Marid“ zusammen mit anderen Studenten eine kommunistische Gruppe unter dem Namen Parcham (Fahne). Ende 1962 lernten sich Karmal und Taraki kennen, der später mit Hafizullah Amin die Marxistische Gruppe namens Khalq (Volk) gründete. Beide Gruppen bildeten auch nach der Gründung der Hizb-i-Dimukratik-i-Khalq Afghanistan (Demokratische Volkspartei Afghanistans, DVPA) mit 31 Gründungsmitgliedern 1965 rivalisierende Fraktionen innerhalb der Partei.

Aus dem Kreis um die DVPA gingen jedoch auch andere moderne Parteien hervor. Insgesamt war das Klima unter den Student_innen der Kabuler Universität in den 1970er-Jahren von scharfen Auseinandersetzungen zwischen islamistischen und linken Gruppen geprägt, wobei auch linke Splittergruppen zunehmend in Auseinandersetzungen untereinander verwickelt waren. Die linken afghanischen Student_innen kamen dabei auch zunehmend mit europäischen linksradikalen Student_innen in Kontakt, die Afghanistan seit dem Ende der 1960er-Jahre gemeinsam mit Hippies als Reiseziel entdeckten.

Bereits am 16. Juli 1973 putschte sich Mohammad Daud, der „rote Prinz“, der zehn Jahre zuvor – nicht zuletzt aufgrund seiner Sympathien mit der Sowjetunion – als Premierminister abgesetzt worden war, an die Macht und setzte damit der Monarchie ein Ende. Allerdings brach sein Bündnis mit der DVPA, die sich zunehmend in einen Machtkampf mit der republikanischen Regierung Dauds verwickelte. Nach der so genannten „Saur-Revolution“ vom April 1978, die de facto ein Putsch der DVPA gegen Daud darstellte und die in Eigenverantwortung der DVPA durchgeführt wurde und selbst in Moskau für Überraschung sorgte, versuchten die neuen Machthaber mit eiserner Faust eine nachholende Entwicklung des Landes zu erzwingen.

Der in internen Machtkämpfen siegreiche Khalq-Flügel der Partei fokussierte dabei auf eine Bodenreform, ein fortschrittliches Ehe- und Familienrecht und die Alphabetisierung des Landes. Mit dem Dekret Nr. 6 der neuen Regierung wurde bereits am 12. Juli desselben Jahres die Landreform eingeleitet, Dekret Nr. 7 vom 17. Oktober verbesserte die Rechte von Frauen in der afghanischen Gesellschaft. Bereits vor der Revolution wurde mit der Gründung der Demokratischen Frauenorganisation von Afghanistan (Sazmani Dimukratiki Zanani Afghanistan) ein wichtiger Akzent gesetzt. Die Organisation sollte jedoch nicht als eigenständige Frauenbewegung fungieren, sondern als Brücke zur späteren Einbindung der Frauen in die DVPA.

Vor allem die ländliche Bevölkerung konnte nicht mit der Reformgeschwindigkeit der neuen Regierung mithalten und wehrte sich gegen die autoritäre Durchsetzung der neuen Politik, insbesondere gegen die Landreform, die mit den traditionellen Vorstellungen von der Unantastbarkeit des Landbesitzes kollidierte. Bereits im Oktober brachen erste Aufstände in der Provinz Nuristan aus. Die Regierung unter Nur Mohammad Taraki reagierte mit scharfer Repression. Zudem wurden die Beziehungen zur KPdSU intensiviert um der Bedrohung durch die Rebellen wie auch den Gegnern innerhalb der eigenen Partei entgegenzuwirken. Mit Jahresende wurde jener afghanisch-sowjetische Freundschaftsvertrag unterzeichnet, der schließlich den rechtlichen Rahmen für den sowjetischen Einmarsch ein Jahr später darstellte.

Nach weiteren regionalen Aufständen gegen die Landreform und die Säkularisierung bildete sich am 5. August 1979 eine gemeinsame Oppositionsfront verschiedener islamistischer Gruppen zusammen mit einer maoistischen linken Gruppe. Die Probleme der DVPA beschränkten sich jedoch nicht nur auf den Widerstand der ländlichen Bevölkerung und der Maoisten, sondern führten  zur Eskalation interner Machtkämpfe, die im September zur Ermordung Präsident Tarakis führten und den Leiter der Geheimpolizei Hafizullah Amin für einige Monate an die Macht brauchten, der die Aufstände mit besonderer Brutalität zu unterdrücken versuchte. Am 25. Dezember 1979 marschierten schließlich sowjetische Truppen in Afghanistan ein und richteten Amin am 27. Dezember hin um Babrak Karmal an die Macht zu bringen, der zu einer Deeskalation des Bürgerkrieges beitragen hätte sollen.

In der Realität führte der sowjetische Einmarsch und der Sturz der „Extremisten“ um Hafizullah Amin jedoch nicht zur Deeskalation, sondern zur weiteren Verschärfung des Bürgerkriegs. Hatten Pakistan und die USA bereits zuvor islamistische Guerillagruppen gegen die DVPA-Regierung unterstützt, so ermöglichte nun die direkte Beteiligung der Sowjetunion eine offene Schwächung des Feindes im Kalten Krieg. 1989 musste die Sowjetunion schließlich abziehen. Die Regierung unter Präsident Mohammed Nadschibullah konnte sich nur noch bis 1992 halten, als die Mujahedin in Kabul einmarschierten.

Die Politisierung der Stämme ist primär ein Resultat des gescheiterten Autoritarismus des DVPA-Regimes und des Kriegs gegen die sowjetischen Invasionstruppen bzw. der Unterstützung, die dieCIA und der pakistanische Geheimdienst ISI, Saudi-Arabien und China den islamistischen Mujahedin-Gruppen und später den Taliban zukommen ließ. Die einzelnen Mujahedin-Fraktionen bauten trotz ihrer „gesamtafghanischen“ Ansprüche primär auf einzelne ethnische Gruppen bzw. Clans, die sie unterstützten. Damit verbunden war eine extreme Zersplitterung des Landes unter unterschiedlichen Warlords, die in Allianzen mit „Stammesführern“ ständig wechselnde Territorien beherrschten. Erst mit der Machtübernahme der Taliban, die 1996 mit dem Einmarsch in Kabul abgeschlossen war, kehrte nicht nur die Vorherrschaft der Paschtunen wieder, sondern auch eine gewisse „Rechtssicherheit“ unter der drakonischen Herrschaft einer Mischung aus Sharia und paschtunischem Gewohnheitsrecht, dem so genannten Paschtunwali.

De facto blieben diese Elemente der Taliban-Rechtssprechung auch nach dem Sturz der Taliban 2001 in Kraft. Afghanistan definiert sich auch heute als islamische Republik, in der das „islamische Recht“ als Richtschnur der Gesetzgebung gilt, auch wenn heute etwa keine Todesurteile gegen Homosexuelle oder Ehebrecher_innen mehr von Seiten der Regierung vollstreckt werden.

Die Taliban waren allerdings mit der Besetzung Afghanistans durch die US-Truppen und ihren Verbündeten nicht geschlagen, sondern lediglich abgedrängt worden. In den folgenden Jahren konnten sie wieder v.a. ländliche Gebiete erobern. Zu den Taliban selbst kamen noch andere islamistische Guerillagruppen hinzu.

Auch das neue Regime konnte nicht als wirklich demokratisch betrachtet werden. Die Präsidentschaftswahl vom 20. August 2009 war von massiven Wahlfälschungen zugunsten des Amtsinhabers Karsai begleitet. Wahlbeobachter der EU schätzten, dass jede 4. Stimme gefälscht wurde. Erst 2014 wurde dann Aschraf Ghani neuer Präsident.

Neben den Taliban wurde v.a. der afghanische Ableger des so genannten „Islamischen Staates“ zu einer zunehmenden Bedrohung für die Sicherheit des Landes. Diese Bedrohung durch neue noch extremere Gruppierungen, die eindeutig dem internationalen jihadistischen Terror zuzurechnen sind, bildete den Hintergrund dafür, dass zunächst Russland und später auch die USA eine Verständigung mit den Taliban suchten.

Am 29. Februar 2020 wurde schließlich ein Abkommen zwischen den USA und den Taliban geschlossen, in dem einerseits die Taliban garantierten, dass sie keine internationalen Terrororganisationen wie die al-Qaida mehr beherbergen würden und Friedensgespräche mit der Regierung in Kabul aufnehmen würden und andererseits die USA einen schrittweisen Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan zusagten. Das ist zwar noch kein Friedensvertrag, allerdings ein erster Schritt in diese Richtung.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Innerafghanische Konflikte spielen aufgrund der insgesamt noch geringen Zahl der Afghan_innen in Österreich wohl selten eine Rolle in einer Schulklasse. Allerdings kann es aufgrund der langen Diskriminierungsgeschichte der schiitischen Hazara durchaus vorkommen, dass Konflikte mit sunnitischen Schüler_innen von Hazara im Sinne ihrer langen Diskriminierungsgeschichte konfessionell gedeutet werden.

Afghanische Schülerinnen leiden oft unter extrem patriarchalen Familienverhältnissen, insbesondere dann, wenn es sich um religiös-konservative Paschtunen handelt, die ihren Islam mit einem sehr patriarchalen Gewohnheitsrecht verbinden, das mit dem Freiheitsstreben mancher ihrer Töchter nicht in Einklang zu bringen ist.

Afghanische Schüler sind hingegen oft mit Diskriminierungen und Vorurteilen durch die Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, die im Zusammenhang mit dem negativen Bild stehen, das medial von jungen afghanischen Männern in den letzten Jahren immer wieder gezeichnet wurde.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann.

Sprechen Sie afghanische Mädchen, bei denen Sie Anzeichen von familiären Problemen sehen, im Zweiergespräch einfühlsam darauf an, ob es Probleme gibt und zeigen sie solchen Mädchen, dass Sie bereit sind, sie zu unterstützen. Sollte sich ein solches Mädchen Ihnen anvertrauen und um Unterstützung bitten, stellen sie den Kontakt zu verschiedenen Angeboten für junge Mädchen mit familiären Problemen her. Einige Beratungsstellen bieten auch Workshops und Informationsveranstaltungen für Schulen und Klassen an.

Bei Konflikten zwischen sunnitischen Muslimen und Schiit_innen oder Sikhs ist es wichtig zu erkennen ob es sich um Mobbing handelt oder ob Traumata durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Das individuelle Erleben von Traumatisierten ist auch dann unbedingt ernst zu nehmen, wenn dieses nur getriggert wurde, benötigt jedoch eine andere Reaktion als bei Mobbingerfahrungen. Wenn es konfessionalisierte Konflikte geben sollte, sprechen Sie diese an und holen Sie, wenn nötig, Unterstützung z.B. bei der Schulsozialarbeit, Beratungslehrer_innen oder Religionslehrer_innen.

Literaturempfehlungen:

Said Musa Samimy: Afghanistan. Chronik eines gescheiterten Staates, Berlin, 2017

Ahmed Rashid: Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch, München, 2011

Conrad Schetter: Kleine Geschichte Afghanistans, München, 2004

Autor: Thomas Schmidinger

Antisemitismus

Politischer und historischer Hintergrund:

Antisemitismus, auch Judenhass oder Judenfeindlichkeit genannt, ist so aktuell wie eh und je. Bergmann definiert Antisemitismus folgendermaßen: Beim Antisemitismus handelt es sich „nicht bloß um Xenophobie oder religiöse und soziale Vorurteile“, sondern um ein Phänomen sui generis, „eine antiliberale und antimoderne Weltanschauung, die in der ‚Judenfrage‘ die Ursache aller sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Probleme“ sieht. Antisemitismus ist nicht immer eindeutig erkennbar, da er oftmals unterschwellig und nicht offenkundig geäußert wird.

Es ist wichtig zu wissen, dass Antisemitismus keine Erfindung der Neuzeit ist, sondern seit Jahrhunderten tief in der europäischen Gesellschaft verankert ist und sich seither durch die Epochen der Geschichte in unterschiedlichen Formen hindurchzieht. Die entstandenen Vorurteile und Ressentiments wurden dabei nicht einfach vergessen, sondern übernommen und mit neuen Vorurteilen stetig überschrieben.  Antisemitismus muss daher in seiner Kontinuität verstanden werden, da er sich seit jeher an die Gegebenheiten der Geschichte angepasst und weiterentwickelt hat. Dies macht Antisemitismus zu einem besonders vielschichtigen Problem mit Vorurteilen, die sich nicht nur hartnäckig halten, sondern sich auch widersprechen können. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Formen und Dimensionen des Antisemitismus (vor allem in Europa und spezifisch in Österreich) präsentiert.

Die Wurzeln antijüdischer Ressentiments reichen bis in die Antike und ins Mittelalter zurück. Im Zuge des Ablösungsprozesses des Christentums vom jüdischen Glauben und der daraus resultierenden Konkurrenz der Religionen entstand die erste „Schicht“ antijüdischer Vorurteile. Der sogenannte christliche Antijudaismus bezeichnet die Ablehnung von Jüd_innen aus theologischen Gründen. Im Zentrum der antijüdischen Haltung steht der Vorwurf des Gottesmordes, da Jüd_innen Jesus als Messias verwarfen und somit letztendlich Mitschuld am Tod Jesus tragen sollen.

Mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion in Europa verbreitete sich das antijüdische Gedankengut auch innerhalb der Gesellschaft. Zu den theologischen Vorurteilen kamen erstmals auch wirtschaftliche hinzu, als Jüd_innen aus christlichen Zünften ausgeschlossen und somit in Berufe gedrängt wurden, welche Christ_innen verboten waren. Diese Berufe beschränkten sich meist auf Handel und Geldleihe. So entstand das Vorurteil des „jüdischen Wucherers“ und des „reichen Juden“, obwohl Jüd_innen auch damals schon, als marginalisierte Gruppe, mehrheitlich den ärmeren Schichten angehörten. Diese Mischung aus Vorurteilen machte die jüdische Bevölkerung seit dem Mittelalter zur Zielscheibe feindlicher Übergriffe und Pogrome.

Mit dem Beginn der Epoche der Aufklärung ging auch die Judenemanzipation einher. Jüd_innen engagierten sich zu dieser Zeit vor allem auch politisch in fortschrittlichen Bewegungen (zum Beispiel Liberalismus, Sozialismus), da diese im Gegensatz zu christlich-konservativen Bewegungen, die Integration von Jüd_innen nicht behinderten. So entstand das Vorurteil des „System-umstürzenden Juden“, da diese politischen Strömungen den Status Quo in Frage stellten.

Mit der Abnahme der religiösen Dominanz in Europa und dem Aufkommen der pseudowissenschaftlichen „Rassenlehre“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts, verwandelte sich die religiös geprägte Judenfeindschaft langsam in den traditionellen rassistischen Antisemitismus. Jüd_innen wurden als homogene „Rasse“ definiert und ihnen wurden gesamtheitlich negative Charaktereigenschaften zugeschrieben. Sie wurden nicht nur als verschiedenartig, sondern auch als verschiedenwertig betrachtet. Darüber hinaus wurden sie zum Sündenbock allen Übels in der Welt, vor allem wenn es sich um wirtschaftliche, politische oder kulturell negative Entwicklungen handelte. Die nationalsozialistische Ideologie machte sich diesen Nährboden aus schon existierenden Vorurteilen und Ressentiments gegen die jüdische Bevölkerung zu Nutze. Jüd_innen wurden nicht mehr aus religiösen Gründen verfolgt und ausgegrenzt, sondern aus rassistischen. Der geschürte Hass mündete letztendlich in die Shoah und zum Mord von 6 Millionen Jüd_innen. Der rassistische und ökonomische Antisemitismus ist heute noch tief in der rechtsextremen Ideologie verankert.

Die Geschehnisse des 2. Weltkrieges waren nicht das Ende des Antisemitismus. Die erwähnten Ablehnungshaltungen und Vorurteile sind immer noch prävalent. Weiters mischen sich seit dem 2. Weltkrieg zwei neue Formen des Antisemitismus hinzu. Zum einen ist es der sekundäre Antisemitismus, welcher am besten mit der Floskel „nicht trotz des Holocausts, sondern eben wegen dem Holocaust“ zusammengefasst werden kann und vor allem in Deutschland und Österreich verbreitet ist. Jüd_innen werden dafür verantwortlich gemacht, dass sie an die schmerzlichen Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern und darüber hinaus wird ihnen vorgeworfen, den Holocaust „auszunutzen“, um einen materiellen Nutzen in Form von Entschädigungszahlungen von Deutschland daraus zu ziehen.

Des Weiteren kam mit der Staatsgründung Israels auch ein israelbezogener Antisemitismus hinzu. Vor allem dieser ist oftmals nicht direkt zu erkennen, da hier Israel und nicht das jüdische Volk als vermeintlicher Adressat gilt. Gängige Motive sind eine Gleichsetzung des NS-Regimes mit der Israelpolitik und die Gleichsetzung aller Jüd_innen mit Israelis. Auch der Antizionismus, welcher Israel die Existenz als Staat abspricht, birgt antisemitische Motive. Dieser israelbezogene Antisemitismus kann sich heute durch alle Gesellschaftsschichten ziehen. Teilweise vermischen sich dabei legitime Kritik an der israelischen Besatzungspolitik oder bestimmten anderen israelischen Policies gegenüber Palästinenser_innen mit antisemitischen Argumentationsmustern, was die Abgrenzung von Kritik an israelischer Politik, Antizionismus und Antisemitismus oft erschwert. Gerade bei Schüler_innen aus Herkunftsfamilien aus dem Nahen Osten, die in der Vergangenheit oft starker antiisraelischer Propaganda ausgesetzt waren, ist hier vielfach ein zusätzlicher Gesprächsbedarf gegeben.

Antisemitismus ist damit ein vielschichtiges und komplexes Phänomen. Es gab vor allem seit der Shoah Versuche, Antisemitismus in dieser Komplexität zu definieren. 2017 hat Österreich die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommen, welcher als Leitfaden zur Erkennung von Antisemitismus dienen soll:

Die rechtlich nicht bindende Definition von Antisemitismus liest sich folgendermaßen: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.[…]“

An dieser Definition gibt es allerdings auch wissenschaftliche Kritik, da sie bestimmte Phänomene des Antisemitismus nicht fasst, aber auch zu vorschneller Zuschreibung von Antisemitismus gegenüber antizionistischen Argumentationen führen kann, insbesondere wenn der gesellschaftliche Kontext der jeweiligen Akteure ausgeblendet wird. Die wissenschaftliche Debatte um die genaue Abgrenzung von Antisemitismus insbesondere von Kritik an Israel ist damit bis heute nicht abgeschlossen.

Antisemitische Karikatur

Diese Karikaturen bergen antisemitische Elemente wie zum Beispiel karikaturistische äußere Erscheinungen von Jüd_innen, wie zum Beispiel eine große Nase und Augen oder dicke Lippen. Dies dient vor allem dazu sie als „hässlich“ zu brandmarken, aber perpetuiert vor allem auch den Stereotyp des „gierigen Juden“. Vor allem während des Nationalsozialismus wurden Jüd_innen auch als Tiere dargestellt und somit dehumanisiert. Des Weiteren findet sich viel Propagandamaterial, welche die Jüd_innen als grausame und kriminelle Menschen darstellt.

Viele antisemitische Karikaturen, welche heute stark verbreitet sind, zeigen Jüd_innen als Drahtzieher_innen hinter allem politischen und wirtschaftlichen Geschehen. Oft werden Karikaturen geteilt, in denen ein Jude die „Welt auspresst“ oder in Völlerei zu sehen ist.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Antisemitische Vorurteile und Ressentiments sind auch heute noch tief in der österreichischen Gesellschaft verankert.

Während es einerseits zu offenen antisemitischen Meldungen kommen kann, wie zum Beispiel durch ein Verunglimpfen, Leugnen oder gar Befürworten des Holocausts, kann sich Antisemitismus auch subtiler äußern und muss nicht unbedingt klar erkennbar sein.

Wie oben schon erwähnt, gibt es Formen antisemitischer Israelkritik. Antisemitismus kann sich als Israelkritik tarnen, zugleich wird der Verweis auf Antisemitismus allerdings fallweise auch benutzt, um Kritik an der israelischen Regierung zu delegitimieren.

Das Phänomen „Antisemitismus ohne Jüd_innen“ herrscht immer noch sehr stark vor. Das bedeutet, dass es zu antisemitischen Äußerungen kommen kann, auch wenn sich in der Klasse keine Schüler_innen mit jüdischem Glauben befinden. Daher ist auch dann besondere Achtsamkeit gefordert, wenn in Ihrer Klasse keine Jüd_innen sind. Das Wort „Jude“ wird unter Jugendlichen mitunter als Schimpfwort verwendet.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Falls Sie antisemitische Äußerungen mitbekommen, zögern Sie keinesfalls und sprechen das Thema als solches auch direkt an. Besprechen Sie mit Schüler_innen was Antisemitismus ist und was ihn ausmacht. Es kann hier vor allem helfen, auf die Ursprünge von Antisemitismus aufmerksam zu machen und die unterschiedlichen Dimensionen zu veranschaulichen. Viele Schüler_innen sind sich nicht bewusst, was Antisemitismus ausmacht und wie diverse Ressentiments entstanden sind.

Generell ist es ratsam, mit Schüler_innen die Themenfelder Menschenrechte, Diskriminierung und kritisches Denken zu behandeln, da diese (Wissens-)Kompetenzen auch präventiv wirksam sein können.

Wenn Sie mitbekommen sollten, dass es sich um einen israelbezogenen Antisemitismus handelt, kann es vorteilhaft sein, mit Schüler_innen zu besprechen, was eine fundierte Kritik allgemein ausmacht. Im nächsten Schritt kann dann besprochen werden, wie man fundiert und sachlich kritisieren kann, ohne in antisemitische Vorurteile zu fallen. Da der Nahost-Konflikt ein höchst aktuelles Thema ist und in der Öffentlichkeit zu starker Politisierung führt, ist es wichtig, dieses Thema sachlich anzugehen. Dazu benötigen Sie ein fundiertes Wissen zum Thema.

Literaturempfehlungen:

Deborah Lipstadt/ Stephan Pauli: Der neue Antisemitismus. Berlin, 2018.

Detlev Claussen: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Frankfurt am Main, 2005.

Werner Bergmann: Geschichte des Antisemitismus. München, 2002.

 

Autor_innen: Ronya Alev, Thomas Schmidinger

Bosnien & Herzegowina

Politischer und historischer Hintergrund:

Bosnien und Herzegowina (BH), bis 1991 Teil des Vielvölkerstaates Jugoslawien, liegt auf der Balkanhalbinsel und besteht aus dem größeren, weiter nördlich gelegenen Teil Bosnien und dem deutlich kleineren Teil Herzegowina. In den 90er-Jahren kam es zu einem blutigen Bürgerkrieg, dessen Folgen das Land bis heute noch tief spalten.

Die Bevölkerung setzt sich hauptsächlich aus den drei „Volksgruppen“ der muslimischen Bosniak_innen, orthodoxen Serb_innen und römisch-katholischen Kroat_innen zusammen. Heute hat BH zwei fast-autonome Landesteile (Entitäten), zehn Kantone und das Kondominium, die von allen drei „Volksgruppen“ verwaltete Stadt Brcko. Das Land hat offiziell drei Amtssprachen: Bosnisch, Serbisch und Kroatisch, alle drei Sprachen sind Teil der slawischen Sprachenfamilie und Dialekte des Serbokroatischen. Wichtig ist hier anzumerken, dass sich die drei Sprachen faktisch kaum voneinander unterscheiden. Der offensichtlichste Unterschied der Sprachen ist lediglich in der Schrift zu erkennen, da Serbisch in BH oftmals in kyrillischer Schrift und die anderen beiden Sprachen in lateinischer Schrift geschrieben werden.

Um die deutliche Dreiteilung der Bevölkerung in BH zu verstehen, muss ein Blick in die Geschichte des Landes geworfen werden. Im 12. Jahrhundert wurde zunächst das Fürstentum Bosnien gegründet. Das Gebiet fiel jedoch seitdem unter die Verwaltung unterschiedlicher Regierungsformen und Regimes. So wurde die Region im 15. Jahrhundert vom osmanischen Reich erobert. Während der 400 Jahre langen Herrschaft der Osmanen konvertierte ein Großteil der Bevölkerung zum Islam. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Bosnien dann von Österreich-Ungarn annektiert. Die Spuren des osmanischen, als auch österreichisch-ungarischen Reiches sind noch bis heute in der Hauptstadt Sarajevo zu erkennen.

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie wurde BH Teil des Königreichs „Vereinigten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen“, und später des Königreichs „Jugoslawien“. 1939 kam es zwischen Serb_innen und Kroat_innen zum sogenannten Sporazum – eine Übereinkunft, welche BH in serbische beziehungsweise kroatische Banschaften unterteilte. Das politische System war stark ethnisiert, sprich es kam schon lange vor dem Bosnienkrieg zu einer Ethnisierung der „Volksgruppen“, welche auch zum Zeitpunkt des zZeiten Weltkrieges zu Spannungen zwischen den „Volksgruppen“ führte.

1941 wurde Jugoslawien von deutschen und italienischen Truppen besetzt und BH wurde in den neugegründeten Unabhängigen Staat Kroatien eingegliedert. Der Unabhängige Staat Kroatien wurde mithilfe Deutschlands der Führung der kroatischen Ustascha (Ustaša) übergeben, einer faschistischen Organisation. Nach dem Sieg der jugoslawischen Partisanen unter Josip Broz Tito über die Ustascha wurde die „Volksrepublik Bosnien und Herzegowina“ gegründet, welche als Teilstaat in die Volksrepublik Jugoslawien eingegliedert wurde.

Mit Titos Tod und nach dem Zerfall Jugoslawiens erklärte sich Bosnien und Herzegowina am 1. März 1992 gegen den Willen der Serb_innen als unabhängiger Staat. Dieses Referendum folgte als Antwort auf die schon vollzogenen Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens. Schon kurz davor kristallisierte sich eine Vielzahl an politischen Parteien heraus, welche sich an einer der jeweiligen ethnischen „Volksgruppen“ orientierten. Bei den Abstimmungen zur Unabhängigkeit entschieden sich dann aber 99% der Wahlteilnehmenden für die Unabhängigkeit. Es nahmen jedoch nur bosnische Kroat_innen und Bosniak_innen an den Wahlen teil, während hingegen der serbisch-orthodoxe Teil der Bevölkerung die Wahlen (angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Land) boykottierte. Der Staat wurde binnen kürzester Zeit von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt.

Daraufhin verkündeten die bosnischen Serb_innen die Unabhängigkeit einer Republika Srpska, beanspruchten also die Abspaltung von Bosnien und Herzegowina. Der Unabhängigkeitserklärung folgten Kampfhandlungen, die bosnischen Serb_innen wurden dabei von der jugoslawischen Armee unterstützt und die bosnischen Kroat_innen von Kroatien. Sarajevo wurde von serbischen Truppen belagert und die Hauptstadt war 1420 Tage lang eingekesselt. Auch die anfängliche Koalition zwischen den Muslim_innen und Kroat_innen zerbrach sehr schnell, als letztere nach diversen Gebietsgewinnen die „Kroatische Union Herceg-Bosna“ ausriefen.

Milizen aller drei „Volksgruppen“ bekämpften sich und es kam zu etlichen Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen und Zerstörungen von Kulturstätten, welche selbst die dort stationierten UN-Blauhelme nicht verhindern konnten. Die Lage spitzte sich weitgehend zu, bis es im Juli 1995 zum Massaker in Srebrenica kam, wo serbische Truppen bis zu 8.000 Muslime (Männer und Burschen) ermordeten. Der muslimische Teil der Bevölkerung war besonders vulnerabel, da er, im Gegensatz zu den bosnischen Kroat_innen und Serb_innen, keine Truppenunterstützung von den Nachbarländern erhielt. Jedoch ist anzumerken, dass es in der bosnischen Armee, welche Sarajevo verteidigte, auch Serben und Kroaten gab, welche an der Seite der Muslimen kämpften.

Am 18.03.1994 unterzeichneten die kroatischen und muslimischen Parteien einen Vertrag zur Bildung einer „Föderation von Bosnien-Herzegowina”, ein erster Schritt Richtung Ende der Kampfhandlungen. Sein offizielles Ende fand der Krieg jedoch erst mit dem Vertrag von Dayton am 14. Dezember 1995, nachdem die internationale Staatengemeinschaft in Anbetracht der Gräueltaten in Srebrenica militärisch intervenierte. Der Vertrag sieht Bosnien und Herzegowina als einen einheitlichen Staat mit zwei Entitäten vor, nämlich der „Bosniakisch-Kroatischen Föderation“ und der „Serbischen Republik Bosnien“ und wird von einer dreiköpfigen Präsidentschaft regiert, der jeweils wiederum ein_e Vertreter_in der drei großen „Volksgruppen“ beisitzt. Mit dem Abkommen wurde somit auch die ethnische Dreiteilung im Land festgeschrieben. Die Ethnisierung der Präsidentschaft bedeutet jedoch auch, dass nur Personen der jeweiligen drei anerkannten „Volksgruppen“ das Amt bekleiden können und schließt somit andere Bevölkerungsgruppen aus. Des Weiteren wurden Friedenstruppen unter dem Kommando der NATO stationiert, welche ein erneutes Ausbrechen der Kriegshandlungen verhindern sollten. Außerdem überwacht der Hohe Repräsentant für BH seit 1995 die Einhaltung aller zivilen Aspekte des Dayton-Abkommens. Der hohe Repräsentant repräsentiert hierbei die internationale Staatengemeinschaft (UN) und besitzt die Vollmacht gewählte Politiker_innen zu entlassen und neue Behörden durch Gesetze zu schaffen.

Die Folgen des Krieges, in welchem etwa 100.000 Menschen ihr Leben verloren und 2 Millionen Menschen vertrieben wurden, sind bis heute noch zu spüren. Das Land kämpft mit hohen Arbeitslosigkeitsraten und einer politischen Starre. Außerdem hat sich die Bevölkerungsverteilung in den Jahren des Bürgerkrieges drastisch verändert und die Dreiteilung der Bevölkerung ist heute auch geographisch offensichtlich. Die jeweiligen Volksgruppen leben nun in den Gebieten, welche während des Krieges von „ihren“ Milizen kontrolliert wurden. Diese räumliche Segregation betrifft auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Die Kampfhandlungen kamen zwar schon Mitte der 90er zu einem Ende, der soziale Frieden und die soziale Versöhnung stehen jedoch noch aus.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Schätzungen zufolge haben etwa 90.000 Menschen in Österreich eine bosnische Staatsangehörigkeit. Daher ist es möglich, dass in den Klassen Schüler_innen sitzen, deren Eltern oder Großelternn im Zuge des Bosnienkrieges nach Österreich geflohen sind. Diese können sich entweder als Bosniak_innen, bosnische Serb_innen oder bosnische Kroat_innen identifizieren. Da der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen sowohl in BH als auch in Ex-Jugoslawien noch nicht überwunden ist, kann es auch zu Zwischenfällen zwischen Schüler_innen mit bosnischem Migrationshintergrund kommen .

Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass es zu Zwischenfällen islamfeindlicher Natur kommtn, da Bosniak_innen mehrheitlich Muslime_innen sind.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht. Sollten Sie sehen, dass Konflikte ethnisiert werden oder Schüler_innen aufgrund dieses Themas von anderen Schüler_innen diskriminiert oder gemobbt werden, dann gehen Sie dem Thema nicht aus dem Weg, sondern bringen Sie es zur Sprache. Ebenso ist es wichtig, zu erkennen, ob ethnozentristische, rassistische oder islamfeindliche Motive zum Konflikt unter den Schüler_innen geführt haben. Versuchen Sie den Konflikt zu thematisieren und damit auch zu rationalisieren. Hierbei wäre es zu empfehlen, die Geschichte Bosnien und Herzegowinas und die Existenz und Normalität der unterschiedlichen Konfessionen des Landes zu erklären. Dazu benötigen Sie selbst auch ein entsprechendes Wissen, entsprechende Moderationskompetenzen und Konfliktfähigkeit. 

 

 

Symbolik    

Das Wappen des Unabhängigen Staates Kroatien. Das U steht für Ustascha und ist das zentralste Erkennungszeichen und taucht auch öfters als einzeln stehendes Emblem auf. Der NDH-Ruf lautet „Za dom spremni“ und bedeutet: „Für die Heimat bereit“ und wird heute noch als Gruß innerhalb der Szene verwendet.

Das HOS Emblem ist ein weiteres faschistisches Symbol. HOS steht für Hrvatske obrambene snage, „Kroatische Verteidigungskräfte“ und war eine paramilitärische Organisation, welche während des Bosnienkriegs kämpfte und sowohl aus Kroaten und Bosniaken als auch aus österreichisch und deutschen Neonazis bestand. Sie lehnen sich bewusst an die Ästhetik des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH) an.

Die „Crna legija“ (Schwarze Legion) ist eine Unterorganisation der Ustascha und der HOS.

Literaturempfehlungen:

Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, München 2010.

Noel Malcolm: Bosnia: A short history, New York, 1994

Vedran Dzihic: Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina: Staat und Gesellschaft in der Krise, Baden, 2010.

Xavier Bougarel: Islam and Nationhood in Bosnia-Herzegovina: Surviving Empires, London, 2018.

Autorin: Ronya Alev

Fotos: https://www.no-ustasa.at/allgemein/781/symbole-in-bleiburg/

Extremismus & Abwertungen

Was ist Extremismus?
Das Bundesweite Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung definiert Extremismus folgendermaßen: „Der Begriff Extremismus stammt vom lateinischen Wort ‚extremus´ ab und bedeutet ‚äußerst‘. Extremismus bezeichnet daher eine ‚zum Äußersten‘ hin gerichtete politische, religiöse oder weltanschauliche Einstellung. Eine totale Veränderung des gesellschaftlichen Ordnungssystems wird angestrebt. Dabei ist die Anwendung von Gewalt und Zwang im Extremismus ein legitimes Mittel zur Zielerreichung.“
Extremismus ist kein Begriff, der sozialwissenschaftlich eindeutig definiert ist. Häufig wird in Extremismus-Definitionen der Gegensatz von Extremismus und demokratischen Grundwerten wie etwa den Menschenrechten konstatiert und Extremismus am Rande der Gesellschaft verortet. Damit werden jedoch einerseits Unterschiede zwischen extremistischen Ideologien nivelliert und andererseits extremistische und abwertende Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft vernachlässigt.
Welche Werte und Ideen einer Gesellschaft diametral gegenüberstehen, ist zudem abhängig vom historischen, politischen und sozialen Kontext. So galt etwa die Abschaffung der Sklaverei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder die Einführung des Frauenwahlrechts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kontext ihrer Zeit als radikal und extremistisch.
Was ist Radikalisierung?
Als Radikalisierung wird in der Literatur oft der Prozess beschrieben, der zu (gewalttätigem) Extremismus führt. Was hier allerdings aus dem Blick gerät, ist ein emanzipatorischer Begriff von Radikalisierung, der eine radikale Gesellschaftsveränderung – unabhängig von politischen Systemen – anstrebt. Als radikal könnten somit etwa Demokratiebewegungen in totalitären Staaten oder feministische Bewegungen in patriarchalen Gesellschaften bezeichnet werden. Radikalität ist nicht notwendigerweise dasselbe wie Extremismus, weshalb auch der Radikalisierungsbegriff, der sich in der Literatur eingebürgert hat, durchaus in Frage gestellt wird.
Einig ist sich die Fachliteratur darin, dass das, was mit dem Begriff gefasst wird, ein Prozess und kein plötzliches Ereignis ist. Dieser Prozess verläuft selten linear und kann vielfältige Ursachen haben. Radikalisierungsverläufe sind individuell unterschiedlich. Folgende Gemeinsamkeiten können jedoch in den meisten Fällen festgestellt werden:
1. Bereitschaft für die Annahme extremistischer Ideologien, hervorgerufen durch Erfahrungen von Unmut, Konflikt, Unzufriedenheit; es kann sich sowohl um einen individuellen Identitätskonflikt handeln als auch um soziale, gesellschaftliche Faktoren wie Diskriminierung, Rassismus, politische oder soziale Spannunge,n
2. Einbindung in Sozial- und Gruppenprozesse, Erfahrung einer „solidarischen Gemeinschaft“
3. Annahme einer extremistischen Ideologie: Identifikation von Schuldigen, Konstruktion von „Wir“ und „die Anderen“
Was macht extremistische Gruppierungen für Jugendliche und junge Erwachsene attraktiv?
Anerkennung und Gemeinschaft
Wissenschafter_innen und Praktiker_innen sind sich einig, dass Zugehörigkeit ein wesentliches Angebot extremistischer Gruppierungen darstellt. Die Zugehörigkeit zu einer „solidarischen“ Gemeinschaft und die vermeintliche moralische Überlegenheit stärken das Selbstwertgefühl. Die Abwertung anderer Gruppen suggeriert zusätzlich Sicherheit, Stärke und Macht. Anerkennung und Zuspruch binden Jugendliche an ideologisierte Gruppierungen.
Orientierung und Sicherheit
Auf dem Weg zum Erwachsenwerden sind Jugendliche auf der Suche nach Wahrheit und Orientierung. Wesentlich in der Phase der Adoleszenz ist die Abgrenzung und Abwertung von anderen Lebens- und Denkformen, etwa von der Welt der Erwachsenen. Extremistische Ideologien vermitteln durch ein leicht verständliches und starres Weltbild einfache Antworten auf komplexe Fragen im Prozess der Identitätsfindung. Das Gefühl, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können, der richtigen Gruppe zuzugehören sowie den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, wird Jugendlichen durch ein dichotomes Weltbild erleichtert, welches streng zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse unterscheidet.
Provokation und Protest
Für Jugendliche ist es eine Entwicklungsaufgabe, sich von ihren Eltern abzugrenzen und sich von der Kindheit zu verabschieden. Protest gegen die Elterngeneration ist dabei ein zentraler Faktor. Provokation ist ein Bedürfnis der Adoleszenz und selbst drastische Formen der Abgrenzung können identitätsstiftend wirken. Extremistische Gruppierungen bieten vielfältige Möglichkeiten an Provokation. Sie ermöglichen es Jugendlichen, eine aus Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen resultierende Wut oder Frustration zu kompensieren und/oder auszuleben.
Eine einfache Beschreibung komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse und die Schaffung einer Gruppenidentität über Abgrenzung gegenüber anderen, ist für Jugendliche ein normaler Prozess während ihrer Adoleszenz. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass sich Jugendliche in einem eigenen Freundeskreis im Zuge der Ablösungsprozesse von der Herkunftsfamilie eine Ersatzfamilie suchen und sich stark über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definieren. Bis zu einem bestimmten Grad gehen solche Prozesse immer mit einer unterkomplexen Sicht auf die Welt und einem stark gruppenbezogenen Verhalten einher. Vereinfacht könnte man sagen, dass Weltsichten, die politisch-extremistischen Weltanschauungen ähneln, Teil jeder Adoleszenz sind, die meisten Jugendlichen also eine Phase durchlaufen in denen ihr Weltbild dem politischer Extremist_innen gleicht. Genau dies macht Jugendliche aber auch besonders empfänglich für extremistisches Gedankengut und zwar insbesondere dann, wenn zu diesen üblichen Phasen der Adoleszenz – etwa die Identitäts- und Orientierungssuche in einer sich pluralisierenden Welt mit komplexer werdenden Werteordnungen oder die damit einhergehende Abgrenzung vom Herkunftssystem (wie Familie) sowie der Umgang mit neuen Anforderungen – noch zusätzlich krisenhafte Entwicklungen dazukommen. Problematisch wird es also dann, wenn Jugendliche in einer solchen Phase einer einfachen Einteilung der Welt in Wir und die Anderen, Gut/Böse, Freund/Feind verharren und aus einer Phase der Adoleszenz ein verhärtetes Weltbild geschmiedet wird.
Wie nutzen Extremist_innen Abwertungen?
Soziale Gruppen definieren sich über bestimmte Merkmale und entscheiden so, wer dazugehört und wer nicht. Das ist ein grundlegendes soziales Phänomen, welches uns dabei hilft, eine sehr komplexe, sich ständig verändernde Umwelt begreifbar und kontrollierbar zu machen z.B., wenn man Schüler_innen in unterschiedliche Klassen und Altersstufen einteilt, um den Unterricht sinnvoll gestalten zu können. Es passiert jedoch häufig, dass Gruppen sich vor allem darüber definieren, was sie nicht sind und wer nicht teilnehmen darf anstatt über die eigentlichen Ziele. Für Extremist_innen bedeutet es, dass alle, die nicht zu der von ihnen definierten Gruppe gehören potentielle Feinde sind.
Die mangelnde Fähigkeit anzuerkennen, dass unsere Welt zu vielschichtig ist um sich in einfache Gegensatzpaare wie z.B. Freund_in/Feind_in oder Gut/Böse teilen zu lassen ist bezeichnend für Extremist_innen.
Bei der Erklärung, warum „die Anderen“ böse sind und warum man sie mit allen Mitteln bekämpfen und töten muss, spielen Abwertungen eine wichtige Rolle. Abwertungen werden hier auf zwei verschiedene Arten genutzt:
1. Die Opferrolle: Man selbst wird unterdrückt und ungerecht behandelt, man wird durch unterschiedliche Herangehensweisen abgewertet z.B. Benachteiligung in der Schule, im Job, bei Sozialleistungen oder am Wohnungsmarkt.
2. Das Feindbild: Die Anderen werden z.B. als fehlgeleitet, schwach, genetisch minderwertig oder einfach als böse (das genügt oft schon) beschrieben und abgewertet. Dabei kommt es meistens zu Kombinationen von den weiter oben beschriebenen Abwertungsformen.
Um Taten wie Mord als probate Mittel rechtfertigen zu können müssen die Feinde zuvor erst dehumanisiert werden. Das bedeutet, dass sie soweit entfremdet und abgewertet werden, also als so böse beschrieben werden, dass die Gruppenmitglieder sie nicht mehr als Menschen mit Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Ängsten wahrnehmen, sondern lediglich als Marionetten der großen Feinde, welche vernichtet werden müssen. Tier- und Ungezieferbezeichnungen (z.B. Ratten, Läuse,…) für Gruppen von Menschen mit bestimmten Merkmalen sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass hier eine extremistische Gruppe versucht sie zu entmenschlichen. So können selbst schlimmste Taten innerhalb der Gruppe akzeptiert und gerechtfertigt werden.
Ein weiteres wichtiges Element mit dem Extremist_innen arbeiten, ist Angst. Ängste lassen Menschen leichter zu extremen Handlungen greifen; es ist ein Grundinstinkt, um unser Leben zu schützen.
Wie erzeugen Extremist_innen Angst? Sie erzeugen Ängste durch ständige Wiederholung einer einfach gestrickten Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse in der die eigene Gruppe (die Guten) durch eine oder mehrere andere Gruppen (die Bösen) bedroht werden. Diese Geschichte wird laufend neu erzählt und alle Ereignisse werden mit dieser Geschichte verknüpft. Reale Ereignisse werden so schnell Teil einer großen Verschwörungstheorie. Ein allgegenwärtiges und mächtiges Feindbild erzeugt besonders viel Angst.
Zwei Formen von Extremismen – ein Beispiel
Rechtsextremismus und jihadistischer Extremismus werden vom österreichischen Verfassungsschutz derzeit als besonders demokratiegefährdend eingeschätzt. Die folgende Gegenüberstellung soll dazu dienen, die ideologischen Grundprinzipien zu beschreiben.

 

 

Diese Gegenüberstellung zeigt nur einen sehr kleinen Ausschnitt der beiden Extremismen. Beide Extremismen bestehen aus einer unzähligen Ansammlung an Gruppierungen, Bewegungen und Meinungsführern die einzelne der beschriebenen Punkte unterschiedlich deutlich auslegen und unterschiedliche Erklärungsansätze bieten. Eine zentrale Gemeinsamkeit ist jedoch die Ablehnung von allgemeingültigen Menschenrechten für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, sozialer Stellung und ihrem Geschlecht. Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit ist der wechselseitige Bezug auf die beiden Extremismen. So nützen beide Seiten Anschläge, Drohungen und Verschwörungstheorien der jeweils anderen Seite, um ihr Feindbild weiter zu schärfen, Ängste zu schüren und weitere Anhänger für die eigene Sache zu rekrutieren.

Warum sind Abwertungen im Kontext von Extremismus so gefährlich?

Niemand wird über Nacht zum_zur Extremist_in. Es ist eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen, die über kurze oder längere Zeit zu immer extremer werdenden Ansichten führen können. Die Beratungsstelle Extremismus führt an, dass es keine einfachen Antworten, keinen Katalog an Eigenschaften gibt, den es abzuhaken gilt, um Radikalisierung feststellen zu können. Erfahrung von Abwertung, Diskriminierung und Ausgrenzung können aber dazu beitragen, dass sich Personen radikalisieren bzw. von Extremist_innen gezielt radikalisiert werden.

Abwertungen, egal ob sie innerhalb der Familie, der Schule, im Beruf oder bei zufälligen Begegnungen auf der Straße stattfinden tragen in jedem Fall zu einer feindseligeren Gesellschaft bei, in der das wechselseitige Vertrauen aller Bürger_innen in einander wie auch in ihre Institutionen immer weiter sinkt. Dieses sinkende Vertrauen führt im Gegenzug zu steigenden Ängsten (z.B. selbst ausgegrenzt zu werden, den Job zu verlieren, tätlich angegriffen zu werden). Genau diese Ängste machen es Extremist_innen leicht unsere Gesellschaft zu spalten, um ihre eigenen Ideen von Ungleichheit und Gewalt zu verwirklichen.

Wir alle können mit unseren Handlungen täglich dazu beitragen diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, in dem wir gegen Abwertungen auftreten, selbst nicht abwertende Handlungen setzen und jenen zur Seite stehen die Abwertungen erfahren.

Was kennzeichnet extremistische Gruppierungen?

Es gibt eine große Anzahl an Abstufungen von extremistischen Gruppen, speziell jene, die Nachwuchs rekrutieren wollen, stellen sich nach außen hin oft als harmloser Verein oder Interessensgruppierung dar. Jedoch werden bei näherer Betrachtung oft folgende Merkmale (in Variationen und mit unterschiedlich ausgeprägter Intensität) erkennbar.

  • Die totale Überlegenheit einer Gruppe über alle anderen steht im Mittelpunkt.
  • Gewalt und sogar Mord sind legitime Mittel zur Erreichung der Gruppenziele.
  • Menschen mit bestimmten Merkmalen (z.B. bestimmte Hautfarbe, Herkunft, Religion) sind automatisch Feinde und werden entmenschlicht dargestellt (haben keine Seele, keine Gefühle, keine Menschenrechte) und werden auch sprachlich abgewertet (z.B. als Ungeziefer bezeichnet).
  • Es werden sehr einfache Erklärungsmodelle angeboten, wie unsere Welt funktioniert. Es gibt nur zwei Ausprägungen zB. Freund_in/Feind_iin, Gut/Böse. Für Abstufungen ist kein Platz. Wer nach Abstufungen fragt wird sofort als potenzielle_r Feind_in betrachtet.
  • All jene die nicht Teil der Gruppe sind werden automatisch zu potenziellen Feinden.
  • Die Gruppe beschreibt sich selbst als Opfer und stellt sich stets in einer Situation großer Gefahr bzw. Bedrohung durch den großen „Feind“ dar.
  • Bestehende soziale Kontakte zu Freunden und Familie und allen die vielleicht anders denken sollen abgebrochen werden.

Wie erkenne ich, ob Schüler_innen in das Fahrwasser extremistischer Gruppen kommen?

Die Beratungsstelle Extremismus hat dazu einige Punkte zusammengestellt, jedoch muss gesagt werden es gibt keine Checkliste von Anzeichen, die auf eine extremistische Geisteshaltung schließen lassen. Folgende Verhaltensweisen können jedoch auf einen Prozess der Radikalisierung bzw. Hinwendung zu extremistischen Ideologien und Gruppen hinweisen:

  • Er_sie ändert seine_ihre Lebensweise (z.B. Ess- und Schlafgewohnheiten, Hobbys, Kinobesuche, Sport) deutlich.
  • Er_sie schränkt den Kontakt mit bisherigen Freunden ein oder zieht sich ganz von seinem_ihrem bisherigen Umfeld zurück.
  • Er_sie besucht häufig einschlägige Seiten und Foren im Internet.
  • Er_sie hört nur mehr einschlägige Musik (in der rechtsextremen Szene Bands wie Landser, Radikal, Stahlgewitter, im dschihadistischen Milieu Naschids)
  • Er_sie wird zunehmend aggressiv, wenn es um die eigene politische Überzeugung oder die eigene Religion geht.
  • Er_sie gibt offen rassistische und/oder antisemitische Äußerungen von sich und verherrlicht den Einsatz von Gewalt.

Bei Fragen zum Thema Extremismus können Sie sich an die Beratungsstelle Extremismus wenden

Helpline: 0800 2020 44

E-Mail: office@beratungsstelleextremismus.at

Web: https://www.beratungsstelleextremismus.at/

Die Helpline der Beratungsstelle fungiert als niederschwellige Anlaufstelle für alle Fragen und Unsicherheiten rund um das Thema; unabhängig der Zielgruppe. Darunter fallen auch Lehrkräfte; das Angebot umfasst Beratung im Einzelfall, Workshops, Fachberatungen etc. an den Schulstandorten oder das Kollegium etc.; wie bei allen Zielgruppen wird auch bei Lehrkräften fallspezifisch nach entsprechenden passenden Unterstützungsnetzwerken auch außerhalb der Beratungsstelle gesucht (Schulpsychologie, Sozialarbeit, Eltern, andere Beratungsstellen, etc.).

Hier finden Sie weitere Materialien und Infos zum Thema Extremismus

Allgemein

Speziell für Lehrer_innen

 

Autor_innen: Verena Fabris, Bernhard Jäger, Thomas Schmidinger, Katharina Siegl

Geschlechteridentitäten – Homophobie – Sexismus

Hintergrundinformationen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität

Sexuelle Vielfalt, als gesellschaftspolitischer Begriff, umfasst unterschiedliche Lebensformen, sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten. Sie sind Komponenten, welche die persönliche Identität eines Menschen maßgeblich mitbestimmen.

Die geschlechtliche Identität beschreibt, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig fühlt. Wenn aber von Geschlecht die Rede ist, muss zwischen dem biologischen Geschlecht und dem Gender, also dem sozial konstruierten Geschlecht, differenziert werden.

Gesamtgesellschaftlich wird in Europa immer noch verstärkt von einem binären Geschlechterverständnis (Mann und Frau) ausgegangen die Geschlechterrollen, die Geschlechteridentitäten und das biologische Geschlecht stimmen nach diesem Verständnis überein. Dieses Verständnis schließt jedoch unzählige Menschen aus, denn wie die Realität zeigt, muss die Geschlechtsidentität nicht unbedingt dem biologischen Geschlecht entsprechen, wie es zum Beispiel bei transidenten (meist Synonym mit transsexuellen oder transgender) Menschen der Fall ist. Eine Transfrau ist somit eine Person, deren biologisches Geschlecht zwar dem eines Mannes entspricht, deren Geschlechtsidentität aber die einer Frau ist und sie sich somit als Frau identifiziert. Neben der Identifizierung als Frau oder Mann, gibt es Menschen, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren, sondern sich als nonbinär oder genderfluid verstehen. Die Geschlechtsidentität eines Menschen kann somit auch fließend sein und muss nicht in ein starres Verständnis der Binarität fallen. Auch in der Biologie/Anatomie sind die Grenzen nicht immer eindeutig und fordern somit das binäre Geschlechterverständnis heraus. So werden Intersex-Personen mit Geschlechtermerkmalen geboren, welche nicht eindeutig als männlich oder weiblich kategorisiert werden können.

In vielen Kulturen außerhalb der westlichen Welt existieren neben den zwei Geschlechtern „Mann“ und „Frau“ auch weitere. In Indien gibt es beispielsweise ein drittes Geschlecht, welches offiziell anerkannt ist. Die ‚Hijras‘ sind Menschen, die trans- oder intersexuell sind. In Amarete, Bolivien, kennt man sogar zehn Geschlechter. Hier zählt man neben den zwei biologischen Geschlechtern auch fünf symbolische Geschlechter, welche Kombinationen sind. Aber auch das Judentum kennt neben den Geschlechtern „Mann“ und „Frau“ auch andere, wie zum Beispiel intersexuelle Menschen. Diese Beispiele illustrieren, dass das westliche Verständnis von geschlechtlichen Identitäten kein „Naturgesetz“ darstellt und das Konzept der geschlechtlichen und sexuellen Identitäten durchaus fluid ist.

Die andere Komponente der sexuellen Identität ist die sexuelle Orientierung. Sie ist jedoch nicht als Präferenz, als Praktiken oder gar sexuelle Vorlieben zu verstehen, sondern hat wie die geschlechtliche Identität mit der Selbstidentifikation eines Menschen zu tun. So können sich Menschen als heterosexuell, bisexuell, pansexuell, homosexuell oder auch asexuell identifizieren. Trotz dieser recht eindeutigen Bezeichnungen müssen sich Menschen nicht mit einem dieser Begriffe eindeutig identifizieren, sondern können sich auch auf einem Spektrum befinden und ihre sexuelle Orientierung als etwas Fluides erleben.

Menschen im Spektrum der sexuellen Vielfalt, welche nicht in die binären Geschlechtervorstellungen und/oder heterosexuellen Orientierungen fallen, machen die Gruppe der LGBTG+ oder LGBTQ(I)A+ aus. LGBTQIA+ steht für „lesbisch, schwul, bi, trans_, queer, inter, asexuell und plus“.

Die österreichische Bundesverfassungund die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gehen grundsätzlich von einer Gleichheit aller vor dem Gesetz aus. Trotzdem ist es ein langer Weg zur gelebten Gleichberechtigung für LGBTQIA+ Menschen. Erst seit 1. Jänner 2010 können gleichgeschlechtliche Partner_innen eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen und erst seit Beginn des Jahres 2019 ist auch die Ehe für alle möglich. Weltweit wird Homosexualität in einigen Staaten immer noch penalisiert oder steht sogar unter Todesstrafe.

Trotz der immer besser werdenden rechtlichen und gesamtgesellschaftlichen Lage für LGBTQIA+-Menschen, ist Heteronormativität noch immer die dominante Normvorstellung unserer Gesellschaft. Sie bezeichnet die Weltanschauung, in der Heterosexualität und ein einfaches binäres Verständnis von Geschlecht (Mann und Frau) die soziale und gesellschaftliche Norm darstellt. Ihr liegen meist patriarchale Männer- und Frauenbilder zugrunde, sowohl was die geschlechtlichen Identitäten als auch was sexuelle Orientierungen angeht. Dies führt zu weiter herrschenden Vorurteilen, Ablehnungshaltungen und Diskriminierungen gegen LGBTQIA+-Menschen.

Auch viele Religionen wurden von patriarchalen und homophoben gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt. Konservative Interpretationen vieler Religionen formulieren auch religiös begründete Homophobie und Heteronormativität. Dies ist nicht das Problem einer einzigen Religion, religiös begründeter Homophobie sollte allerdings genauso widersprochen werden wie anders begründeter Homophobie.

Die daraus resultierenden besonderen Formen von Sexismus, Trans- und Homophobie treten in unterschiedlichen Erscheinungsformen und auf unterschiedlichen strukturellen Ebenen auf. Nebst verbalen oder physischen Übergriffen auf Betroffene kommt es auch häufig zu Diskriminierungen am Arbeitsplatz oder in religiösen Institutionen. Auch in den Medien fehlt eine authentische und nicht klischeehafte Repräsentation der LGBTQIA+-Gruppe. Für die Betroffenen bedeutet dies meist Ausgrenzung, (mentalen) Stress oder gar Selbstablehnung.

Mit dem Gebrauch von queer- und gendersensibler Sprache wird der weitverbreiteten Ignoranz und fehlenden Wahrnehmung der vielfältigen Lebensformen entgegengewirkt. Ungleich dem Binnen-I inkludiert der Unterstrich oder das Sternchen (z. B.: Schüler_innen oder Schüler*innen) auch Personen, welche genderfluid, nonbinary, trans oder inter* sind. Dieser sogenannte „Gender Gap“ kann auch während des Sprechens angewendet werden, indem eine Pause dort eingelegt wird. Beispiel: Schüler[Pause]in

 

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Vorurteile und ablehnende Einstellungen gegenüber LGBTQIA+_Menschen sind in Europa, damit auch in Österreich weiterhin weit verbreitet. Diese allgemeinen Vorurteile können sich auch stark in der Haltung Jugendlicher niederschlagen und zu homophoben, transphoben und sexistischen Zwischenfällen in der Schule führen. Diese Zwischenfälle können unterschiedliche Formen annehmen, von der Verwendung diskriminierender Sprache bis hin zu aktiver Ausgrenzung und Mobbing.

Sexualität und Geschlecht, damit verbundene Geschlechterrollen und gesellschaftliche Erwartungen und das Finden der eigenen Identität sind Themen, welche auch Schüler_innen in bedeutendem Ausmaß betreffen. Dadurch, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Dichotomie der Geschlechter (Mann und Frau) und die damit verbundenen Rollenbilder stark perpetuiert werden, werden auch Kinder mit eben diesen Erwartungshaltungen und Bildern sozialisiert. Sie lernen eine Welt dieser Geschlechterklischees kennen, auch wenn diese mit den Jahren immer weiter aufgeweicht werden. Dies bedeutet jedoch, dass Kinder und Jugendliche sich während des Erwachsenwerdens damit auseinandersetzen müssen, wie sich ihre eigenen Identitäten zu diesen gesellschaftlichen Rollenbildern verhalten.

Da das breite gesellschaftliche Verständnis von Geschlechtsidentitäten innerhalb der üblichen Dichotomie liegt, kann es Schüler_innen schwerfallen, ein Verständnis für die Pluralität der sexuellen Orientierungen und Identitäten zu entwickeln. Während dieser Zeit können sich Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Mobbing aufgrund von irrationalen Ablehnungshaltungen gegenüber LGBTQIA+-Schüler_innen häufen und besonders verheerend auswirken. Diese Auswirkungen können hierbei von Verwirrung über Ablehnung der eigenen Identität über Depressionen und suizidale Gedanken bis hin zum Suizid reichen.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Als Lehrperson ist es wichtig, generell achtsam und aufmerksam zu bleiben. Wenn Sie merken, dass es zu sexistischen oder trans-/homophoben Zwischenfällen kommt, sprechen Sie dies an und arbeiten Sie den Zwischenfall mit den Schüler_innen auf. Das Thema rund um sexuelle Orientierung und Identität sollte sachlich erklärt werden und jegliche Form von Homophobie, Sexismus und Transphobie in die Thematik der Nichtdiskriminierung eingebettet werden. Schüler_innen sollen erkennen, dass ihre Handlungen und diskriminierender Sprachgebrauch negative Auswirkungen auf Betroffene haben können und sie sollen erkennen, woher ihre Vorurteile stammen.

Achten Sie aber in jedem Fall darauf, ein Zwangsouting zu vermeiden.

Des Weiteren kann eine antihomophobe Intervention durch Religionslehrer_innen besonders wirkungsvoll sein, da viele konservativ aufgefassten Religionen Homo- und Transphobie manifestieren. Auch soll darauf geachtet werden, dass homophobe oder transphobe Äußerungen in den Religionsunterricht keinen Eingang finden und falls doch, muss dies mit den Schüler_innen sachlich aufgearbeitet werden.

Ein entsprechendes Wissen zu den Themen und auch ein eigenes bewusstes Umgehen mit Sprache und Stereotypen ist Voraussetzung. Des Weiteren ist es sehr zu empfehlen, sexuelle Vielfalt als Normalfall im Klassenzimmer zu behandeln und stets selbst auf eine gendersensible Sprache zu achten.

Außerdem gibt es externe Angebote im sexualpädagogischen Bereich, welche bei Bedarf in Anspruch genommen werden können, um diverse Kompetenzen rund um geschlechtliche Diversität zu entwickeln. Es handelt sich bei den Anbieter_innen um ausgebildete Pädagog_innen, welche Lehrgänge/Workshops für Lehrer_innen und/oder Workshops für Schüler_innen anbieten und somit einen aktiven Beitrag zur sexuellen Gesundheit und zur Prävention von (sexueller) Gewalt leisten. Auf der Plattform im Bereich „Schulinterne Lehrer_innenfortbildungen“ finden Sie solche Angeboten im sexualpädagogischen Bereich.

Literaturempfehlungen:

Hartmann, Jutta/ Messerschmidt, Astrid/ Thon, Christine (Hg.): Queertheoretische Perspektiven auf Bildung – Pädagogische Kritik der Heteronormativität. Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft (Band 13), Leverkusen, 2017.

Friederike Schmidt/Anne-Christin Schondelmayer/ Ute B. Schröder (Hg.): Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt: Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine, Berlin, 2014.

Lutz Van Dijk/ Barry van Driel (Hg.): Sexuelle Vielfalt lernen: Schulen ohne Homophobie, Berlin, 2008.

 

Autorin: Ronya Alev

Identitäre & Neue Rechte

Politischer und historischer Hintergrund:

Seit einigen Jahren sorgt die sich selbst als „Identitäre Bewegung“ (im Folgenden nur Identitäre genannt) bezeichnende Jugendorganisation mit ihren inszenierten Aktionen für mediale Aufmerksamkeit in Österreich. Die „Gegenbesetzung“ der Votivkirche 2012, in der sich Geflüchtete mit negativen Asylbescheiden versammelt hatten, verschaffte ihnen erstmals eine breite Berichterstattung. Seither kommt es immer wieder zu Aktionen, die sich am Rande der Legalität befinden. Martin Sellner, der Sprecher der Identitären, ist dabei vermutlich das bekannteste Gesicht. Doch darüber hinaus: Wer sind die Identitären in Österreich und wie sind sie in der Neuen Rechten einzuordnen?

Die Identitären wurden 2012 offiziell als Verein gegründet, als die Repressionen gegen nationalsozialistische Gruppierungen in Österreich verstärkt wurden. Die Identitären bewegten sich davor im Kreis von Gottfried Küssel, einem verurteilten Neonazi. Sie werden daher sowohl als rechtsextrem als auch neofaschistisch eingestuft, sie sind jedoch sehr vorsichtig dabei, klar erkennbare nationalsozialistische Inhalte zu teilen. Außerdem sind sie äußerst gut mit anderen rechtsextremen Gruppierungen sowohl innerhalb Österreichs als auch über die Landesgrenzen hinweg vernetzt. Zum Vorbild nahmen sich die österreichischen Identitären die in Europa schon bestehenden rechtsextremen Gruppierungen, wie zum Beispiel die Casa Pound in Italien und den Bloc Identitaire in Frankreich. Auch in Österreich pflegen die Identitären ein starkes Netzwerk zu anderen rechtsextremen Organisationen und Burschenschaften. Sie weisen vor allem eine Verbindung zur Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) auf. Sowohl personell als auch ideologisch gibt es immer wieder Berührungspunkte und Überschneidungen mit der genannten Partei.

Obwohl die Identitären sich als „Bewegung“ verstehen, setzt sich der Verein aus rund 20 bis 30 Mitgliedern zusammen. Des Weiteren haben sie für Demonstrationen und Aktionen ein Mobilisierungspotential aus etwa 300 Menschen. Trotz einer übersichtlichen Anzahl an Personen dürfen die Identitären nicht unterschätzt werden, da sie es vor allem online schaffen, eine große Reichweite an Menschen zu erreichen und somit den öffentlichen Diskurs mitbestimmen können.

Die Bewegung kann der Neuen Rechten zugeordnet werden, eine Antwort auf die Neue Linke. Die Neue Rechte umschreibt eine neue, uneinheitliche, rechtsextreme Strömung, welche sich bewusst von der Konzeption der „alten Rechten“ und deren Bezug zum Nationalsozialismus abgrenzt. Diese Abgrenzung geschieht nicht wegen inhaltlicher Differenzen, sondern in erster Linie aus pragmatischen Gründen, da sie so eine breitere Masse mit ihrer Rhetorik erreichen können. Des Weiteren umgehen diese Gruppierungen, darunter auch die Identitären in Österreich, das Verbotsgesetz.

Die Ideologie der Neuen Rechte als auch der Identitären kann als Kontinuum der alten Rechten verstanden werden. Die Menschen sind generell schlecht [im Sinne von nicht gut] und einander nicht gleichwertig, daher kommt es zu einem ständigen Kampf. Die Identitären sind Ethnopluralisten und lehnen diverse und pluralistische Gesellschaften ab. Statt in „Rassen“ teilt die Neue Rechte Menschen in homogene Kulturen und Volksgruppen ein, wobei diese Kulturen wiederum bewertet werden. Nach der Weltanschauung der Identitären ist ein Vermischen der Kulturen abzulehnen oder gar zu bekämpfen. Hier fließt außerdem eine Blut-und-Boden-Ideologie ein, welche Völkergruppen ein spezifisches Siedlungsgebiet zuordnet. Diese Zuordnung basiert dabei auf pseudowissenschaftlichen und ästhetischen Argumentationen. Sie warnen vor dem „großen Austausch“ und inszenieren sich als die Verteidiger des europäischen Abendlandes gegen den Islam. Ein antimuslimischer Rassismus ist ebenso ein inhärenter Teil der Ideologie und der Islam wird als die größte Gefahr postuliert. Auch Antisemitismus findet sich in der neurechtsextremen Ideologie wieder, jedoch versuchen die Identitären das Thema weitgehend zu vermeiden.

Der politische Liberalismus, vor allem in der Denkform des Egalitarismus, wird ebenso vehement abgelehnt. Die Idee einer autoritären Staatsform, regiert von einer kleinen Elite, übernehmen die Identitäten von Carl Schmitt, einem Wegbereiter Hitlers. Ein weiteres Feindbild stellt der Feminismus dar, oder wie Identitäre es nennen, die „Geschlechtergleichmacherei“. Die Identitären propagieren ein patriarchales, männerdominiertes Weltbild. An der Spitze der Identitären stehen fast ausschließlich nur Männer, wobei sie bemüht sind aus strategischen Gründen auch vereinzelt Frauen ins Bild zu rücken.

Die Strategie der Neuen Rechten, an der sich auch die Identitären gekonnt bedienen, unterscheidet sich maßgeblich von der alten Rechten. Das Ziel ist, eine Art Gegenkultur zur „dominierenden linken und liberalen Kultur“ zu schaffen. Die Identitären verstehen sich also nicht als Partei, sondern versuchen ihre Ziele durch einen „intellektuellen“ Austausch zu erreichen. So kleiden sie beispielsweise alte, als rechtsextrem behaftete Begriffe neu: Aus „rassistisch“ wird „identitär“, aus „Massenabschiebung“ wird „Remigration“ und „Überfremdung“ wird durch „großer Austausch“ ersetzt“. Diese fast verschönten Begriffe werden dann in den öffentlichen Diskurs eingebracht und gestreut.

Indem sie die öffentliche Diskussionskultur immer weiter nach rechts verschieben, wollen sie mehr Akzeptanz für ihre Ideologie bewerkstelligen. Daher greifen sie stark auf die Verbreitung ihrer Ideen auf Social Media zurück und bedienen sich der Elemente der Popkultur. Das schwarz-Gelbe Lambda Zeichen, das das Logo der Identitären Bewegung ist, wurde beispielsweise dem Film „300“ entnommen, in welchem die zahlenmäßig unterlegenen Spartaner gegen fremde Soldaten kämpfen – eine Anlehnung daran, dass sich die Identitären als die Verteidiger des Abendlandes sehen.

Das Auftreten wirkt sauber und gepflegt und trennt sich von der Springerstiefel-Ästhetik der Neonazis und des Klimas einer Subkultur. Viele im Kader der Identitären bewegen sich im Universitätsumkreis und sehen „gut bürgerlich“ aus. Mit ihrer Ästhetik, als auch mit dem bewussten Abstandnehmen von nationalsozialistischen Strategien erreichen sie nicht nur die rechtsextreme Szene, sondern auch Konservative und Menschen, die sie mit offensichtlich rein nationalsozialistischen Inhalten nicht erreicht hätten.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Die Strategie der Neuen Rechten ist subtiler als die der „alten“. Mit ihrer Strategie, die Elemente der Popkultur beinhaltet, und einer Rhetorik, die sich von der  (Neo-)Nazi Szene bewusst abgrenzt, schaffen sie es, ihre Inhalte „salonfähig“ zu machen.

Daher kann es vorkommen, dass Schüler_innen sich dieser Taktiken nicht bewusst sind und Inhalte der Identitären teilen, selbst wenn sie sich nicht mit einer rechtsextremen Ideologie identifizieren würden. Schüler_innen können die Inhalte und die Ideologie falsch einschätzen und daher verbreiten. Andererseits können sich Schüler_innen von der „sauberen Ästhetik“ und dem „Pseudointellekt“ der Identitären angezogen fühlen.

Da die Inhalte der Identitären klar rassistisch sind, kann es innerhalb der Klasse zu rassistischen Übergriffen kommen.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Sollten Sie mitbekommen, dass rechtsextreme Inhalte geteilt werden oder Schüler_innen sich rechtsextremer Rhetorik bedienen, greifen Sie das Thema, wenn Sie sich dazu in der Lage sehen, auf und behandeln Sie es im Klassenzimmer. Vielen Schüler_innen mag die Ideologie der Identitären und Neuen Rechten nicht klar sein. Eine Aufklärung über die neurechte Weltanschauung kann hier dienlich sein.

Hierbei ist es außerdem wichtig, auf die Konsequenzen rechtsextremer Rhetorik hinzuweisen und die Thematik aus einer demokratiepolitischen und menschenrechtlichen Sicht zu behandeln. Kompetenzen wie kritisches Denken und Analysefähigkeiten können mithilfe von Unterrichtsmaterialien gefördert werden. So können Schüler_innen mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden, um rechtsextreme Inhalte einschätzen zu können.

Die Art und Weise, wie das Thema behandelt werden kann, hängt sowohl von Ihrem Wissensstand und ihren Konfliktfähigkeiten ab als auch vom Alter der Schüler_innen. Sie können auf der Webseite hilfreiche Tipps und Tools finden.

Symbolik

Das Logo der Identitären Bewegung: Das gelbe Lambda auf schwarzem Hintergrund ist das Logo der Identitären Bewegung. Das Symbol wurde dem Film 300 entnommen, in welchem die zahlenmäßig unterlegenen Spartaner das Heer der Angreifer zurückschlagen konnten. Die IB versteht sich in diesem Zusammenhang als die Spartaner_innen im Kampf für das Abendland gegen die Eindringlinge von außen.

 

Literaturempfehlungen:

Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl: Die Identitären: Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Münster, 2017.

Christian Fuchs/Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten: Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Hamburg 2019.

Christa Bauer /Willi Mernyi: Rechtsextrem. 4. Auflage, Mauthausen Komitee Österreich, 2018.

 

Autorin: Ronya Alev

Irak

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Irak entstand als britisches Protektorat nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges. Das Land war von Anfang an von großem ethnischem und religiösem Pluralismus geprägt. Während im Süden und im Zentrum überwiegend Arabisch gesprochen wurde, dominierten im Norden und Nordosten verschiedene Formen des Kurdischen. Religiös stellten die schiitischen Muslime eine knappe Mehrheit der Bevölkerung dar, gefolgt von sunnitischen Muslim_innen, Christ_innen verschiedener Konfessionen und Jüd_innen, die damals ein Drittel der Bevölkerung Bagdads ausmachten. Dazu kamen noch Mandäer_innen, Jesidi, kleine Gemeinschaften der Bahá’í und der Karäer_innen, sowie verschiedene islamische Sondergruppen, wie die Yarsan (Ahl-e Haqq, Kakai), Shabak oder Bektaschi. In Bagdad existierte sogar ein historischer Tempel der Sikh.

Grenzen und Identität des Staates waren von Anfang an umstritten. Unabhängigkeits- und Autonomiebewegungen der Kurd_innen gehen bis auf die britische Protektoratszeit zurück. Dazu kamen auch Autonomiebestrebungen aramäischsprachiger Christ_innen im Nordirak, die 1933 – nur ein Jahr nach der Unabhängigkeit des Irak –  einem blutigen Massaker, dem Massaker von Semele, durch die irakische Armee ausgesetzt waren.

In den 1930 Jahren wurde der Irak zum Schauplatz politischer Auseinandersetzungen zwischen konservativen monarchistischen Kräften, arabischen Nationalist_innen und Kommunist_innen. 1941 kam es zu einem Militärputsch arabischer Nationalisten, die mit Rashid Ali al-Gailani einen pro-deutschen arabischen Nationalisten an die Macht brachten. In der Folge kam es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen britischen und irakischen Truppen, welche mit einer irakischen Niederlage und der Besetzung des Irak durch britische Truppen endeten. In der Endphase dieses Kampfes machten arabische Nationalist_innen die jüdische Bevölkerung Bagdads für die Niederlage verantwortlich und verübten vom 1. bis 2. Juni 1941 einen Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung des Irak („Farhud“), bei dem mindestens 180 Jüd_innen ums Leben kamen.

Diese traumatische Erfahrung und einige bis heute nicht geklärte Anschläge auf jüdische Einrichtungen führten nach einem Abkommen des 1948 gegründeten Staates Israel mit der damaligen irakischen Regierung dazu, dass 1950/51 ein Großteil der jüdischen Bevölkerung des Irak nach Israel emigrierte. Nur in Bagdad und Basra blieben Restgemeinden bestehen, deren Mitglieder überwiegend in den 1960er Jahren auswanderten.

1958 stürzte eine Allianz aus linken und nationalistischen Offizieren die irakische Monarchie und rief eine Republik aus. Unter Abdel Karim Qasim gelang es den Kommunist_innen und anderen linken Gruppierungen, Einfluss zu gewinnen und den Irak in eine sozialistische Richtung zu entwickeln, was wiederum dazu führte, dass die USA am 8. Februar 1963 in der Zeit des Kalten Krieges einen Putsch der arabisch-nationalistischen Baath-Partei gegen Abdel Karim Qasim unterstützten, der in einer blutigen Kommunist_innenverfolgung endete.

Die Baathist_innen schafften es allerdings nicht, sich dauerhaft an der Macht zu halten, sondern wurden durch Machtkämpfe mit verschiedenen rivalisierenden arabischen Nationalist_innen wieder von der Macht verdrängt, bis sie sich am 17. Juli 1968 in einem zweiten baathistischen Putsch wieder an die Macht brachte. Der arabische Nationalismus wurde sowohl von vielen religiösen Schiit_innen im Südirak als auch von vielen Kurd_innen als Gefahr wahrgenommen. Bereits im Frühling 1969 brachen erneut Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den seit 1961 gegen die Zentralregierung kämpfenden kurdischen Peshmerga unter Mulla Mustafa Barzani aus, die 1975 in einer Niederlage der Kurd_innen und in der Exilierung von Mulla Mustafa Barzani endeten.

In innerparteilichen Machtkämpfen der Baath-Partei setzte sich im Laufe der 1970er Jahre der Führer des Parteigeheimdienstes, Saddam Hussein, als neuer Machthaber durch, der 1979 nach dem Rücktritt von Präsident al-Bakr auch das Präsidentenamt übernahm. Im September 1980 startete er einen Angriff auf den Iran,  der einen acht Jahre dauernden Krieg auslöste, welcher in den folgenden Jahren etwa 1 Million Iraker_innen das Leben kosten sollte.

Parallel zum Krieg gegen den Iran verstärkten sich auch in den kurdischen Gebieten Aufstände, die von verschiedenen Peshmerga-Einheiten, überwiegend von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Jalal Talabani, geführt wurden. Auch im Süden des Irak wurden kommunistische und religiös-schiitische bewaffnete Widerstandseinheiten aktiv. Die irakische Armee verwendete bei der Bekämpfung der kurdischen Aufstände Methoden genozidaler Aufstandsbekämpfung, die in den so genannten Anfal-Operationen, denen etwa 180.000 Menschen zum Opfer fielen, und dem Giftgasangriff auf Halabja mit 5.000 Toten ihren tragischen Höhepunkt fanden. Trotz dieser schweren Kriegsverbrechen wurde der Irak im Krieg gegen den Iran von den USA und anderen NATO-Staaten unterstützt. So lieferte etwa Frankreich Atomtechnologie und Deutschland Zutaten und Technologie für das Chemiewaffenprogramm der irakischen Regierung.

Nach dem Ende des irakisch-iranischen Krieges 1988 marschierte der Irak 1990 in Kuwait ein, was zum zweiten Golfkrieg 1991 führte, bei dem nun wiederum eine US-geführte Allianz den Irak aus Kuwait vertrieb, allerdings keinen Regierungswechsel herbeiführte. Aufstände der Schiit_innen im Südirak wurden zuerst von US-Präsident Bush ermuntert, dann aber im Stich gelassen, was wiederum zu Massakern an der schiitischen Zivilbevölkerung und zur Zerstörung von schiitischen religiösen Stätten im Südirak führte. Auch die parallel dazu stattfindenden Aufstände der Kurd_innen im Norden wurden zunächst niedergeschlagen. Erst als sich mehrere Millionen Kurd_innen als Flüchtlinge in Richtung Türkei und Iran in Bewegung setzten wurde eine Flugverbotszone errichtet und damit die Möglichkeit der Schaffung einer kurdischen Autonomieregion im Nordirak ermöglicht.

Die Autonomieregion Kurdistan blieb isoliert und litt genauso unter dem Wirtschaftsembargo gegen den Irak wie die Regionen, die weiter von der irakischen Regierung unter Saddam Hussein beherrscht wurden. Zudem war die Autonomieregion von 1994 bis 1997 von einem Bürgerkrieg (Kurdisch: Birakujî, Brudermord) zwischen den Peshmerga der beiden großen kurdischen Parteien erschüttert, in dem sich die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) von Masoud Barzani schließlich mit der irakischen Regierung Saddam Husseins gegen die Patriotische Union Kurdistans (PUK) verbündete und der zu einer Teilung der De-facto-Autonomieregion in ein PDK- und ein PUK-Gebiet führte.

Erst nach dem Sturz Saddam Husseins durch eine US-geführte Militärallianz 2003 wurde die Autonomieregion Kurdistan von der neuen irakischen Regierung anerkannt und die beiden Parteigebiete wurden zumindest oberflächlich unter einer gemeinsamen Verwaltung vereint.

Mit dem Sturz Saddam Husseins verlor die bis dahin ökonomisch und politisch dominierende sunnitisch-arabische Minderheit ihre führende Stellung zugunsten schiitischer Parteien und einer stärkeren Position der beiden kurdischen Parteien im Norden. Nach einer relativ ruhigen Phase der Besatzung begannen sich ab 2004 Anschläge von sunnitisch-arabischen Untergrundgruppen zu häufen, die politisch unterschiedlich orientiert waren, unter denen aber ab 2006 jihadistische Terrorgruppen immer deutlicher die Führung übernahmen. Die jihadistische Gewalt richtete sich in den folgenden Jahren gegen Schiit_innen, aber auch gegen religiöse Minderheiten wie Mandäer_innen oder Jesidi. Im August 2007 kam es in zwei Dörfern in der jesidisch geprägten Region Sinjar bereits zu Bombenanschlägen, bei denen 796 Menschen getötet und 1.500 weitere verletzt wurden.

Aus der „al-Qaida“ im Zweistromland entwickelte sich der „Islamische Staat im Irak“, der ab 2013 auch Jihadisten im syrischen Bürgerkrieg unterstützte und sich schließlich in „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ umbenannte, im Sommer 2014 große Teile des Zentralirak übernahm und Ende Juni 2014 in Mosul ein Khalifat ausrief. Seither nannte die Gruppe ihren neuen Para-Staat „Islamischer Staat“ (IS). Dieser verübte im August 2014 einen Genozid an den Jesidi in der Region Sinjar, wo tausende Männer ermordet und Frauen und Mädchen entführt und versklavt wurden. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die Schiit_innen aus Sinjar und Tal Afar. Vertrieben wurden auch die aramäischsprachigen Christ_innen aus der Ninive-Ebene östlich von Mosul. Viele ihrer Kirchen und Klöster wurden von den Jihadisten des IS zerstört.

Fahne des so genannten „Islamischen Staates“, seit 2015 in Österreich verboten.

In einem langwierigen Krieg gelang es der irakischen Armee, den kurdischen Peshmerga und den 2014 neu gegründeten Volksmobilisierungseinheiten schließlich, den IS zu besiegen. Im Sommer 2017 wurden auch Mosul und Tal Afar befreit. Mosul, die zweitgrößte Stadt des Irak, wurde bei diesen Kämpfen allerdings stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Innenstadt wurde weitgehend zerstört und der Wiederaufbau der Stadt geht genauso schleppend voran wie der Wiederaufbau der Dörfer und Städte in Sinjar. Auch Ende 2019 lebten noch die meisten Überlebenden des Genozids an den Jesidi von Sinjar in Zeltlagern in der Autonomieregion Kurdistan, während die Türkei immer wieder Luftangriffe auf jesidische Milizen in der Sinjar-Region fliegt. Auch im Norden der Autonomieregion Kurdistan hat die Türkei im Laufe des Jahres 2019 immer größere Gebiete besetzt, um von dort aus Positionen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den nordirakischen Bergen zu bekämpfen.

Da die Volksmobilisierungseinheiten und die irakische Armee im Kampf gegen den IS Unterstützung vom Iran erhielten, gelang es dem Iran nach 2014, den Einfluss auf die irakische Politik auszubauen. Gegen diesen Einfluss des Iran, aber auch gegen die teils katastrophalen sozialen Verhältnisse und die grassierende Korruption richten sich seit dem Oktober 2019 neue Proteste in Bagdad und in vielen Städten des Südirak. Dabei handelt es sich erstmals seit dem Sturz Saddam Husseins nicht um einen konfessionalisierten oder ethnisierten Konflikt, sondern um einen sozialen und politischen Konflikt. Iraker_innen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft beteiligen sich an den Protesten, deren Ausgang bislang nicht abgeschätzt werden kann. Auch viele junge Frauen beteiligen sich an den Demonstrationen und an der Besetzung des Tahrir-Platzes im Zentrum von Bagdad. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt gegen die Demonstrant_innen. Nicht nur die reguläre Polizei, sondern auch eine Reihe von Gruppen von Bewaffneten, die teilweise ohne zuordenbare Uniformen unterwegs sind, schossen immer wieder auf Demonstrant_innen. In den ersten beiden Monaten der Protestbewegung waren insgesamt schon über 300 Tote zu beklagen.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Unter den in Österreich lebenden Iraker_innen befinden sich zwar Angehörige unterschiedlichster ethnischer und religiöser Gruppen, allerdings kommt es trotz der Ethnisierung und Konfessionalisierung vieler Konflikte nach 2003 normalerweise selten zu Konflikten unter verschiedenen Iraker_innen in der Diaspora. Latente Konflikte existieren zwischen (ehemaligen) Anhänger_innen Saddam Husseins und Angehörigen der Opfer des damaligen Regimes. Dass Kinder aus solchen Familien ausgerechnet in einer Schulklasse aufeinandertreffen ist relativ unwahrscheinlich.

Was in der Praxis eher vorkommen kann ist, dass sich Kinder aus Familien, die Opfer jihadistischer Gewalt wurden, etwa jesidische oder christliche Schüler_innen durch sunnitische Muslim_innen bedroht fühlen. Dies hat manchmal mit den Einstellungen sunnitischer Muslim_innen zu tun, wenn diese mit dem IS oder auch mit weniger extremistischen, aber doch sehr religiös-konservativen Gruppen sympathisieren. Allerdings kann dies auch mit der Traumatisierung der Opfer jihadistischer Gewalt zu tun haben. Für viele Opfer des IS ist die erlittene Verfolgung nicht nur eine Tat einer bestimmten jihadistischen Gruppe, sondern „der Muslim_innen“, was auch dadurch begünstigt wird, dass es schon vor 2014 eine lange Verfolgungsgeschichte der Jesidi gibt.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum haben.

Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln.

Wichtig ist es dabei auch, zu erkennen, ob es sich tatsächlich um Mobbing handelt oder ob die Traumata von Überlebenden genozidaler Verfolgung durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Auch dieses individuelle Erleben von Traumatisierten ist unbedingt ernst zu nehmen, benötigt aber eine andere Reaktion als Mobbingerfahrungen. In solchen Fällen wäre unbedingt professionelle Hilfe für die Traumatisierten, etwa durch eine Psychotherapie, ratsam. Die Schulpsychologie kann in solchen Situationen ein erster Ansprechpartner sein.

Literaturempfehlungen:

Marion Farouk-Sluglett / Peter Sluglett: Der Irak seit 1958. Von der Revolution zur Diktatur. Frankfurt am Main, 1991

Henner Fürtig: Geschichte des Irak. Von der Gründung 1921 bis heute. München, 2016

Thomas Schmidinger: „Die Welt hat uns vergessen“ Der Genozid des „Islamischen Staates“ an den JesidInnen und die Folgen. Wien, 2019

 

Autor: Thomas Schmidinger

Iran

Politischer und historischer Hintergrund:

Die Geschichte des Iran reicht bis 3.000 vor Christus zurück, als das altpersische Reich gegründet wurde und macht somit die Geschichte des persischen Kulturvolkes zu einer der ältesten dieser Erde. Im Westen wird der Iran hauptsächlich mit einer repressiven Politik assoziiert, jedoch ist das Land kulturell und historisch vielfältig.

Da das Reich unterschiedlichen Herrschaften unterlag, kam es mitunter zu religiösen Wechseln. Im 7. Jahrhundert wurde die dominante Religion des Zoroastrismus allmählich vom Islam abgelöst, bis das Land Anfang des 16. Jahrhundert schiitisch dominiert wurde.

Die Perser_innen machen heute die Mehrheitsbevölkerung im Iran aus, stellen allerdings gerade einmal etwa die Hälfte der Bevölkerung. Diese sind mehrheitlich Schiit_innen. Jedoch leben im Iran auch Sunnit_innen und zwar v.a. in den kurdischen Gebieten und im Südosten in Balutschistan. Daneben gibt es auch christliche, jüdische und zoroastrische Minderheiten, die offiziell anerkannt sind. Nicht anerkannt und politischer Repression ausgesetzt sind hingegen Angehörige der im Iran entstandenen eigenständigen Religion der Bahá’í.

Neben den Perser_innen als Staatsvolk leben mit den Kurd_innen, Balutsch_innen, Lur_innen und Talisch eine Reihe anderer iranischsprachiger Bevölkerungsgruppen im Iran. Dazu kommen noch die turksprachigen Azeri, Qaschgai und Turkmen_innen, sowie Araber_innen, Armenier_innen oder Assyrer_innen. Des Weiteren lebt auch eine afghanische Diaspora im Iran.

Die Rechtslage als auch die Menschenrechtslage in Bezug auf Minderheiten ist im Iran prekär. Zwar werden die offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften staatlich geschützt, allerdings sind Angehörige nicht anerkannter Religionsgemeinschaften repressiven Maßnahmen ausgesetzt. Die Amtssprache ist Persisch beziehungsweise Farsi welche zur indogermanischen Sprachenfamilie gehört. Publikationen in anderen Sprachen sind zwar grundsätzlich möglich, allerdings ist ausschließlich das Persische Amts- und Bildungssprache.

Der Iran wurde historisch von unterschiedlichen Dynastien beherrscht. Erst 1906 kam es zu einer konstitutionellen Revolution, bei welcher eine Verfassung sowie ein Parlament eingeführt wurden. 1925 wurde dann die damalige Dynastie der Qadscharen von den Pahlavis abgelöst, als sich der damalige Premier Reza Khan zum Shah (König) krönen lies. Sein Ziel war es, den Iran nach westlichem Vorbild umzustrukturieren, dies führte zu einer „Zwangsverwestlichung“, auch in den eher ruralen Gebieten. Dies beinhaltete eine Säkularisierung des Landes, was unter anderem zu einem Kopftuchverbot für Frauen führte. Als ölreiches Land stand der Iran lange Zeit unter dem Einfluss der damaligen Großmächte Russland und Großbritannien. Reza Chan versuchte den Iran vom Einfluss der Großmächte zu emanzipieren – ohne Erfolg. 1941 musste er daraufhin abdanken und Schah Mohammed Reza Pahlavi trat an seine Stelle. Dieser wurde generell als Vasall des Westens wahrgenommen.

Der Unmut über den Shah wuchs, da er sich immer weiter von der Lebensrealität der eigenen Bevölkerung entfernt hatte. Die Ungleichheiten im Land stiegen weiter und der Ölreichtum kam nur wenigen im Land zugute. Des Weiteren wurde jegliche freie Meinungsäußerung verboten. Es kam zu großen Protestbewegungen, welche die Flucht des Shahs zur Folge hatten.

1979 kehrte Ayatollah Khomeini aus dem Exil in den Iran zurück und wurde in der Folge die führende Person innerhalb der Revolution. Schon in den 60er Jahren hatte er die Abdankung des Schahs gefordert und war Kritiker der sozialen Ungerechtigkeit. Mit der Besinnung auf den Islam und die Forderung für mehr Gerechtigkeit konnte er die breite Bevölkerung für sich gewinnen und die Revolution vorantreiben. Die ursprünglich auch von linken und liberalen Kräften mitgetragene Revolution wurde immer mehr von den Anhänger_innen Ayatollah Khomeinis dominiert, Linke und Liberale wurden verdrängt.

1980 griff der Nachbarstaat Irak den Iran an und löste damit den ersten Golfkrieg aus. Der damit verbundene Kriegszustand ermöglichte es dem jungen Regime, repressiv gegen Rival_innen und Oppositionelle vorzugehen und ein autoritäres Regime zu etablieren, das republikanische mit theokratischen Elementen verbindet. Keineswegs unterstützen alle schiitischen Geistlichen dieses System und führende schiitische Geistliche standen immer wieder unter Hausarrest, allerdings sind bestimmte Geistliche, etwa Ayatollah Khomeinis Nachfolger als „Führer“ (Rahbar) Ali Hosseini Khamenei in wichtigen Positionen des Staates  und werden, im Gegensatz zum Staatspräsidenten, nicht gewählt.

Der Iran ist kein monolithischer Staat, sondern besitzt verschiedene politische Strömungen, die allerdings nur in einem sehr eng abgesteckten Rahmen legal sind.  Es gibt konservativere und reformorientiertere Strömungen. Wer das politische System der „Islamischen Republik“ grundsätzlich in Frage stellt, wird jedoch nicht zu Wahlen zugelassen und muss mit politischer Repression rechnen. Menschenrechtsaktivist_innen und politische Aktivist_innen von verbotenen politischen Gruppierungen werden immer wieder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. In Kurdistan, Balutschistan und den arabischen Regionen im Südwesten des Iran gibt es bis heute auch immer wieder Todesurteile gegen Aktivist_innen von Autonomiebewegungen. Die Todesstrafe wird auch gegen mit Drogen handelnde Menschen, manchmal aber auch gegen Ehebrecher_innen und Homosexuelle, verhängt.

Der Iran ist der Hauptrivale Saudi-Arabiens und der Türkei im Nahen Osten und unterstützt schiitische Milizen im Irak, Libanon, Syrien und Jemen. Er unterstützt die syrische Regierung im Bürgerkrieg und wird aufgrund seiner aggressiven Hegemonialpolitik im Irak zunehmend angefeindet.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Die meisten Iraner_innen in Österreich haben keine positiven Verbindungen mit dem iranischen Regime. Konflikte aus dem Herkunftsland werden äußerst selten in Österreich zum Thema. Da die Rivalität zwischen dem Iran einerseits und Saudi-Arabien und der Türkei andererseits allerdings immer wieder als konfessionalisierter Konflikt ausgetragen wird, ist es nicht ganz auszuschließen, dass das Thema Sunnit_innen vs. Schiit_innen in einer Schule zum Thema wird.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierungen und Mobbing in der Schule keinen Raum haben.

Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. In manchen Fällen kann es dabei auch sinnvoll sein, mit Religionslehrer_innen zu kooperieren, wenn diese von Schüler_innen als religiöse Respekts- und Auskunftspersonen ernst genommen werden und eine offene, respektvolle und wertschätzende Haltung zu anderen Konfessionen haben.

Literaturempfehlungen:

Gerhard Schweizer: Iran verstehen: Geschichte, Gesellschaft und Religion. Stuttgart, 2017

Charlotte Wiedemann: Der neue Iran. Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten. München, 2019

Monika Gronke: Geschichte Irans. Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. München, 2016

 

Autor_innen: Thomas Schmidinger, Ronya Alev

Islam

Religiöser und historischer Hintergrund:

Der Islam ist neben dem Christentum die zweitgrößte Weltreligion. Auch in Österreich ist der Islam die zweitgrößte Religionsgemeinschaft, sofern man Konfessionslose nicht als Religionsgemeinschaft betrachtet.

An sich wäre der Islam nur eine von mehreren Weltreligionen und eine von mehreren Formen der abrahamitischen monotheistischen Religionen. Durch weltpolitische und migrationspolitische Entwicklungen wurde der Islam in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings zunehmend zu einem Themenfeld politischer und gesellschaftlicher Debatten.[1]

Als Religion, die auf der christlichen und jüdischen Überlieferung aufbaut, sind viele der Glaubensgrundlagen ähnlich wie im Judentum und Christentum. Muslime glauben an genau einen Gott, eine unsterbliche Seele, besitzen eine Jenseitsvorstellung und verfügen letztlich über ähnliche ethische Grundsätze wie Christ_innen und Jüd_innen. In ihrer Gottesvorstellung ist der Islam dem Judentum jedoch näher als dem Christentum. Der Islam ist strikt monotheistisch und lehnt damit die in den meisten christlichen Kirchen vorhandene Vorstellung einer Dreifaltigkeit aus Gott Vater, Gott Sohn und dem Heiligen Geist ebenso ab, wie den v.a. im katholischen Christentum weit verbreiteten Heiligen- und Marienkult. Trotzdem wird Maria als Mutter des aus muslimischer Sicht Propheten Jesus geachtet. Göttlich ist allerdings lediglich Gott selbst als einheitliche personale Gestalt. Eine solche Gottesvorstellung gibt es auch im Judentum und gab es als Minderheitenströmung auch im frühen Christentum, ehe sich das Dogma der Trinität Gottes auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 durchsetzte und die Nicht- oder Antitrinitarier_innen aus der Reichskirche, der Vorläuferkirche der heutigen orthodoxen, katholischen und evangelischen Kirchen, ausgeschlossen wurden. Manche Islamwissenschaftler_innen setzen die Entstehung des Islams auch in den Kontext dieser frühen nichttrinitarischen Formen des Christentums.

Für (fast) alle Strömungen des Islams sind dabei die so genannten 5 Säulen des Islams die verbindlichen Voraussetzungen für ein muslimisches Leben:

  1. Glaubensbekenntnis „Schahāda“: Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer dem (einzigen) Gott gibt und Mohammed der Gesandte Gottes ist.
  2. Gebet: 5-mal täglich, in der Morgendämmerung, mittags, nachmittags, abends und nach Einbruch der Dunkelheit
  3. Almosensteuer (Zakat)
  4. Fasten während des Monats Ramadan
  5. Pilgerfahrt (Hag): einmal im Leben im Pilgermonat nach Mekka

Diese fünf Säulen bauen aufeinander auf. Das Glaubensbekenntnis ist die Basis. Zakat muss nur bezahlen wer über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Für das Fasten während des Ramadans ist entsprechendes Alter und Gesundheit erforderlich. Kinder vor der Pubertät sind nach einhelliger Meinung der islamischen Gelehrten nicht zum Fasten verpflichtet. Zudem gibt es Ausnahmen für Schwangere oder Reisende.

Unterschiedliche Strömungen des Islams:

Im Laufe der islamischen Geschichte hat sich der Islam – überwiegend aus politischen Gründen – in drei Hauptrichtungen gespalten: Sunnit_innen, Schiit_innen und Kharajit_innen, aus denen die heute noch existierenden Ibadit_innen hervorgegangen sind. In den Auseinandersetzungen der Gruppen ging es ursprünglich um die Nachfolgefrage für den Propheten Mohammed als Führer des weltlichen Gemeinwesens der Muslime. Nach der Abspaltung der Kharajit_innen spalteten sich mit der Schlacht von Kerbala, bei der Hussein, der Enkel des Propheten 680 n.Chr. getötet wurde, Schiit_innen (Schia) und Sunnit_innen (Sunna).

Während sich innerhalb des sunnitischen Islams vier Rechtsschulen entwickelten, die sich gegenseitig als rechtgläubig anerkennen (Schafiiten, Hanafiten, Hanbaliten und Malikiten), spaltete sich die Schia an der Frage der Imamatsfolge in weitere Gruppen auf: 12er-Schia (Immamiten, Staatsreligion im Iran, Mehrheit in Aserbeidschan, Irak und Bahrain, Südlibanon), Zaiditen (im Norden des Jemen) und Ismailiten, wobei sich letztere wiederum in Qaramaten (heute verschwunden), Nizaris (Khojas) und Bohras (Mustalis) spalteten. Selbst die Nizaris (Khojas) spalteten sich in die Mu’miniten in Syrien und die Hauptströmung, die heute dem Aga Khan folgen, und auch die Bohras haben sich wiederum in verschiedene Gruppen aufgesplittert.

Unter schiitischem Einfluss entwickelten sich zudem stark heterodoxe Richtungen wie die Alawit_innen, Alevit_innen, Drus_innen oder Ahl al-Haqq (Yarsan), die oft vor- und außerislamische Traditionen mit islamischen Einflüssen mischten und die von konservativen Muslimen als „unislamisch“ betrachtet werden. Diese Strömungen betrachten auch die fünf Säulen des Islams nicht als verbindlich und in einigen dieser Gruppen gibt es interne Diskussionen ob diese überhaupt zum Islam zu rechnen sind. So gibt es auch Alevit_innen, Drus_innen oder Angehörige der Yarsan, die ihre Religionsgemeinschaften als eigenständige Religionsgemeinschaften außerhalb des Islams betrachten, was etwa bei den Alevit_innen auch in Österreich immer wieder zu Konflikten zwischen verschiedenen alevitischen Gruppierungen führt.

Aus dem schiitischen Islam entwickelte sich im Iran im 19. Jhd. auch der Babismus bzw. die Bahai, die sich selbst nicht mehr als Muslime, sondern als weitere Weltreligion verstehen.

In Britisch-Indien wurde im 19. Jahrhundert von Mirza Ghulam Ahmad mit der Ahmadiyya eine neue heterodoxe Richtung des Islams gegründet, die von vielen Sunniten als „unislamisch“ betrachtet wird und auf deren Mitgliedschaft in Pakistan theoretisch die Todesstrafe steht. Nach dem Tod des Gründers spalteten sie sich an der Nachfolgefrage in die Qadiani (AMJ) und Lahori (AAIIL).

Aus der sunnitischen Tradition stammt die strikt puritanische sunnitische Sekte des Wahhabismus, der Staatsreligion Saudi-Arabiens, die gemeinsam mit anderen innerislamischen Reformbewegungen einer der Nährböden für den politischen Islam im 20. Jahrhundert wurde.

Weltweit gehören über 85% der Muslime dem sunnitischen Islam an. Die verschiedenen Strömungen der Schia machen etwas mehr als 10% aus (die überwiegende Mehrheit Imamiten). Die Ibaditen machen weniger als 1% des Islams aus und bilden lediglich im Oman die dominierende Form des Islams.

Konfessionalisierung und regionale Konflikte im Nahen Osten:

Mit dem schiitischen Iran und dem wahhabitischen Saudi-Arabien haben die beiden wichtigsten Rivalen um die politische Hegemonie im Nahen Osten unterschiedliche Ausrichtungen des Islams als jeweilige Staatsreligion. Der dritte große Rivale, die Türkei, hat sich in den letzten Jahren unter der Herrschaft von Recep Tayyip Erdoğan ebenfalls zunehmend in ein sich religiös legitimierendes Herrschaftssystem verwandelt, das eng mit Qatar und der so sunnitischen politisch-islamischen Bewegung der Muslimbruderschaft kooperiert.

Alle drei Staaten benutzen ihre jeweiligen islamischen Strömungen für regionale Machtpolitik. Der Iran unterstützt verschiedene schiitische Milizen im Irak, Iran, Libanon und Jemen. Saudi-Arabien unterstützt salafitisch-wahhabitische Gruppierungen und Kämpfer in Syrien und in anderen Staaten der Region und die Türkei und Qatar unterstützen ebenfalls politische und militärische Akteure in Syrien oder im Irak. Alle drei verwenden dabei Religion auch als Teil ihrer soft power und heizen damit konfessionelle Konflikte an, bzw. tragen dazu bei, dass politische Konflikte zunehmend konfessionalisiert werden und als konfessionelle Konflikte wahrgenommen werden.

Islam in Österreich:

In Österreich dominiert ebenfalls der weltweit am stärksten verbreitete sunnitische Islam, der auch die offiziell staatlich anerkannte Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) dominiert. Die IGGÖ umfasst allerdings auch Teile der schiitischen Muslime und versteht sich in ihrem Selbstverständnis nicht als ausschließlich sunnitische Glaubensgemeinschaft. Während v.a. der pro-iranische Teil der schiitischen Muslime innerhalb der IGGÖ organisiert ist, ist der am obersten irakischen Geistlichen Ayatollah Sistani orientierte Teil der Schiit_innen in einer eigenen Islamische-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia) organisiert, die allerdings nur als Religiöse Bekenntnisgemeinschaft und nicht als anerkannte Religionsgesellschaft registriert ist.

Größer als in vielen anderen Staaten Europas ist der Anteil der Alevit_innen in Österreich, die als heterodoxe Religionsgemeinschaft immer wieder in ihrem Herkunftsland Türkei verfolgt wurden und deshalb oft ein schwieriges Verhältnis zum sunnitischen Islam haben. Während sich jene Alevit_innen, die sich in der offiziell anerkannten Alevitischen Religionsgemeinschaft organisieren und als Teil des Islams verstehen, gibt es daneben seit 2013 auch noch eine überwiegend aus kurdischen Alevit_innen bestehende Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) als Religiöse Bekenntnisgemeinschaft und die Föderation der Aleviten in Österreich, die sich als eigenständige, außerhalb des Islams positionierte Religionsgemeinschaft versteht, allerdings seit Jahren um eine offizielle Anerkennung als Religionsgesellschaft kämpft ohne diese bislang erreicht zu haben.

Schule und Islam

Lediglich die IGGÖ und die Alevitische Religionsgemeinschaft genießen in Österreich den Status einer anerkannten Religionsgesellschaft und haben damit das Recht an Schulen konfessionellen Religionsunterricht zu geben. Mitglieder der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia) und der Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) haben zumindest das Recht, dass ihr jeweiliges Bekenntnis auf Zeugnissen vermerkt ist, sie also nicht als „ohne religiöses Bekenntnis“ geführt werden.

In Wien gibt es zudem mehrere von der IGGÖ anerkannte konfessionelle islamische Privatschulen unterschiedlicher Ausrichtung. Eine alevitische konfessionelle Privatschule gibt es bislang keine.

Auf religiöse Speisevorschriften wird in Regelschulen meist bislang wenig Rücksicht genommen. Dabei wäre es auch für Nichtmuslime kein Problem halal zu essen oder aus gesundheitlichen Gründen in Schulkantinen überhaupt auf Fleischprodukte zu verzichten, die ja dann in den jeweiligen Familien zu Hause genossen werden können.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Grundsätzlich ist auch ein gelebter Islam keinerlei Hinderungsgrund, an einer Klassengemeinschaft und am Unterricht ganz normal teilzunehmen. Pflichtgebete können zu anderen Zeiten nachgeholt werden. Kinder vor der Pubertät sind in allen Rechtsschulen des Islams vom Fasten während des Ramadans ausgenommen und es gibt keinerlei Konsens unter Religionsgelehrten, dass etwa der Schwimm- oder Sportunterricht für Mädchen verboten wäre. In Einzelfällen kommt es aber immer wieder vor, dass Mädchen behaupten, dass sie aus religiösen Gründen nicht am Schwimm- oder Turnunterricht teilnehmen wollen, was allerdings oft ein vorgeschobenes Argument ist. In vielen Fällen stellt sich heraus, dass die Religion nur als Argument benutzt wird, während andere Gründe für eine solche Verweigerungshaltung vorliegen, wie beispielsweise finanzielle Probleme.

Untersagen Eltern muslimischen Schüler_innen die Teilnahme an Klassenfahrten, sollte unbedingt das Gespräch mit den Eltern gesucht werden. Sollten tatsächlich religiös begründete Bedenken gegen die Teilnahme ihrer Töchter vorliegen, sollte versucht werden, über Religionslehrer_innen oder andere religiöse Respektspersonen dahingehend zu intervenieren, dass eine Teilnahme ermöglicht wird. Werden Schüler_innen von ihren Familien dennoch von der Teilhabe an Schulveranstaltungen, Skiwochen oder Unterricht abgehalten, so kann dies eine Kindeswohlgefährdung darstellen und muss der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) gemeldet werden.

Auch die politische und gesellschaftliche Debatte über den Islam in Österreich, allerdings auch Konflikte in Herkunftsregionen von Migrant_innen können sich auf verschiedenste Weise auf das Klima in einer Klassengemeinschaft auswirken. Es gibt in Österreich eine Reihe von Beispielen, wo es zu Mobbing gegen muslimische Schüler_innen durch rassistische, ethnozentristische oder islamfeindliche Mitschüler_innen gekommen ist, allerdings sind auch diskriminierende Äußerungen von Lehrer_innen durchaus keine Seltenheit. Solche Signale von Lehrer_innenseite wiegen umso schwerer, weil sie auch Mitschüler_innen signalisieren, dass antimuslimische Ressentiments geduldet und sogar befördert werden.

Zugleich sind auch einige Fälle bekannt, in denen muslimische Schüler_innen sich salafistischen oder gar jihadistischen Strömungen des Islam zugewandt haben und damit extremistische Positionen vertreten haben. Dieser Trend, der insbesondere 2014/2015 im Zuge der Hochphase des so genannten „Islamischen Staates“ ausgeprägt war, ist allerdings seither wieder im Abklingen begriffen. 2015 wurden einige der Symbole dieser Strömungen verboten, 2019 wurden diese Verbote noch durch Verbote von politisch-islamischen Gruppierungen ergänzt, die zwar nicht jihadistisch oder terroristisch sind, allerdings vom damaligen Gesetzgeber ebenfalls als extremistisch gewertet wurden.

Abbildung 1: Fahne des so genannten „Islamischen Staates“, seit 2015 in Österreich verboten.

Abbildung 2: Symbol der Muslimbruderschaft, seit 2019 in Österreich verboten.

Abbildung 3: Fahne der libanesischen Hisbollah, seit 2019 in Österreich verboten.

Auch wenn der Hype um den so genannten „Islamischen Staat“ durch dessen militärische Niederlagen wieder abgeschwächt ist, ist damit die jihadistische Ideologie nicht völlig verschwunden. Auch andere, gemäßigtere Formen eines politischen Islams können durchaus zu Konflikten in der Schule führen, dies betrifft insbesondere Communities mit entsprechenden Konflikten in den Herkunftsländern von Schüler_innen mit Migrationshintergrund.

Dass sunnitische Schüler_innen aus der Türkei alevitische Schüler_innen mobben, ist etwa seit vielen Jahren immer wieder Thema an Schulen in ganz Österreich gewesen. Auch Schüler_innen aus der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaft der Jesidi berichteten bereits über Diskriminierung und Mobbing durch islamische Mitschüler_innen und wagen es manchmal nicht einmal, ihre religiöse Identität bekannt zu machen. Jesid_innen wurden auch bereits von Schulen in den muslimischen Religionsunterricht eingegliedert, da sie ungefragt aufgrund ihrer Herkunftsstaaten zu den Muslimen gerechnet wurden.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum haben.

Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. In manchen Fällen kann es dabei auch sinnvoll sein, mit Religionslehrer_innen zu kooperieren, wenn diese von Schüler_innen als religiöse Respekts- und Auskunftspersonen ernst genommen werden und eine offene, respektvolle und wertschätzende Haltung zu anderen Konfessionen haben.

Im Falle von religiösem Extremismus ist es eine Möglichkeit, sich auch externe Unterstützung, etwa durch die Beratungsstelle Extremismus, zu holen. Allerdings kann auch in der Schule selbst mit einer gemeinsamen Intervision zum Thema durch die verschiedenen Lehrkräfte gegengesteuert werden. Dasselbe gilt auch für antimuslimischen Extremismus oder für Diskriminierungen von sunnitischen, schiitischen, alevitischen oder jesidischen Schüler_innen.

Untersagen Eltern muslimischen Schülerinnen die Teilnahme an Klassenfahrten, sollte unbedingt das Gespräch mit den Eltern gesucht werden. Sollten tatsächlich religiös begründete Bedenken gegen die Teilnahme ihrer Töchter vorliegen, sollte versucht werden, über Religionslehrer_innen oder andere religiöse Respektspersonen dahingehend zu

intervenieren, dass eine Teilnahme doch ermöglicht wird. Werden Schüler_innen von ihren Familien dennoch von der Teilhabe an Schulveranstaltungen, Skiwochen oder Unterricht abgehalten, so kann dies eine Kindeswohlgefährdung darstellen und muss der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) gemeldet werden.

Sollte der Wunsch bestehen, dass in Schulkantinen Nahrungsmittel verkauft werden, die für religiöse Muslim_innen halal sind, spricht überhaupt nichts dagegen, diesen Wunsch zu berücksichtigen. Schließlich können auch Nichtmuslime problemlos Halal-Nahrungsmittel essen. Hier ist ein offener Dialog mit Schüler_innen und Eltern empfehlenswert. Problematisch kann es sein, wenn Schüler_innen nach ihrer Pubertät darauf bestehen, während des Ramadans zu fasten, dies aber kaum schaffen und ihre Konzentration darunter leidet. Auch hier ist es ratsam, mit den Schüler_innen in einen kritischen Dialog zu treten und eventuell auch Religionslehrer_innen einzubinden. Ziel muss es hier jedenfalls sein, gesundheitliche Schäden bei Jugendlichen sowie Bildungsnachteile zu vermeiden.

Literaturempfehlungen:

Rüdiger Lohlker: Islam. Eine Ideengeschichte. Wien, 2008

Annemarie Schimmel: Die Religion des Islam. Eine Einführung. Stuttgart, 1990

Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams. Frankfurt am Main, 2011

 

Autor: Thomas Schmidinger

[1] Dies dürfte auch der Grund sein, warum von den Pädagog_innen, die in die Vorbereitung dieses Portals eingebunden waren, der explizite Wunsch geäußert wurde, auch ein Informationsblatt über den Islam zu inkludieren.

Jihadismus

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Jihadismus basiert zwar auf verschiedenen Formen des Politischen Islams, stellt allerdings eine extremistische Weiterentwicklung derselben dar, die historisch seit den 1960er-Jahren entstanden ist und im Afghanistan-Krieg der 1980er-Jahre gegen die Sowjetunion erstmals manifest wurde. Dort entstanden – zunächst noch mit Unterstützung westlicher Geheimdienste – jene Netzwerke, die ab 1993 unter dem Namen al-Qaida als erste global agierende jihadistische Terrororganisation unter Usama (Osama) bin Laden zu agieren begannen.

Der Jihadismus als Ideologie im engeren Sinne unterscheidet sich auch von anderen Formen des politischen Islams durch seinen ideologischen Bruch mit dem Mainstream-Islam und sein globales Projekt der vermeintlichen Wiedererrichtung eines globalen Khalifats aller Muslim_innen bzw. all jener Muslim_innen, die aus jihadistischer Sicht als Muslim_innen zu betrachten sind. Mainstream-Muslim_innen werden nämlich von Jihadist_innen als Apostat_innen betrachtet, also als vom Glauben Abgefallene, die zu bekämpfen sind. „Takfir“, also die „Zu-Nichtmuslimen-Erklärung“ von Muslimen, die aus jihadistischer Sicht vom Glauben abgefallen sind, wird von allen jihadistischen Gruppen betrieben, allerdings durchaus in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Konsequenzen. Versuchte die al-Qaida unter ihrem damaligen Gründer Osama bin Laden noch, die Mehrheit der Muslim_innen vom eigenen Projekt zu überzeugen, erklärte der IS (Islamischer Staat) nicht nur die Schiit_innen, sondern auch die Mehrheit der Sunnit_innen zu Nichtmuslim_innen.

Noch extremer praktiziert dies die Gruppe um den saudischen Prediger Ahmad al-Hazimi, dessen Anhänger_innen – bis zu einem internen Konflikt innerhalb des IS – auch in diesem sehr wichtige Positionen bezogen und die auch in Österreich über eine kleine Anhängerschaft verfügt. Im März 2015 fiel Abu Jafar al-Hattab, der bis dahin eines der höchsten Richterämter im IS besetzt hatte und zu den engsten Schülern al-Hazimis zählte, in Ungnade und wurde wegen seines extremen Takfirismus durch den IS hingerichtet. Die Hauptdifferenz von Abu Jafar al-Hattab und al-Hazimi zum späteren Mainstream des IS liegt in der Frage des so genannten Kettentakfirs. Aus Sicht von al-Hazimi schützt „Unwissenheit“ nicht vor Apostasie. Wer also „nicht wisse“, dass die Mehrheit der Muslim_innen vom Glauben abgefallen wäre und selbst diese Muslim_innen nicht zu Nichtmuslim_innen erkläre, wäre allein schon deshalb auch selbst vom Glauben abgefallen, also ein_e Apostat_in. Dies ging selbst der Führung des IS irgendwann zu weit, da sich damit zwar vielleicht eine extremistische Sekte, aber eben mit Sicherheit nicht das erträumte Khalifat aufbauen ließe und immer mehr überzeugte Jihadisten unter Abu Jafar al-Hattab wegen Apostasie hingerichtet worden waren.

Der IS musste sich schließlich bei allem ideologischen Extremismus in machtpolitischen Fragen als pragmatisch erweisen, wollte er nicht sämtliche Stämme und konservativen Muslim_innen unter seiner Herrschaft gegen sich aufbringen.

Der IS betrieb zunächst eine durchaus erfolgreiche Machtpolitik, die auf einem Bündnis mit der im Untergrund aktiven irakischen Baath-Partei und der Inklusion lokaler sunnitisch-arabischer Stämme basierte, die sich durch die schiitisch dominierte irakische Regierung in Bagdad oder durch das alawitisch dominierte Regime in Syrien marginalisiert fühlten.

Der militärische Sieg über den IS kam für viele seiner Opfer zu spät. Obwohl der vor vier Jahren stattfindende Genozid gegen die Êzîdî von Sinjar oder die Vertreibung der christlichen AssyrerInnen und der Shabak aus der Niniveh-Ebene mindestens seit der Einnahme Mosuls im Juni 2014 absehbar war, waren weder die USA oder Europa, noch Russland oder der Iran in der Lage oder willens diese genozidalen Verbrechen aufzuhalten. Auch wenn seither Sinjar und die Niniveh-Ebene befreit wurden, so leben viele der Überlebenden bis heute als intern Vertriebene in Lagern im Irak oder als Flüchtlinge in Europa.

Nicht nur der IS, sondern auch andere jihadistische Gruppen konnten überall dort von der politischen Situation profitieren, wo massive soziale und politische Verwerfungen zu langwierigen Bürgerkriegen führten. Unter rivalisierenden Para-Staaten können sich auch Jihadist_innen als Ordnungsmacht immer wieder zumindest kurzfristig behaupten. Dies gilt für Afghanistan genauso wie für den Jemen, Libyen oder Somalia. Die Attraktivität dieser regionalen Akteure für europäische Muslime ist jedoch meist relativ begrenzt. Zwar gingen einzelne – meist jüngere – Muslime aus Europa schon vor der Etablierung des IS auch nach Afghanistan oder Somalia, die Massen zog allerdings erst die Ausrufung des „Khalifats“ und der politische und militärische Erfolg des IS 2014 an.

Die Fahne des IS ist seit 2015 in Österreich verboten.

Mit der militärischen Niederlage des IS ist dieser auch für seine europäischen Sympathisant_innen deutlich unattraktiver geworden. Das Phänomen der Jihad-Reisenden nach Syrien oder in den Irak ist mittlerweile v.a. aufgrund der militärischen Niederlage des IS in der Region zum Erliegen gekommen.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass Ideologien aus dem jihadistischen Bereich ihre Attraktivität verloren hätten. Die Szene in Europa ist heute allerdings viel gespaltener und demoralisierter als 2014. Was allerdings geblieben ist, ist die Attraktivität der Botschaft des Jihadismus für Teile der meist sozial schlechter gestellten oft schon in Europa aufgewachsenen muslimischen Jugendlichen. Hier spielt das revolutionäre und utopische Moment des Jihadismus eine zentrale Rolle.

Nachdem die europäischen Eliten seit dem Ende der Sowjetunion das vermeintliche „Ende der Geschichte“ verkündeten und jegliche Debatten über Systemalternativen bestenfalls ins Reich der Spinnerei verbannten, brachte der IS 2014 die Geschichte auf denkbar brutalste Weise zurück. Dass sich der Jihadismus des Reichs der Utopie bemächtigen konnte, liegt einerseits an der Hegemonie des neoliberalen Diskurses vom Ende der Geschichte und der Alternativlosigkeit der liberalen Demokratie, andererseits aber auch an der Schwäche anderer progressiver Alternativen. Der seit Jahren wachsende Rassismus gegen Muslime sorgt nach wie vor dafür, dass sich junge Muslime diskriminiert fühlen und fördert damit ebenso einen Nährboden für jihadistische Agitation.

In Österreich sind durch den Misserfolg des IS, aber auch durch den behördlichen Verfolgungsdruck, heute jihadistische Aktivitäten unter Jugendlichen deutlich zurückgegangen und andere Formen des Politischen Islam, aber auch etwa verschiedene Formen des Rechtsextremismus, deutlich attraktiver geworden. In Kleingruppen halten sich allerdings verschiedene Formen jihadistischer Ideologien. Die Szene ist heute deutlich diversifizierter und gespaltener. Es dominieren nicht mehr Gruppen mit unmittelbarer Nähe zum IS, sondern andere Strömungen, wie etwa jene von al-Hazimi, die durch die Niederlage des IS nicht in Argumentationsnotstand kamen. Ernüchternd für die Szene stellte sich auch heraus, dass der für lange Zeit wichtigste Propagandist der IS-Ideologie in Österreich, Mohamed Mahmoud im IS in Ungnade fiel und im November 2018 in einem IS-Gefängnis einem amerikanischen Luftwaffenangriff zum Opfer fiel.

Als Herausforderung stellt sich für die Zukunft allerdings die (allerdings relativ kleine) Zahl an Rückkehrer_innen dar, von denen einige Kinder haben. Auch einige der jihadistischen Propagandist_innen, die nicht nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, haben mittlerweile Kinder, die in den nächsten Jahren ins schulpflichtige Alter kommen und bereits als Kinder der Ideologie ihrer Eltern ausgesetzt waren.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

2014/2015 waren Sympathiebekundungen für den IS durchaus an vielen Schulen zu hören. Teilweise wurden diese als Provokation getätigt, allerdings gab es auch Fälle wirklicher jihadistischer Radikalisierung an Schulen, die für einige Schüler_innen in der Ausreise in den IS endeten. Dieses Phänomen ist vorerst völlig zum Erliegen gekommen, was sich allerdings bei einem möglichen Wiederaufleben des IS wieder ändern könnte. In den nächsten Jahren werden auch einige der Kinder der jihadistischen Jugendlichen von 2014/2015 ins schulpflichtige Alter kommen. Hier wird zu beobachten sein, was dies bedeutet, ohne diese Kinder gleich zu stigmatisieren.

Mittlerweile sind jedoch auch Opfer des IS an österreichischen Schulen, Kinder von Geflüchteten aus Syrien und dem Irak, darunter auch Angehörige von religiösen Minderheiten wie den Jesid_innen oder Christ_innen, die Vertreibung und Genozid erlitten haben. Sollten solche Kinder auf Anhänger_innen oder auch nur Verharmloser_innen des IS treffen, können schwere Konflikte entstehen und Traumatisierungen getriggert werden.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Sollten Sie befürchten, dass Jugendliche sich jihadistisch radikalisieren, sollten diese Jugendlichen weder vorschnell verurteilt (und damit noch mehr in diese Richtung gedrängt) werden, noch sollte dem Problem aus dem Weg gegangen werden. Es macht Sinn, sich mit Kolleg_innen und Eltern auszutauschen und zu versuchen, die Jugendlichen aufzufangen, allerdings auch Ihre inhaltliche Ablehnung der Ideologie – bei gleichzeitiger Wertschätzung gegenüber der_dem Jugendlichen – zum Ausdruck zu bringen. Weitere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte der Kurzinformation „Radikalisierung“. In vielen Fällen macht es auch Sinn, mit Religionslehrer_innen und Schulpsychologie Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam zu beraten, wie die betroffenen Schüler_innen von einer weiteren Radikalisierung abgebracht werden können. Auch die Beratungsstelle Extremismus steht für Lehrer_innen zur Verfügung, die sich diesbezüglichen Rat holen wollen.

Bei Konflikten zwischen sunnitischen Muslim_innen und Opfern des Jihadismus ist es auch wichtig, zu erkennen, ob es sich tatsächlich um Mobbing handelt oder ob Traumata durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Das individuelle Erleben von Traumatisierten ist auch dann unbedingt ernst zu nehmen, wenn dieses nur getriggert wurde, benötigt aber eine andere

Reaktion als bei Mobbing. In solchen Fällen wäre unbedingt professionelle Hilfe für die Traumatisierten, etwa durch eine Psychotherapie, ratsam. Die Schulpsychologie kann in solchen Situationen ein erster Ansprechpartner sein.

Literaturempfehlungen:

Thomas Schmidinger: Jihadismus – Ideologie, Prävention und Deradikalisierung. Wien, 2015

Peter R. Neumann: Der Terror ist unter uns: Dschihadismus und Radikalisierung in Europa, Berlin, 2016

Rüdiger Lohlker: Theologie der Gewalt. Das Beispiel IS, Wien, 2016

 

Autor: Thomas Schmidinger

Kosovo

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Kosovo war bereits unter Osmanischer Herrschaft ein multiethnisches Gebiet Südosteuropas in dem Menschen mit verschiedenen Sprachen und Religionen lebten. Während des Osmanischen Reiches bildete die religiöse Zugehörigkeit das entscheidende Kriterium für die Zuordnung zu einem Kollektiv und nicht Sprache oder Nation. Viele Kosovar_innen waren und sind bis heute auch Mehrsprachig und sprechen sowohl Albanisch, als auch Serbisch und/oder Türkisch. Ethnizität/Nationalität wurde erst im 20. Jahrhundert mit dem Entstehen der modernen Nationalismen und der Nationalstaaten Südosteuropas zum entscheidenden Kriterium. Orthodoxe Christ_innen wurden so zu Serb_innen, auch dann, wenn sie ursprünglich Albanisch oder Aromunisch/Wlachisch, eine romanische Sprache Südosteuropas, sprachen. Muslime gingen teilweise in der Albanischen Nationalität auf, selbst wenn sie mehrsprachig waren. Kleinere Minderheiten von slawischen Muslimen oder Katholik_innen, Kosovo-Türk_innen, Roma und andere blieben bestehen und wurden durch die großen Nationalismen teilweise marginalisiert.

1912 besetzte die serbische Armee den Kosovo und ging mit großer Brutalität gegen Teile der muslimischen Bevölkerung vor. Nach der Besetzung des Kosovo durch Österreich-Ungarn und Bulgarien im ersten Weltkrieg, wurde im Königreich Jugoslawien dann eine systematische Ansiedlung von Serb_innen betrieben um die als Wiege der serbischen Kultur überhöhte Region an den serbischen Staat zu binden. Während des zweiten Weltkrieges wurden große Teile des Kosovo an das „Königreich Albanien“ unter italienischer Herrschaft angeschlossen und schließlich 1943 vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt.

Nach dem Sieg des antifaschistischen Widerstands der Partisanen und der Errichtung der Erst 1974 erhielt der Kosovo in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien einen Status als Autonome Region innerhalb der Teilrepublik Serbien. Albanische Aktivist_innen kämpften zwar weiter um eine eigene Teilrepublik Kosovo, allerdings hatten die Albaner_innen damit mehr Rechte als je zuvor, Rechte, die ihnen allerdings durch den Aufstieg des serbischen Nationalisten Slobodan Miloševićs in Serbien 1989 wieder genommen wurden. Am 23. März 1989 wurde durch eine Verfassungsänderung die Autonomie weitgehend abgeschafft. Mit Miloševićs sogenannter Amselfeld-Rede am 28. Juni 1989 machte sich die serbische Parteiführung den serbischen Nationalismus endgültig zu eigen, was auch in anderen Teilen Jugoslawiens zu Ängsten vor einer serbischen Übernahme führte und nationalistische Kräfte in Slowenien und Kroatien beflügelte, die sich schließlich von Jugoslawien abspalten sollten.

Während die Kosovoalbaner_innen vorerst gewaltfreien Widerstand leisteten und einen so genannten „Schattenstaat“ aufbauten, versuchte die serbische Regierung den Kosovo zu serbisieren. Albaner_innen wurden aus Ämtern und Jobs gedrängt und durch Serb_innen ersetzt. Da der gewaltlose Widerstand der albanischen Bevölkerung zu keinem Erfolg führte begannen immer mehr junge Albaner in einem Guerillakrieg eine mögliche Alterative zu sehen. Ab 1996 führte die „Befreiungsarmee des Kosovo (Albanisch: Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) einen solchen Guerillakrieg gegen die Jugoslawische Volksarmee und die serbischen staatlichen Strukturen im Kosovo, der von Serbien wiederum mit extremer Repression und brutaler Aufstandsbekämpfung beantwortet wurde. Anschläge der UÇK trafen wiederum nicht nur militärische Ziele sondern auch serbische Zivilist_innen und einzelne Albaner_innen, die als Kollaborateure gesehen wurden.

1998 führte die UÇK eine Offensive durch, bei der erstmals Territorium erobert wurde, das allerdings nicht gehalten werden konnte. In der Folge kam es zu Vertreibungen albanischer Zivilist_innen durch serbische Militärs und Paramilitärs. Bis zum Sommer 1998 registrierten die UN-Hilfsorganisationen rund 50.000 bis 60.000 Vertriebene im Kosovo.

Die Bilder von Vertriebenen, die durch die Weltpresse gingen, v.a. aber die Ereignisse von Račak vom Jänner 1999, die als Massaker von Račak bekannt wurden, führten zu einer breiten Zustimmung für einen Angriff einer NATO-Koalition auf Serbien, der im 1999 begann. Nach der Einstellung der Kampfhandlungen am 10. Juni 1999 wurde der Kosovo von NATO-Truppen besetzt und die serbische Armee musste aus der Region abziehen. Mit ihr flohen nun tausende Serb_innen und Roma nach Serbien oder in den noch überwiegend serbisch besiedelten Norden des Kosovo. Die Region wurde mit der UN-Resolution 1244 der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) unterstellt.

Im Großteil des Landes wurden seither zivile Strukturen unter dem Schutz der KFOR (Kosovo Force) aufgebaut, die am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Kosovo ausriefen. Diese Unabhängigkeit wurde bisher von 114 Staaten weltweit anerkannt, darunter 23 der 28 EU-Mitgliedsstaaten. Allerdings anerkennen Serbien und Russland den Kosovo genauso wenig an, wie Indien, China, Brasilien oder viele afrikanische Staaten. Auch die Autorität der kosovarischen Autoritäten im serbisch dominierten Nordkosovo ist bis heute sehr schwach ausgeprägt. Zudem gilt bis heute die UN-Resolution 1244. Neben der UNMIK, die v.a. im Nordkosovo weiter eine wichtige Rolle spielt, hat auch die seit 2008 operierende Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (EULEX Kosovo) gewisse souveränitätsbeschränkende Funktionen.

Der endgültige Status des Kosovo ist mangels einer Anerkennung durch Serbien bis heute damit nicht geklärt. Pläne für einen Gebietsaustausch der serbisch besiedelten Teile des Nordkosovo mit albanisch besiedelten Gebieten in Südserbien werden seit 2018 diskutiert, sind allerdings sowohl bei kosovarischen Serb_innen, also auch bei Kosovoalbaner_innen hochgradig umstritten.

Im Land gibt es zudem große ökonomische und soziale Probleme, die insbesondere unter Jugendlichen zu großer Unzufriedenheit führen. Während sich viele junge Kosovar_innen eher einer linksnationalistischen politischen Strömung zuwendeten, gibt es parallel dazu auch ein anwachsen salafitischer und jihadistischer Gruppen. Kein Land Europas hatte pro Kopf einen höheren Anteil an Kämpfern des „Islamischen Staates“ (IS) in Syrien als der Kosovo. Auch wenn dies insgesamt noch immer kleine Gruppen sind, so sind sie doch ein Indikator für eine wachsende Unzufriedenheit und Perspektivenlosigkeit der jüngeren Generation, die zunehmend den Glauben an eine europäische Zukunft des Landes verliert. Die mangelnde internationale Anerkennung, verunmöglicht bislang einen EU-Beitrittsprozess, was andere regionale Mächte, wie die Türkei immer bedeutender werden lässt. Nach der Ablehnung von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien und Mazedonien ist eine europäische Perspektive für den Kosovo noch unwahrscheinlicher geworden.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:
Im Falle einer Gruppenbildung von serbisch- und albanisch-stämmigen Schüler_innen in der Klasse kann es zu Konflikten zwischen diesen kommen, wenn es in der Region wieder zu Spannungen kommen könnte. Derzeit sind diese allerdings allenfalls latent vorhanden. Es besteht daher eher die Gefahr, dass andere Konflikte in der Klasse, wenn diese zufällig Schüler_innen serbischer oder kosovoalbanischer Herkunft betreffen, „ethnisch“ gedeutet werden als, dass dies wirklich zur Ursache von Konflikten wird. Sollten salafitische und jihadistische Gruppen im Kosovo in Zukunft verstärkt Zulauf erhalten, könnte dies ebenfalls Auswirkungen auf die kosovo-albanische Diaspora haben.

Mögliche Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:
Bleiben Sie generell aufmerksam wenn es um Mobbing in der Klasse geht. Sollten Sie sehen, dass Konflikte ethnisiert werden oder Schüler_innen aufgrund dieses Themas von anderen Schüler_innen schlecht behandelt werden, dann gehen Sie dem Thema nicht aus dem Weg, sondern bringen Sie es zur Sprache, versuchen Sie den Konflikt zu thematisieren und damit auch zu rationalisieren. Versuchen Sie in diesem Falle allerdings zugleich herauszufinden ob nicht völlig andere Konflikte ethnisiert wurden und diese Konflikte zu lösen wären.

Autor: Thomas Schmidinger

Literaturempfehlungen:
Thomas Schmidinger: Kosovo. Geschichte und Gegenwart eines Parastaates. Wien, 2019

Oliver Jens Schmitt Kosovo. Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landschaft. Wien/Köln/Weimar, 2008

Noel Malcolm: Kosovo. A Short History. London, 2002

Kurdistan

Politischer und historischer Hintergrund:

Als Kurdistan wird seit Jahrhunderten die Region bezeichnet, in der Kurd_innen die Mehrheitsbevölkerung bilden. Die Grenzen dieser Region waren nie festgeschrieben und die Mehrheiten in den betreffenden Regionen änderten sich auch im Laufe der Geschichte – so bildeten die Kurd_innen in manchen Regionen der heutigen Türkei erst nach dem Genozid an der armenischen und assyrischen Bevölkerung 1915 die Mehrheit – allerdings existiert der Begriff als Bezeichnung einer Region bereits länger als die einzelnen Nationalstaaten, zu denen heute die verschiedenen Teile Kurdistans gehören. Kurd_innen leben seit Jahrhunderten in diesem Gebiet, sprechen eine eigene Sprache – bzw. mehrere eigene Sprachen, je nachdem ob die verschiedenen Formen des Kurdischen als eigene Dialekte oder Sprachen gewertet werden.

Die politischen Konflikte zwischen den kurdischen politischen Bewegungen – die um Autonomie oder Unabhängigkeit für die Kurd_innen kämpfen – und den Nationalstaaten zu denen dieses Territorium gehört, gehen letztlich auf die Nationalismen des 20. Jahrhunderts und die Aufteilung der Region nach dem 1. Weltkrieg zurück.
Während die Türkei bereits unter ihrem Republiksgründer Mustafa Kemal (Atatürk) die Existenz der Kurd_innen zu leugnen begann und von diesen nur noch als „Bergtürken“ sprach, wurden sie im Iran durchaus als sprachliche und kulturelle Minderheit aber ohne politische Rechte akzeptiert. Selbst im Irak, in dem es unter Saddam Hussein in den 1980er-Jahren zu einer genozidalen Aufstandsbekämpfung im Rahmen der so genannten Anfal-Kampagne und zu den Giftgasangriffen auf kurdische Städte und Dörfer kam, wurde die Existenz der Kurd_innen nie geleugnet. In Syrien wurden sie zu Migrant_innen aus der Türkei erklärt. Letztlich blicken die kurdischen Bevölkerungen in der Türkei, Syrien, Irak und Iran auf unterschiedliche Repressions- und Verfolgungsgeschichten – aber auch auf lange Widerstandsgeschichten zurück. Im Irak, Iran und der Türkei gibt es auch eine Geschichte des bewaffneten Guerillakampfes. In Syrien konnten die Kurd_innen 2012 in der Folge des Bürgerkrieges einen kampflosen Abzug der Regierungsarmee aus den kurdischen Gebieten aushandeln und seither eine De-facto-Selbstverwaltung aufbauen. Im irakischen Teil Kurdistans gelang es bereits 1991 eine prekäre Selbstverwaltung zu erkämpfen, die nach dem Sturz Saddam Husseins in der neuen irakischen Verfassung legalisiert und verankert wurde. In der Türkei begann der militärische Konflikt zwischen der Ende der 1970er-Jahre von Abdullah Öcalan gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans PKK und dem türkischen Militär 1984 und sollte insgesamt über 36.000 Tote kosten. Im Laufe dieses Krieges wurden tausende kurdische Dörfer von der türkischen Armee zerstört und hunderttausende Kurd_innen innerhalb der Türkei zu Flüchtlingen, die sich in den großen kurdischen aber auch türkischen Städten niederließen oder nach Europa weiter flohen. Selbst nach Angaben der türkischen Regierung wurden insgesamt 353.000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben und 3.500 Dörfer zerstört. Internationale Beobachter_innen und Menschenrechtsorganisationen sprechen von bis zu vier Millionen Vertriebenen.

Eine gewisse Liberalisierung der türkischen Kurdenpolitik fand Anfang der 1990er-Jahre unter Ministerpräsident Turgut Özal statt. Die Existenz der Kurd_innen wurde nicht mehr geleugnet, ihre Sprache nicht mehr verboten. Bevor allerdings Verhandlungen über eine friedliche Lösung des Konfliktes stattfinden konnten, starb Özal 1993 unter bis heute ungeklärten Umständen – viele sprechen bis heute von Mord.

Zu einer weiteren Liberalisierung kam es während des Friedensprozesses, der 2009 mit geheimen Friedensgesprächen zwischen dem türkischen Staat und der PKK in Oslo begann und der 2012 zu direkten Gesprächen des Direktors des türkischen Geheimdienst (MIT) mit dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan führten. Beim Newroz-Fest 2013, dem Frühlings- und Neujahrsfest der Kurd_innen, verkündete Öcalan schließlich eine Waffenruhe und den Rückzug der PKK-Einheiten. Nach den Parlamentswahlen vom 7. Juni 2015, bei der die regierende AKP die absolute Mehrheit verlor und nach dem Anschlag in Suruç auf kurdische und linke Regierungsgegner_innen am 20. Juli 2015, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen der AKP-Regierung von Recep Tayyip Erdoğan und der kurdischen Bewegung allerdings wieder rapide und führte nach den Neuwahlen und der Ausrufung selbstverwalteter Städte durch die kurdische Bewegung bis Ende 2015 zu Kämpfen in vielen wichtigen kurdischen Städten der Türkei.

Die immer autoritärere Politik in der Türkei, die Angst der Türkei vor der Etablierung einer kurdischen Autonomie in Syrien und schließlich der Einmarsch der Türkei in die syrisch-kurdische Region Afrin 2018 ließen den türkisch-kurdischen Konflikt erneut eskalieren. Der im Oktober 2019 erfolgte Angriff auf die unter Kontrolle der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ verbliebenen Region Nord- und Ost-Syriens durch die türkische Armee und verbündete islamistische Milizen, führte sowohl in der Diaspora, als auch in der Türkei zu einer weiteren Eskalation der Konflikte und zu einer Massenflucht kurdischer und christlicher Bewohner_innen der betroffenen Regionen.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

In Österreich leben sowohl Kurd_innen als auch Türk_innen, wobei weder alle Kurd_innen die PKK unterstützen, noch alle Türk_innen die türkische Regierung gut heißen. Trotzdem kommt es, wenn der Konflikt in der Türkei eskaliert, auch in Österreich immer wieder zu Konflikten zwischen PKK-AnhängerInnen und AnhängerInnen der türkischen Regierung. Da seit 2014 verstärkt auch syrische Kurd_innen nach Österreich gekommen sind, werden auch diese manchmal in diese Konflikte mit einbezogen. Dabei kommt es keineswegs nur zu Konflikten zwischen den AnhängerInnen entsprechender politischer Parteien. Der wachsende Nationalismus in der Türkei und in Teilen der türkischen Communities in Europa, führt auch immer wieder dazu, dass kurdische Schüler_innen völlig unabhängig von ihren politischen Positionen oder den Positionen ihrer Familie, von türkisch-nationalistischen Schüler_innen beschimpft oder gemobbt werden.

Mögliche Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam wenn es um Mobbing in der Klasse geht. Sollten Sie sehen, dass Konflikte ethnisiert werden oder Schüler_innen aufgrund dieses Themas von anderen Schüler_innen schlecht behandelt werden, dann gehen Sie dem Thema nicht aus dem Weg, sondern bringen Sie es zur Sprache, versuchen Sie den Konflikt zu thematisieren und damit auch zu rationalisieren. Dazu benötigen Sie selbst aber auch ein entsprechendes Wissen und eine entsprechende Konfliktfähigkeit.

Autor: Thomas Schmidinger

Literaturempfehlungen:

Martin Strohmeier / Lale Yalçin-Heckmann: Die Kurden. Geschichte, Politik, Kultur. München, 2016

Thomas Schmidinger: Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava. Wien, 2017

Ilker Ataç / Michael Fanizadeh, / Volkan Ağar / VIDC (Hg.): Nach dem Putsch. 16 Anmerkungen zur »neuen« Türkei. Wien, 2018

Nordirlandkonflikt

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Begriff „Nordirlandkonflikt“ bezieht sich auf die Periode der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Nordirland, welche beginnend mit Ende der 60er Jahre bis 1998 andauerte. Es waren mehrere Akteur_innen in den Konflikt involviert. Die Hauptkonfliktparteien machten jedoch die Unionist_innen (mehrheitlich Protestant_innen) auf der einen und die Nationalist_innen (mehrheitlich Katholik_innen) auf der anderen Seite aus. Radikale Vertreter_innen der Unionist_innen wurden auch Loyalist_innen und die der Nationalist_innen Republikaner_innen genannt. Des Weiteren waren paramilitärische Organisationen aus beiden Lagern involviert. Diese machten zwar nur einen Bruchteil der jeweiligen Bevölkerungsgruppen aus, jedoch verstanden sie sich als ihre Repräsentant_innen. Allgemein wird im Englischen der Begriff „The Troubles“ für den Nordirlandkonflikt bevorzugt, da er keine explizite Schuldzuweisung an eine der Konfliktparteien zulässt. Der Konflikt prägt die nordirische Bevölkerung bis heute.

Vereinfacht wird oftmals angenommen, dass der Konflikt in erster Linie ein religiöser war, da sich Katholik_innen und Protestant_innen gegenüberstanden. Die Konfessionen dienen jedoch lediglich als Unterscheidungsmerkmal zweier gesellschaftlicher Gruppen, welche unterschiedliche sozial-politische und wirtschaftliche Stellungen innerhalb Nordirlands genossen. Daher ist dieser Konflikt als ein sozialer und politischer zu verstehen und beruht nicht auf einer rein konfessionellen Auseinandersetzung.

Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen flackerten schon Dekaden vor dem Entfachen des Nordirlandkonflikts auf. 1922 wurde Irland nach dem Unabhängigkeitskrieg als Freistaat und später als Republik Irland gegründet. Nordirland hingegen, welches mehrheitlich von Protestant_innen (vor allem Engländer_innen und Schott_innen) besiedelt war, blieb Teil Großbritanniens. Dies führte dazu, dass sich vorwiegend der katholisch geprägte Teil der Bevölkerung Irland anschließen wollte, die Protestant_innen Nordirland hingegen als Teil Großbritanniens verstanden.

Hinzu kamen soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte, die zu Animositäten zwischen den Gruppen führten. Zwischen 1921 und 1972 funktionierte Nordirland als selbstregierende Region, in welcher Protestant_innen mit der Ulster Unionist Party außerhalb von Belfast eine alleinige Mehrheitsregierung formten. DenKatholik_innen kam hingegen ein kleinerer Wahlkreis zu und an vielen Orten Nordirlands waren sie nicht einmal wahlberechtigt. Des Weiteren waren sie auch am Arbeits- und Wohnungsmarkt stark benachteiligt. Die irische Identität und Sprache wurden im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel an Schulen, kaum anerkannt.

1967 formierte sich die Northern Ireland Civil Rights Association (NICRA), welche das Ende der Diskriminierungen gegenüber Katholik_innen in Nordirland einforderte.  Zu jener Zeit waren noch antikatholische Gesetze in Kraft, welche nach dem irischen Unabhängigkeitskrieg, aus Angst vor einer katholischen Dominanz, von der protestantisch geprägten Regierung eingeführt worden waren und die Regierung und deren Sicherheitskräfte dazu befähigten, jegliche nationalistische/republikanische Agitation im Keim zu ersticken.

Die Proteste der NICRA wurden von der nordirischen Regierung verboten beziehungsweise gewaltsam aufgelöst. Der Grund für das Verbot war die Behauptung, dass die NICRA eine Vorfeldorganisation der Irish Republican Army (IRA) – einer paramilitärischen Organisation – sei. Die IRA und ihr politischer Arm, die Partei Sinn Féin, waren während des irischen Unabhängigkeitskrieges tragende Akteure und spielten erst wieder ab den 60er Jahren eine große Rolle in Nordirland. Die anhaltende Gewalt während der Proteste führte letztendlich dazu, dass 1969 britische Truppen in Nordirland eingesetzt wurden, welche zum Eindämmen der Gewalt „no-go areas“ schufen. Dies bedeutete, dass Personen die Gebiete des jeweils anderen Lagers nicht betreten durften. Aus der Sicht der Nationalist_innen bevorzugten die Truppen jedoch das unionistische Lager. Im selben Jahr spaltete sich die IRA in zwei Gruppen:  in die eher marxistisch orientierte Official IRA und in die radikalere Provisional IRA, welche im weiteren Verlauf des Konfliktes für mehrere Anschläge verantwortlich war.

Unterdessen hatte sich auch die Ulster Volunteer Force (UVF), welche zuvor schon während der 20er Jahre aktiv war, neugegründet. Die UVF ist eine paramilitärische Organisation radikaler protestantischer Unionist_innen, welche ebenfalls in den Konflikt aktiv eingriff und für diverse Anschläge während des Konflikts verantwortlich war.

1971 heizten sich die Proteste und gewalttätigen Auseinandersetzung weiterhin auf. Bei einem Anschlag der IRA wurde ein britischer Soldat getötet. Als Antwort darauf wurden 350 Katholik_innen inhaftiert, was wiederum zu weiteren Aufständen führte, bei welchen 17 Menschen – darunter auch Zivilist_innen – ums Leben kamen. Jedoch hielten die Proteste trotz der Verbote an. In diesem Jahr gründete sich außerdem auch die Ulster Defence Association (UDA), eine der wichtigsten paramilitärischen Organisationen der Loyalist_innen.

Am 30. Jänner 1972 organisierte die NICRA einen Bürger_innenrechtsmarsch gegen die Internierungsgesetze, welche sich hauptsächlich gegen katholische Bürger_innen richteten, sowie gegen die Marschverbote in (London)Derry. Um einen friedvollen Marsch zu ermöglichen, versprach die IRA, fernzubleiben. Britische Soldaten bauten Barrikaden auf und hinderten somit die Protestierenden daran, in die Stadt zu marschieren. Es folgten Konfrontationen, welche schnell eskalierten. Britische Soldaten eröffneten das Feuer, wobei 14 Menschen ums Leben kamen und 13 weitere Menschen verletzt wurden. Dieser sogenannte „Blutige Sonntag“ (Bloody Sunday) markiert den Höhepunkt des Nordirlandkonflikts. Die Geschehnisse an diesem Tag führten dazu, dass die Provisional IRA an Zustimmung innerhalb der katholischen Bevölkerung in Nordirland gewann.

Im folgenden Monat verübte die IRA einen Anschlag auf die britische Botschaft in Dublin; daraufhin wurde die nordirische Regierung suspendiert und Nordirland wurde direkt unter die Regierung Westminsters gestellt. Da die britische Regierung immer aktiver in den Konflikt eingriff, begann die IRA auch Anschläge in England zu verüben.

In den 80ern wurde den (mehrheitlich republikanischen) Inhaftierten der spezielle Status der Kriegsgefangenen entzogen. Daraufhin kam es in den Gefängnissen zu Aufständen, unter anderem auch Hungerstreiks und den berüchtigten Schmieraktionen mit Fäkalien. Zehn Insassen kamen bei den Hungerstreiks ums Leben. Auch außerhalb der Gefängnisse intensivierte sich der Konflikt. Die paramilitärischen Organisationen beider Lager verübten weiterhin Anschläge. Es kam auch mehrmals zu Versuchen, den Konflikt zu beenden, welche aber fruchtlos blieben.

1994 kündigte die IRA dann letztendlich einen unbefristeten Waffenstillstand an, unter der Bedingung, dass die Sinn Féin in die Gespräche für eine politische Lösung des Konflikts miteinbezogen werden würde. Unter Einbeziehung des US-Senators George Mitchell wurden Friedensgespräche einberufen. Als die Sinn Féin jedoch nicht einbezogen wurde, kündigte die IRA den Waffenstillstand kurzzeitig auf, bis die Verhandlungen 1997 wieder aufgenommen wurden. Der Konflikt fand sein offizielles Ende mit dem Karfreitagsabkommen (Good Friday Agreement) im Jahr 1998. Das Abkommen beinhaltet, dass Nordirland nicht ohne die Einwilligung der Mehrheit der Bevölkerung Teil Irlands werden dürfe. Des Weiteren sollen sowohl die irischen als auch die britischen Behörden zusammenarbeiten und der nordirischen Bevölkerung ist es gestattet, neben einem britischen auch einen irischen Pass zu beantragen. Am 23. Mai 1998 kam es zu einem Referendum bezüglich des Karfreitagsabkommens und das Ergebnis fiel mehrheitlich für das Abkommen aus. Seither kam es noch zu vereinzelten Ausschreitungen, der Konflikt war jedoch größtenteils eingedämmt.

Bis zum Karfreitagsabkommen kamen infolge des Konflikts 3500 Menschen ums Leben. Da die Todesrate von 1.000 pro Jahr (= übliche Zahl, um einen Krieg zu definieren) nie überschritten wurde, wird er als ein Konflikt geringer Intensität klassifiziert es. Nachdem aber die Bevölkerung in Nordirland nur 1,5 Millionen Menschen umfasst, ist die Zahl proportional zur Bevölkerung relativ hoch.

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wurde der Nordirlandkonflikt wieder Gesprächsthema. Es wird ein neues Aufflammen des Konflikts in Nordirland befürchtet, da Irland Teil der EU bleibt würde und es somit zu einer „harten“ Grenze zwischen Irland und Nordirland kommt.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Der Nordirlandkonflikt wird womöglich keine auffallenden Auswirkungen auf die Klassengemeinschaft haben. Jedoch kann es vorkommen, dass Schüler_innen aufgrund ihrer Religion ausgeschlossen, gemobbt oder benachteiligt werden.

Der Nordirlandkonflikt kann als anschauliches Beispiel dafür dienen, dass konfessionalisierte Konflikte oftmals komplexer sind. Neben der Konfession spielen meistens weitere unterschiedliche Faktoren, wie zum Beispiel sozial-politische oder wirtschaftliche Faktoren, eine bedeutende Rolle und können somit aggravierend im Konflikt wirken.

 

Mögliche Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell achtsam, wenn es zu Streitigkeiten innerhalb der Klassengemeinschaft kommt. Intervenieren Sie, wenn Sie mitbekommen, dass Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln.

Sollte es zu Konflikten innerhalb der Klassengemeinschaft kommen, die religiös motiviert zu sein scheinen, kann der Nordirlandkonflikt als Beispiel herangezogen werden, um einen (konfessionalisierten) Konflikt und dessen Komplexität zu erklären.

Symbolik

 

 

 

 

 

Das Emblem der Ulster Defence Association (UDA)

Provisionals Irish Republican Arm

Literaturempfehlung:

David McKittrick/ David McVea: Making Sense of the Troubles: A History of the Northern Ireland Conflict. London, 2012.

Jonathan Tonge: Northern Ireland: Conflict and Change. London, 2002.

Peter Shirlow: Belfast: Segregation, Violence and the City. London, 2006.

 

Autorin: Ronya Alev

Radikalisierung?

Kurzinformation für Lehrer_innen: Was kann ich tun, wenn ich vermute, dass sich Schüler_innen radikalisieren?

Schüler_innen, die mit extremistischen Aussagen auffallen, stellen für Lehrkräfte eine große Herausforderung dar. Wenn sich ein_e Schüler_in auffällig verhält, ist es manchmal sinnvoll, Hilfe von außen hinzu zu holen.

  • Wesentlich ist es, die Ablehnung extremistischer Sichtweisen klar zum Ausdruck zu bringen. Dem_der Schüler_in sollte dabei vermittelt werden, dass zwar seine_ihre Haltungen abgelehnt werden, nicht aber der_die Schüler_in als Person.
  • Wenig sinnvoll ist es jedoch, sich auf religiöse Debatten bzw. rechtspopulistische Argumentationen einzulassen.Was bei verschwörungstheoretischen Inhalten wirksam sein kann, ist das Nachfragen in Bezug auf Quellen (z. B.: Warum ist gerade dieses Foto echt oder diese Quelle vertrauenswürdig?)
  • Wichtig ist es, in Beziehung mit dem_der Schüler_inzu bleiben und Interesse an dem_der Schüler_in zu zeigen.
  • Tauschen Sie sich mit Ihren Kolleg_innen aus und analysieren Sie gemeinsam die Situation, bevor Sie handeln.
  • Holen Sie sich Hilfe:

Literaturempfehlungen

Verena Fabris: Extremismus, Radikalisierung, Prävention – Extremismusprävention in Österreich, Radikalisierungsprozesse bei Jugendlichen und die Arbeit der Beratungsstelle Extremismus. In: Christian Schwarzenegger/Reinhard Brunner: Bedrohungsmanagement. Radikalisierung und gewalttätiger Extremismus/Nationaler Aktionsplan. Schulhess 2019. S. 63-86. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2019/12/Fachtagung_Bedrohungsmanagement_Fabris.pdf

Extremismus und Radikalisierung als Herausforderung für die Politische Bildung. https://www.politik-lernen.at/site/praxis/dossiers/extremismus

Fabian Reicher/Felix Lippe: Jamal al-Khatib – Mein Weg! Online-Campaigning als Methode der Politischen Bildung. In: e-beratungsjournal.net. Fachzeitschrift für Onlineberatung und computervermittelte Kommunikation. 15. Jahrgang, Heft 1, Artikel 4, 2019. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2019/05/2019_Reicher_Lippe_Online-Campaigning.pdf

turn – Verein für Gewalt- und Extremismusprävention (Hg.): Jamal al-Khatib pädagogisches Paket. Wien 2018. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2018/07/Jamal-al-Khatib_p%c3%a4dagogisches_Paket_Mai18.pdf

 

Videos Jamal al-Khatib “Mein Weg”. https://www.facebook.com/jamalalkhatibmeinweg/

 

Autorin: Verena Fabris

Rechtsextremismus

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Begriff des Rechtsextremismus ist weiter gefasst als der des Nationalsozialismus oder des Faschismus. Die Begriffsdefinition, die auch den Arbeiten des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) zugrunde liegt, geht auf den Klagenfurter Univ. Doz. Dr. Willibald I. Holzer zurück und umfasst mehrere Themenbereiche, die oft gemeinsam auftreten, allerdings nicht immer alle in ihrer Gesamtheit auftreten müssen um von Rechtsextremismus sprechen zu können.

Rechtsextreme Ideologie wird von Holzer Syndromphänomen aus einem Bündel von Einzelaussagen beschrieben, die in erster Linie durch die Berufung auf das Prinzip der Natürlichkeit miteinander verbunden werden. Eine Ideologie der Ungleichheit wird damit als vermeintlich „natürlich“ beschrieben, womit zugleich alle anderen Lebensformen, Ideologien und Vorstellungen von der Welt als „widernatürlich“ diffamiert werden.

Eines der zentralen Elemente rechtsextremer Ideologie sind Begriffe wie „Volk“ und „Volksgemeinschaft“, die sich je nach rechtsextremer Ideologie je nach Bezugsrahmen auf das „deutsche Volk“, das „türkische Volk“ bzw. „Turan“, das „serbische Volk“ usw. ausrichten kann. Die Volksgemeinschaft wird als Abstammungsgemeinschaft begriffen und als patriarchalisch-hierarchisches Idylle der modernen Industriegesellschaft gegenübergestellt. Diese „Volksgemeinschaft“ wird nicht als von Interessensgegensätzen geprägte Gesellschaft gesehen, sondern als Gemeinschaft in der das Individuum einen festen Platz innehat und dem als ahistorisch gedachten Volk gegenüber verpflichtet ist.

„Fremde“ stehen außerhalb dieser Gemeinschaft und werden als potentiell Gefährlich betrachtet. Jedenfalls gilt es Rechtsextremen die „eigene“ Gemeinschaft und die „Fremden“ voneinander fern zu halten und eine Vermischung zu vermeiden. Oft wird dabei auch verschiedensten Gruppen eine Sündenbockfunktion zugeschrieben. Diese kann Ausländer ebenso treffen wie sprachliche oder religiöse Minderheiten (etwa in den letzten Jahren in Europa oft Muslime), aber auch Politiker_innen etablierter Parteien, Menschen mit Behinderungen, Homo- und Bisexuelle, Wissenschaftler_innen,…

Verschiedenen Gruppen wird die Verantwortung für gesellschaftliche und ökonomische Missstände zugeschoben, oft auch gepaart mit Vorstellungen von einer Weltverschwörung (der Juden, der Muslime, der Lesben- und Schwulen,…).

Ein weiteres wichtiges Element rechtsextremer Ideologie ist laut Holzer eine „nationalisierende Geschichtsbetrachtung“, die sich im Falle des klassischen deutschnationalen Rechtsextremismus aus einer Bezugnahme zu einer deutschen Nationalgeschichte speist, in die auch die österreichische Geschichte eingeschrieben (und damit von Mittel- und Südosteuropa und damit dem Habsburgerreich losgelöst) wird. Eine solche „nationalisierende Geschichtsbetrachtung“ gibt es allerdings auch in anderen rechtsextremen Strömungen, etwa wenn der türkische Rechtsextremismus (Turanismus) sich auf eine mythische Einheit des Türkentums und eine imaginierte gemeinsame Herkunft aller Turkvölker aus einer gemeinsamen Heimat „Turan“ bezieht und dabei in manchen Varianten auch noch „Völker“ nichttürkischer Herkunft, wie die Ungar_innen mit einbezieht.

In dieser „nationalisierenden Geschichtsbetrachtung“ geht es darum die (vermeintlich) eigene Geschichte zu heroisieren und damit verbunden auch Verbrechen der eigenen Geschichte zu leugnen oder zumindest zu relativieren, etwa im Falle des deutschnationalen Rechtsextremismus die Shoah (Holocaust), im Falle des Turanismus den Genozid an den Armenier_innen und Assyrer_innen 1915, im Falle des kroatischen Rechtsextremismus die Beteiligung der Ustascha an der Vernichtung der europäischen Juden und der schweren Kriegsverbrechen gegen die jugoslawischen Partisanen, im Falle des serbischen Rechtsextremismus die Massaker gegen muslimische Bosniak_innen im Krieg in Bosnien in den 1990er-Jahren oder im Falle russischer Rechtsextremismen, die Vernichtungspolitik Stalins oder die Kriegsverbrechen in den jüngsten Tschetschenienkriegen.

Der politische Stil des Rechtsextremismus ist geprägt von Gewaltakzeptanz oder zumindest Gewaltlatenz, sowie von der Präsenz starker, nicht hinterfragter meist männlicher „Führergestalten“. Als Ideologien der Ungleichheit sind insbesondere Ideologien und politische Strömungen der Gleichheit ein bevorzugtes Feindbild rechtsextremer Ideologien: Kommunismus, Feminismus aber auch der bürgerliche Liberalismus mit seiner Vorstellung einer rechtlichen Gleichheit vor dem Gesetz.

Im Zuge der Modernisierung von Teilen des Rechtsextremismus in den letzten zwei Jahrzehnten und der Etablierung einer „Neuen Rechten“ wurde die Berufung auf die „Natur“ teilweise auf eine Berufung auf „Kultur“ ersetzt, womit auch der biologisch nicht mehr haltbare Rassebegriff in der Neuen Rechten durch „Kultur“ oder „Religion“ ersetzt wurde, allerdings ganz ähnlich wie der alte Rassebegriff verwendet wird. Auch der Bezugsrahmen der „Nation“ und des „Volkes“ hat sich in Teilen dieser neuen Formen des Rechtsextremismus zu größeren Einheiten gewandelt, etwa zu einem „Europa der Nationen“, einem „christlichen Abendland“ oder in neuester Variante auch zu einem „christlich-jüdischen Abendland“, das in Abgrenzung zu einer ebenso homogen gedachten „islamischen Welt“ halluziniert wird. Diese neuen Formen des Rechtsextremismus, die sich bei Identitären aber auch in intellektuellen Kreisen finden, haben es zumindest in Ansätzen weit erfolgreicher geschafft in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen als der durch die Shoah in weiten Teilen der Gesellschaft desavouierte klassische deutschnationale Rechtsextremismus.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Verschiedene Formen des Rechtsextremismus können auch in Klassengemeinschaften und Schulen auftreten und zu Gruppenbildungen führen bzw. für Gruppenbildungen genutzt werden. Besonders häufig und auffällig treten dabei jugendkulturell aktive Strömungen des Rechtsextremismus auf, wie etwa Identitäre, Nazi-Skins oder turanistisch ausgerichtete „Graue Wölfe“ oder serbische Nationalist_innen. Insbesondere wenn sich ganze Gruppen mit solchen Ausrichtungen an einer Schule bilden und andere Schüler_innen verbal oder tätlich angreifen, ist dringender Interventionsbedarf angesagt.

Allerdings dringen Vorstellungen der Neuen Rechten auch immer mehr in die Mitte der Gesellschaft ein und beeinflussen zunehmend auch den Diskurs von nicht rechtsextremen Schüler_innen und Lehrer_innen.

Mögliche Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Im Falle von Konflikten in Folge rechtsextremer Aktivitäten an Schulen ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Je früher in solchen Fällen eingeschritten wird, desto besser. Wenn es sich um einzelne Schüler_innen handelt, ist es sinnvoll mit diesen sich inhaltlich auseinanderzusetzen allerdings auch zu hinterfragen aus welchen psychosozialen Bedürfnissen sich die Radikalisierung dieser Schüler_innen speist. Es ist ratsam sich dabei im Lehrer_innenkreis zusammenzusetzen und gemeinsame Strategien zu erarbeiten, sowie sich gegebenenfalls professionelle Hilfe von außen zu holen, etwa die Beratungsstelle Extremismus zu kontaktieren.

Auch einschlägige Workshops von Träger_innen wie dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) oder entsprechender Unterricht im Rahmen des Geschichte-, Deutsch- oder Geographieunterrichts können präventiv wirken.

Wichtig ist es dabei jedenfalls auch auf weniger offensichtliche Formen des Rechtsextremismus zu reagieren und nicht nur auf klassischen Neonazismus.

Autor: Thomas Schmidinger

Literaturempfehlungen:

Jan Schedler / Sabine Achour / Gabi Elverich / Annemarie Jordan (Hg.): Rechtsextremismus in Schule, Unterricht und Lehrkräftebildung. Wiesbaden, 2019

Julian Bruns / Kathrin Glösel / Natascha Strobl: Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa (4. Auflage). Münster, 2017

Thomas Rammerstorfer: Graue Wölfe. Türkische Rechtsextreme und ihr Einfluss in Deutschland und Österreich. Münster/Berlin/Wien, 2018

Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus (2. Auflage). Wien, 1993

Roma & Sinti

Politischer und historischer Hintergrund:

Gegenüber Roma und Sinti herrschen bis heute Vorurteile, Ressentiments und Stereotype, die sich hartnäckig in der Gesellschaft verankert haben. Diese begünstigen auch die jahrhundertelangen systematischen Diskriminierungen, welche die Roma von Seiten der Gesellschaft und Regierungen ihrer jeweiligen Siedlungsgebiete erfahren. Wer sind jedoch die Roma und Sinti und woher kommen sie? Vieles ist bis heute nicht zu hundert Prozent bekannt, da viele Informationen nur mündlich weitergegeben wurden. Der folgende Text soll jedoch etwas Aufschluss über ihre Herkunft und ihre Situation in Europa geben.

Roma, Sinti und weitere verwandte Volksgruppen, wie zum Beispiel die Calé, haben ihren Ursprung in Südasien, also im heutigen Indien oder Pakistan. Im Folgenden werden die verwandten Volksgruppen unter dem Sammelbegriff „Roma“ oder „Roma und Sinti“ zusammengefasst. Ab dem achten bzw. zehnten Jahrhundert zogen Roma und Sinti über Armenien und Kleinasien und erreichten vermutlich im 13./14. Jahrhundert Europa. Genaueres über ihre Herkunft ist nicht bekannt, da die Sprache der Roma und Sinti eine mündliche ist und daher nicht viele Schriftquellen existieren. Jedoch war der Grund ihrer Migrationsbewegung kein, wie oftmals unterstellt, wie auch immer gearteter „Wandertrieb“, sondern vermutlich Krieg, Verfolgung und wirtschaftliche Not.

Die Roma sind eine besonders heterogene Bevölkerung. Sie gehören unterschiedlichen Religionen und Konfessionen an, höchstwahrscheinlich übernahmen die Gruppen mit der Zeit jeweils die Konfession ihres Siedlungsgebietes. So gibt es neben katholischen auch orthodoxe und muslimische Roma und Sinti. Auch sprachlich unterscheiden sich die Roma voneinander. Obwohl die Roma grundsätzlich Romanes (Romani) sprechen, eine Sprache, die der indogermanischen Sprachfamilie angehört und mit dem Sanskrit verwandt ist, unterscheidet sich die Sprache je nach Region deutlich, da viele Lehnwörter aus der Sprache des jeweiligen Siedlungsgebietes übernommen wurden. Teilweise wurden Roma und Sinti Zwangsassimilierungen unterworfen und verloren im Laufe der Zeit auch aus diesem Grund ihre Sprache. Von dieser Assimilationspolitik waren auch Roma in Österreich stark betroffen. Unter Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. wurden Roma, nach Jahren der Verfolgung und Ausgrenzung, gezwungen, sesshaft zu werden. So wurde ihnen beispielsweise aus diesem Grund der Besitz von Pferden und Fahrzeugen untersagt.

Die Geschichte der Roma ist seit der Ankunft in Europa nicht einheitlich. Je nach Siedlungsgebiet waren die Menschen unterschiedlichen Diskriminierungen und Politiken unterworfen. Während hingegen viele von ihnen zu Leibeigenen gemacht wurden, wurden beispielsweise die Sinti in Mitteleuropa (auch Österreich) im 15. Jahrhundert „vogelfrei“ und damit als rechtlos erklärt. Somit schlossen sich viele der Sinti nicht-sesshaften Menschengruppen an und zogen von Ortschaft zu Ortschaft, um den Folgen ihres rechtlosen Status zu entkommen.

Heute leben die Volksgruppen der Roma in unterschiedlichen Gebieten Europas: In Ostereuropa leben mehrheitlich Roma, in Mitteleuropa Sinti, in Spanien Calé und in Frankreich die Manusch; die meisten von ihnen leben heute jedoch in Rumänien. In Österreich leben hauptsächlich die Volksgruppen Burgenland-Roma, Sinti, Lovara, Kalderaš, Gurbet und Arlije. Die Namen deuten hierbei entweder auf die Herkunft oder den Beruf hin. Die Begriffe Roma, Manusch, Sinti und Calé sind Eigenbezeichnungen der Volksgruppen und werden daher als Bezeichnungen für die jeweiligen Gruppen präferiert. Roma (und Sinti) wird hier meistens als Sammelbegriff für die in Europa lebenden Minderheitengruppen indischer Abstammung verwendet. Hingegen ist die Fremdbeschreibung „Zigeuner“ ein abwertender Begriff und sollte auf jeden Fall vermieden werden, da er als entweder abwertend empfunden wird oder abwertend gemeint ist. Das Wort „Zigeuner“ stammt von der Bezeichnung „Athinganoi“ (= Unberührbare), welche im 13. Jahrhundert aufgekommen ist und sich als Fremdbeschreibung für Roma und Sinti in fast allen Sprachen in den Siedlungsgebieten der Menschen durchgesetzt hat.

Von der Bezeichnung „Zigeuner“ leitet sich auch der Begriff „Antiziganismus“ her. Antiziganismus beschreibt den spezifischen Rassismus und die Ablehnungshaltungen gegenüber der Volksgruppe der Roma und Sinti, die hier vor allem als eine homogene Gruppe wahrgenommen werden. Viele der Vorurteile und Stereotype, wie zum Beispiel die Nichtsesshaftigkeit, basieren jedoch auf reellen Gefahren und Diskriminierungen, die die Menschen im Laufe der Geschichte erlebt haben. So auch das Vorurteil, dass „Roma Kinder stehlen“ würden. Dieses Vorurteil entsprang der Assimilierungspolitik unter Maria Theresia, als Roma-Kinder ihren Familien weggenommen und bei österreichischen Bauernfamilien untergebracht wurden. Die Verfolgungen der Vergangenheit sowie die fortwährende Diskriminierung, welche die Roma erleben, hat negative Auswirkungen, die bis heute reichen. Dazu gehören, neben sozialen und wirtschaftlichen Aspekten, auch der Verlust kulturellen Reichtums und Identität der Roma und Sinti.

Der Antiziganismus traf nicht nur Roma und Sinti, sondern auch andere fahrende Minderheiten, wie etwa die mitteleuropäischen Jenischen, die sprachlich und ethnisch nicht mit den Roma und Sinti gleichzusetzen sind, sondern nur sozio-kulturelle Ähnlichkeiten entwickelt hatten, da sie ähnliche Berufe ausübten und ebenfalls als Fahrende diskriminiert wurden.

Der in der Gesellschaft tiefsitzende Antiziganismus traf die Roma und Sinti auch während des Nationalsozialismus in verheerender Art und Weise. 1938 wurde Roma und Sinti das Arbeitsrecht entzogen und es kam bereits im selben Jahr zu Deportationen. Im Zuge des „Auschwitz-Erlasses“ im Jahr 1943 wurden tausende Roma in Konzentrationslager, in welchen es eigene „Zigeunerlager“ gab, deportiert. Viele der Roma überlebten die Konzentrationslager nicht; viele wurden in Gaskammern ermordet oder verstarben an den Folgen der grausamen Bedingungen in den Konzentrationslagern. Von den 11.000 Roma und Sinti, die zuvor in Österreich lebten, überlebten nur etwa 10% den Nationalsozialismus. Das Romani Wort „Porajmos“ beschreibt hierbei den spezifischen Völkermord an Roma und Sinti während des Nationalsozialismus.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde eine Anerkennung dieser Opfergruppe zunächst weitgehend verweigert. Es kam zu keinen Wiedergutmachungen, Roma mussten unter unzumutbaren Wohnbedingungen leben und waren wieder einmal von staatlichen Bildungsmaßnahmen ausgeschlossen. Diese Versäumnisse samt den noch anhaltenden Ressentiments tragen dazu bei, dass bis heute Roma am Arbeitsmarkt diskriminiert werden oder Hindernissen in ihrer schulischen Laufbahn begegnen. Des Weiteren dauerte es bis 1993 bis die „Volksgruppe der Roma“ in Österreich offiziell als Volksgruppe, beziehungsweise Minderheit, anerkannt wurde. Die offizielle Anerkennung dient vor allem auch als ein Signal, dass Roma in Österreich ansässig sind und auch ein Teil Österreichs sind.

Die heute in Österreich lebenden Roma und Sinti sind nur zum Teil Nachfahren der Überlebenden des nationalsozialistischen Genozids. Andere kamen als Arbeitsmigrant_innen oder Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien oder kamen nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens nach Österreich. Diese unterschiedlichen Gruppen haben oft sehr unterschiedliche Positionen in der österreichischen Gesellschaft erlangt. Besonders prekär ist die Situation oft für jene Gruppen, die erst in den letzten Jahren aus extrem prekären Verhältnissen aus Rumänien, Bulgarien oder der Slowakei nach Österreich gekommen sind und sich hier teilweise mit Betteln durchschlagen. Insbesondere gegen diese Gruppe mischt sich klassischer Antiziganismus mit Armutsfeindlichkeit, die allerdings immer auch ein Teil des Antiziganismus war.

Manche der etablierteren Roma und Sinti grenzen sich von diesen Gruppen wiederum sehr bewusst ab, um ihren prekär erreichten minimalen Status in der Gesellschaft nicht dadurch zu gefährden, dass sie mit den bettelnden Gruppen in einen Topf geworfen werden.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Roma und Sinti gehören in Österreich einer Minderheit an, die auch heute von Diskriminierung und Stigmatisierung betroffen ist. Es ist möglich, dass in Ihrer Klasse Kinder sitzen, die jener Minderheit angehören. Da Ressentiments gegenüber Roma stark verbreitet sind, kann es dazu kommen, dass es hier zu Auseinandersetzungen oder zu Mobbing gegenüber Roma-Kindern kommt.

Aufgrund dieser Diskriminierungen verheimlichen manche Roma und Sinti ihre ethnische Identität. Wenn es sich dabei um Roma und Sinti mit Migrationshintergrund handelt, geben sie sich oft als Serb_innen, Albaner_innen, etc. aus, um damit sozialer Diskriminierung zu entgehen.

Außerdem wird der Begriff „Zigeuner_in“ heute noch oft als degradierendes Wort benutzt, um andere Menschen abzuwerten. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die betroffene Person der Volksgruppe der Roma und Sinti angehört oder nicht.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden, oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Versuchen Sie den Konflikt zu thematisieren und damit auch zu rationalisieren. Dies gilt auch, wenn Sie merken, dass Schüler_innen abwertende Begriffe und Bezeichnungen verwenden, um andere Schüler_innen zu beschimpfen.

Schüler_innen sollten keinesfalls gegen ihren Willen ‚geoutet‘ werden oder zu einem ethnischen Bekenntnis gezwungen werden. Ziel muss es hingegen sein, eine Atmosphäre in der Klasse zu unterstützen, in der kein_e Schüler_in Angst haben muss, sich selbst als Roma_Romni zu definieren, wenn dies erwünscht ist.

Zu einem selbstbewussten Umgang mit der eigenen Herkunft kann auch eine Aufwertung der Sprache beitragen. Grundsätzlich ist es in Österreich auch möglich, einen muttersprachlichen Unterricht auf Romanes anzubieten. Von Eltern selbst wird dies allerdings aufgrund des im Allgemeinen niedrigen Status der Sprache kaum eingefordert. Hier könnte die Schule einen wichtigen Beitrag zum wertschätzenden Umgang mit der eigenen Sprache leisten, wenn die Schule von sich aus genauso nach dem Bedarf nach Romanes-Unterricht fragt, wie sie etwa nach Serbokroatisch oder Türkisch fragt.

Außerdem kennen viele der Schüler_innen die Geschichte der Roma und Sinti nicht und verstehen daher nicht, wie gewisse Stereotype entstanden sind. Hier ist es hilfreich, wenn das Thema in der Klasse aufgearbeitet wird. Dazu benötigen Sie selbst aber auch ein entsprechendes Wissen und eine entsprechende Konfliktfähigkeit.

Literaturempfehlung

Wolfgang Benz: Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit: Über das Vorurteil Antiziganismus. Bonn, 2015.

Karola Fings: Roma und Sinti: Geschichte einer Minderheit. München, 2016

Elisabeth Boulter/ Sabine Mandl/ Christoph Wagner: info-blatt: Die Roma in Österreich. Wien, 2004. Abrufbar unter: http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/roma/die-roma-in-oesterreich/ib_roma.pdf

Antiziganistische Symbolik

„Zigeunerbesen“

Diese antiziganistische Symbolik reicht bis ins Mittelalter zurück, als Roma und Sinti nachgesagt wurde, dass sie Verbündete des Teufels seien. Dem Aberglauben nach sollen Hexen demnach Besen zum Fliegen nutzen und sollen sich dabei auf dem Blocksberg mit dem Teufel gepaart haben. Der Besen (mit dem Stiel) nach unten in der Haustür oder im Fenster sollte dabei Roma und Sinti fernhalten. Diese rassistische Praxis ist bis heute noch zu beobachten.

 

Autor_innen: Ronya Alev, Thomas Schmidinger

Somalia

Politischer und historischer Hintergrund:

Somalia ist im Gegensatz zu vielen anderen postkolonialen Staaten des subsaharischen Afrikas vordergründig ethnisch relativ homogen und wird fast ausschließlich von Somalis bewohnt, die sich allerdings in verschiedene Stämme gliedern, die auch politisch relevant sind. Neben den großen Stammesföderationen der Hawiye, der Darod, der Isaaq und der Dir, existiert eine Vielzahl kleinerer Stämme, die auch wie die großen Stammesföderationen wiederum in unterschiedliche Subclans (reer) strukturiert sind.

Die somalische Gesellschaft gehört dem sunnitischen Islam an. Sowohl die Stammesgesellschaft als auch der langjährige Krieg führten zu sehr patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Somalia ist auch eines der Länder, in denen die so genannte „Pharaonische Beschneidung“, also der weitreichendste Eingriff an weiblichen Genitalien, praktiziert wird. Diese Form weiblicher Genitalverstümmelung wird teilweise auch trotz Verbot, bis heute in der Diaspora praktiziert.

Neben Somalia selbst leben auch in den Nachbarstaaten Kenia, Äthiopien und Djibouti große somalische Minderheiten, deren Status mit Äthiopien immer wieder zu historischen Konflikten führte. Die Grenzen, die heute das somalische Siedlungsgebiet durchschneiden, sind, wie fast überall in Afrika, eine Folge der kolonialen Aufteilung der Region. Anders als die meisten Staaten des subsaharischen Afrikas, existierte Somalia allerdings nicht in den späteren nationalstaatlichen Grenzen als einheitliche Kolonie. Vielmehr wurde Somalia aus einer ehemaligen italienischen und einer britischen Kolonie zusammengefügt, als beide Kolonien 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurden.

Der neue Staat betrieb eine Vereinigungspolitik mit den somalischen Minderheiten in den angrenzenden Staaten und schrieb die Vereinigung aller Somali-Gebiete in seiner Verfassung fest, was allerdings, trotz der Unterstützung einer somalischen Guerilla in Äthiopien und der Unabhängigkeit Dschibutis mit einer somalischen Bevölkerungsmehrheit, nicht gelang. Nach einer relativ demokratischen Anfangsperiode putschten sich am 21. Oktober 1969 prosowjetische Militärs unter Siad Barre an die Macht und errichteten eine langjährige „sozialistische“ Diktatur unter sowjetischem Einfluss. Auch Siad Barre verfolgte eine großsomalische Politik und versuchte insbesondere den somalisprachigen Ogaden von Äthiopien abzutrennen. Im Ogadenkrieg 1977–1978 musste sich Somalia jedoch trotz Anfangserfolgen schließlich der überlegenen äthiopischen Armee geschlagen geben.

Im Kalten Krieg unterstützte die Sowjetunion ihren Verbündeten und stellte eine überlebenswichtige ökonomische Stütze dar. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel diese jedoch weg, was zu massiven ökonomischen Problemen führte. Zudem blieb auch die Militärhilfe aus Moskau aus. Guerillabewegungen, wie die in den 1980er-Jahren gegründete Somalische Nationale Bewegung (SNM) oder die Somalische Demokratische Erlösungsfront (SSDF) bekamen damit ihre Chance, die Regierung Siad Barres zu stürzen.

Als die verschiedenen Guerillaarmeen im Jänner 1991 immer näher an die somalische Hauptstadt Mogadischu heranrückten, musste sich Siad Barre schließlich geschlagen geben und am 26. Jänner 1991 seine Hauptstadt verlassen. Anstatt eine neue stabile Regierung zu gründen, begannen sich die rivalisierenden Guerillagruppen jedoch bald gegenseitig zu bekämpfen. Aus dem Krieg gegen den Diktator wurde rasch ein Bürgerkrieg, der bis heute nicht beendet werden konnte.

Mit Somaliland und Puntland konnten sich im Norden Somalias zwar zwei stabile Regionen entwickeln, von denen eine (Somaliland) sich als eigenständiger Staat sieht, die andere als autonome Region innerhalb Somalias. Somaliland verfügt über eine eigene Währung, eine Regierung, ein Parlament und einen internationalen Flughafen. Somaliland ist heute ein relativ stabiler Para-Staat, dem nur die internationale Anerkennung als Staat fehlt. Auch Puntland gilt als relativ stabiles Territorium. Im Süden Somalias dauert allerdings bis heute ein Bürgerkrieg fort, in den sich zwischen 1992–1995 auch die USA mit einer eigenen Truppenpräsenz im Rahmen der UNOSOM/UNITAF-Mission der Vereinten Nationen einmischten. Zwischen 2006 und 2009 versuchte zudem das für viele Somalis verhasste Nachbarland Äthiopien als Besatzungsmacht in Teilen des Landes Ordnung zu schaffen und Angriffe auf den Ogaden durch die „Union islamischer Gerichte“ zu verhindern.

Aus der extremistischen Jugendorganisation dieser „Union islamischer Gerichte“ bildete sich im Kampf gegen die äthiopische Besatzung die Harakat al-Shabaab al-Mujahideen, kurz auch al-Shabaab Miliz genannt, die beträchtliche Teile Südsomalias unter ihre Kontrolle bringen konnte und sich gegen den somalischen Volksislam wandte. Die Bewegung übernahm zunehmend jihadistische Positionen und wurde schließlich Teil der al-Qaida. Heute wird die al-Shabaab Miliz international als Terrororganisation betrachtet.

Der mittlerweile fast 30 Jahre andauernde Krieg hat zu einer Massenflucht von Somalis in die Nachbarländer Kenia, Dschibuti und Äthiopien geführt. Junge Männer haben nie ein friedliches Somalia erlebt. In den letzten Jahren kamen auch vermehrt somalische Flüchtlinge nach Europa, unter anderem auch nach Österreich.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Die Zahl der Flüchtlinge aus Somalia in Österreich wächst zwar in den letzten Jahren, allerdings sind somalische Schulkinder immer noch relativ selten. Manche Kinder haben lange Fluchterfahrungen, einige auch Traumatisierungen hinter sich. Konflikte unter Somalis sind bislang kaum bekannt geworden. Anhänger_innen der al-Shabaab-Milizen sind eine absolute Ausnahmeerscheinung.

Zu achten wäre allenfalls darauf, ob es Anzeichen gibt, dass Schülerinnen beschnitten werden könnten. Dem wäre nicht nur entgegenzuwirken, weil weibliche Genitalverstümmelung in Österreich strikt verboten ist, sondern v. a. weil es sich dabei um einen schwerwiegenden und gesundheitsgefährdenden Eingriff handelt, der sexuelle Erfahrungen ein ganzes Leben lang behindern kann.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Rassismus oder antimuslimischen Ressentiments ist auch durch die Lehrer_innenschaft entgegenzuwirken.

Literaturempfehlungen:

Marc Engelhardt / Bettina Rühl: Somalia. Warlords, Islamisten, Investoren. Frankfurt am Main, 2019

Torben Stich: Somalia zwischen Staatsaufbau und Staatszerfall. Stuttgart, 2015

Walter Feichtinger / Gerald Hainzl (Hg.): Somalia. Optionen – Chancen – Stolpersteine. Wien, 2012

 

Autor: Thomas Schmidinger

Syrien

Politischer und historischer Hintergrund:

Syrien entstand als französisches Protektorat aus der Zerschlagung des Osmanischen Reiches durch die Siegermächte des ersten Weltkrieges. Das Land war von Anfang an von großem ethnischem und religiösem Pluralismus geprägt. Neben der arabischen Mehrheitsbevölkerung leben in Syrien rund 10% Kurd_innen, sowie Armenier_innen, verschiedene aramäischsprachige Gruppen, Tscherkessen, Tschetschenen, Turkmenen und Dome/Domba, die nahöstlichen Roma. Neben einer sunnitischen Mehrheitsbevölkerung leben in Syrien verschiedene Ismailit_innen, Drusen, Alawit_innen, und Zwölferschiit_innen, sowie Angehörige einer Vielzahl verschiedener christlicher Kirchen, Jesid_innen und letzte Reste der einst zahlreichen Jüd_innen.

Syrien blieb bis nach dem zweiten Weltkrieg französisches Mandatsgebiet. Nach der Kapitulation Frankreichs blieb die Mandatsverwaltung gegenüber dem Vichy-Regime loyal, was im Juni 1941 zum Einmarsch britischer Truppen im Bündnis mit Soldaten des Freien Frankreichs führte. General Catroux erklärte Syrien und den Libanon in der Folge für unabhängig, de facto blieb die französische Herrschaft allerdings bis nach dem Krieg bestehen. Erst am 17. April 1946 wurde schließlich wirklich die unabhängige Syrische Republik ausgerufen.

Zunächst bildete Syrien eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem, freien Medien und Gewerkschaften. In der Folge kam es jedoch zu heftigen Machtkämpfen zwischen den alten feudalen Eliten, Kommunist_innen und arabischen Nationalist_innen. Aus Furcht vor einer kommunistischen Machtübernahme entsandten schließlich arabische Nationaliste_innen eine Delegation nach Ägypten, wo die Vereinigung der beiden Staaten beschlossen und am 1. Februar 1958 unter dem Namen „Vereinigte Arabischen Republik“ (VAR) bekanntgegeben wurde.

In diesem gemeinsamen Staat fühlten sich die Syrer_innen allerdings rasch gegenüber den sehr viel zahlreicheren Ägypter_innen benachteiligt und schon im September 1961 setzte ein Putsch syrischer Offiziere nach langen Protesten dem gemeinsamen Staat ein Ende.

In den 1960er-Jahren wurden rund 10% der syrischen Kurd_innen durch eine Sondervolkszählung die Staatsbürgerschaft aberkannt und es wurde versucht, durch einen „Arabischen Gürtel“ die Grenzregionen zu Syrien und der Türkei zu arabisieren.

Wie auch im Irak erlangte die arabisch-nationalistische Baath-Partei erstmals durch einen Putsch 1963 die Macht. Damit waren die Richtungskämpfe in der syrischen Regierung allerdings nicht zu Ende. In der Folge kam es zu Konflikten zwischen Rechts- und Linksbaathisten, die mit Putschen und Putschversuchen innerhalb der Baath-Partei einhergingen. Diese Konflikte endeten erst als sich Hafiz al-Assad 1970 an die Macht putschte und die so genannte „Korrekturrevolution“ einleitete. Assad, der gewissermaßen einen pragmatischen Flügel der Baath-Partei repräsentierte, gelang es politische Rival_innen, wie die Kommunistische Partei, mit Druck zur Kooperation zu bringen und in das autoritäre System des baathistischen Syriens zu integrieren. Er stabilisierte die Herrschaft der Baath-Partei und machte beim Aufstand der Muslimbrüder 1982 in Hama klar, dass er bereit ist auch äußerste Mittel der Gewalt anzuwenden, wenn seine Kooperationsangebote nicht angenommen würden.

In den 1980er-Jahren unterstützte Assad die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen die Türkei, während er die eigene kurdische Bevölkerung unterdrückte. Auch andere Minderheitensprachen konnten in Syrien nie Amts- oder Bildungssprache werden. Das arabisch-nationalistische Regime ließ ausschließlich Arabisch als Unterrichts- und Amtssprache zu. 1998 wurde PKK-Führer Abdullah Öcalan schließlich ausgewiesen, um die Türkei politisch zufrieden zu stellen.

Trotz der Repression gegen ethnische Minderheiten inszenierte sich das Baath-Regime immer als Beschützer der religiösen Minderheiten. Als säkulares Regime unterdrückte es verschiedene Formen des politischen Islams und besetzte die wichtigsten Positionen im Sicherheitsapparat, in Armee und Geheimdiensten mit Alawit_innen, also Angehörigen jener religiösen Minderheit, der auch die Familie Assad angehört. Auch Christ_innen und Drus_innen waren überproportional in Verwaltung und Wirtschaft vertreten.

Nach dem Tod von Hafiz al-Assad am 10. Juni 2000 wurde dessen Sohn Bashar al-Assad zu seinem Nachfolger ernannt. Bashar al-Assad galt zunächst als Reformer, ließ politische Gefangene frei, ermöglichte einen öffentlichen Diskurs über die Zukunft Syriens und legalisierte das Internet. Allerdings war diese Periode des „Damaszener Frühlings“ bald beendet. Am Ende hatte Syrien noch mehr politische Gefangene als zuvor. Auch die 2003 in Syrien gegründete Schwesterpartei der PKK hatte nun unter Repressionen zu leiden, nachdem sich diese nun nicht mehr nur auf die Türkei konzentrierte, sondern auch politische Forderungen für die Kurd_innen in Syrien stellte.

Unter Bashar al-Assad verschärften sich auch die sozialen Verhältnisse in Syrien. Einerseits konnten einige Unternehmerfamilien, wie die mit der Herrscherfamilie eng verwandte Makhlouf-Familie, immensen Reichtum anhäufen, andererseits kam es zum sozialen Abstieg unterer Schichten. Insbesondere die aufgrund von zunehmender Wasserknappheit vom Land in die Städte strömenden ehemaligen Bäuer_innen bildeten ein wachsendes Subproletariat in den Vorstädten.

Die daraus resultierende soziale Unzufriedenheit bildete zusammen mit dem Unmut über Korruption und Autoritarismus die Basis für die Proteste, die sich im Frühling 2011 zunächst gegen polizeiliche Willkür, bereits bald jedoch gegen das gesamte Regime richteten. Die massive Repression gegen die Proteste führte nur zum Anwachsen derselben. Als schließlich die Armee immer intensiver gegen Demonstrant_innen eingesetzt wurde, desertierten immer mehr syrische Wehrpflichtige. Als Präsident Assad schließlich einen Schießbefehl gegen diese Deserteure erließ, begannen immer mehr Deserteure mit ihren Waffen zu fliehen und sich gegen ihre ehemaligen Kameraden zu verteidigen. Aus diesen versprengten bewaffneten Deserteuren entstanden bewaffnete Widerstandsgruppen, die sich bald unter dem Label „Freie Syrische Armee“ (FSA) zusammenfanden, allerdings nie wirklich eine Armee mit einem zentralen Kommando darstellten. Vielmehr handelte es sich um ein Sammelsurium verschiedener Einheiten mit unterschiedlichen Loyalitäten und Ideologien, die ab dem Sommer 2011 auch zunehmend von Nachbarstaaten wie der Türkei, Saudi-Arabien oder Qatar unterstützt wurden.

Damit militarisierte sich nicht nur die Revolution, sondern fragmentierte sich auch die ohnehin schon aus verschiedenen Gruppen bestehende FSA weiter. Neben der FSA entstanden jihadistische Gruppen, wie die Jabhat al-Nusra oder die Ahrar ash-Sham. 2013 spaltete sich die alte FSA in säkulare und islamistische Teile. Aus Teilen der Jabhat al-Nusra entstand ab 2013 gemeinsam mit irakischen Jihadist_innen der so genannte „Islamische Staat“ (IS).

Im Norden Syriens konnten schon im Sommer 2012 kurdische Einheiten, die der PKK nahestanden, die kurdischen Kerngebiete übernehmen. Nachdem der IS im Herbst 2014 die kurdische Stadt Kobanê überfallen hatte, kam es zu einem viereinhalb Jahre dauernden Krieg zwischen den kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ auf der einen und dem IS auf der anderen Seite, der im Frühling 2019 mit der Niederlage des IS endete. Wichtigster militärischer Unterstützer im Kampf gegen den IS wurde dabei die US-Armee, die mit den Kurd_innen ein taktisches Bündnis zur Bekämpfung der Jihadist_innen einging, sich aber als äußerst unzuverlässiger Bündnispartner erweisen sollte.

Die von der YPG und YPJ gegründeten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kontrollierten Anfang 2019 fast ein Viertel des syrischen Territoriums, darunter mehr arabische als kurdische Gebiete. Arabische und christliche Einheiten arbeiten dabei im Rahmen der SDF mit den kurdischen Einheiten zusammen.

Die Reste der alten FSA verloren im Süden schließlich 2018 ihre letzten Gebiete. Zugleich begann die Türkei im Norden kurdische Gebiete einzunehmen und besetzte im März 2018 die kurdische Region Afrin. Große Teile der kurdischen Bevölkerung wurden von den Besatzern vertrieben. Stattdessen wurden arabische und turkmenische Syrer_innen aus anderen Teilen Syriens dort angesiedelt. Im Oktober 2019 griff die Türkei schließlich auch noch das verbliebene kurdische Autonomiegebiet Nord- und Ostsyriens an, nachdem US-Präsident Trump den Rückzug seiner Truppen erklärt hatte. Die SDF sahen sich in der Folge gezwungen mit Russland und dem syrischen Regime zu kooperieren, um zumindest Teile ihrer Selbstverwaltung retten zu können. Aus den 2019 von der Türkei eroberten Gebieten floh ebenfalls die kurdische und die christliche Bevölkerung, die seither als Vertriebene in anderen Teilen der Selbstverwaltung in Zelten lebt.

Ende 2019 ist Syrien in vier Territorien gespalten. Der Großteil des Landes wird von der syrischen Regierung und von regierungstreuen Milizen kontrolliert. Die Provinz Idlib wird überwiegend von den Jihadist_innen der Hayat Tahrir ash-Sham – der ehemaligen Jabhat al-Nusra – kontrolliert. Afrin und die gemischtsprachige Region um Azaz und Jarablus wird ebenso von der türkischen Armee und protürkischen Milizen besetzt sowie ein etwa 120 km langer und 30km breiter Streifen zwischen Serê Kaniyê und Tal Abyad im Nordosten. Der Rest Nordost-Syriens unterliegt weiter der kurdisch dominierten Selbstverwaltung, allerdings sind seit November 2019 in einigen Gebieten auch syrische und russische Einheiten aktiv.

Der syrische Bürgerkrieg hat zu einer der größten humanitären Katastrophen in der Region geführt. Nach acht Jahren Bürgerkrieg ist jede_r zweite Syrer_in entweder Flüchtling oder innerhalb Syriens vertrieben. Insgesamt haben über sechs Millionen Syrer_innen ihr Land verlassen. Etwa weitere fünf Millionen Syrer_innen wurden innerhalb des Landes vertrieben.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Viele syrische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, sind aufgrund der Kriegsereignisse traumatisiert. Teilweise existieren allerdings auch politische Konflikte zwischen Anhänger_innen des Regimes, der verschiedenen Oppositionsgruppen und der verschiedenen kurdischen Parteien. Da sich viele arabische Oppositionsgruppen hinter den türkischen Einmarsch in Afrin und Nordostsyrien gestellt haben und Teile der Opposition von der Türkei unterstützt werden, kommt es auch in der Diaspora immer wieder zu Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Syrer_innen aber auch zwischen türkischen und syrisch-kurdischen Diaspora-Gruppen in Europa. Dies kann sich, je nach Zusammensetzung, auch in einer Schule beziehungsweise Klasse widerspiegeln.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Sollte es zwischen syrischen und türkischen oder verschiedenen syrischen Kindern zu Konflikten kommen, die möglicherweise mit den Konflikten in Syrien zu tun haben, macht es Sinn, genau nachzufragen und mit den Kindern dahingehend zu arbeiten, dass diese den anderen als Person wahrzunehmen lernen und nicht nur als Vertreter_in einer ethnischen oder religiösen Gruppe.

Wichtig ist es bei Konflikten auch, zu erkennen, ob es sich um Mobbing handelt oder ob Traumata durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Dies betrifft insbesondere auch Angehörige von Gruppen, die durch Massaker besonders traumatisiert sind und diese möglicherweise konfessionell interpretieren. Auch dieses individuelle Erleben von Traumatisierten ist unbedingt ernst zu nehmen, benötigt aber eine andere Reaktion als bei Mobbing. In solchen Fällen wäre unbedingt professionelle Hilfe für die Traumatisierten, etwa durch eine Psychotherapie, ratsam. Die Schulpsychologie bietet hierbei Beratung und Unterstützung an.

Literaturempfehlungen:

Daniel Gerlach: Herrschaft über Syrien. Macht und Manipulation unter Assad. Hamburg, 2015

Gerhard Schweizer: Syrien verstehen. Stuttgart, 2018

Thomas Schmidinger: Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava. Wien, 2017

 

Autor: Thomas Schmidinger

Tschetschenien

Politischer und historischer Hintergrund:

Tschetschenien ist eine Teilrepublik Russlands im Nordkaukasus, die in etwa die Größe Niederösterreichs und weniger als eine Million Einwohner_innen hat. Die Tschetschen_innen bildeten nie einen eigenen Staat, lebten allerdings vor der russischen Kolonialisierung in weitgehend unabhängigen Stammesgesellschaften, die sich erst im Abwehrkampf gegen Russland zu einer gemeinsamen politischen Kraft zusammenschlossen.

Tschetschenische Gesellschaft

Anders als die weiter westlich lebenden Tscherkess_innen und Osset_innen bildete sich bei den Tschetschenen keine stratifizierte Gesellschaft heraus. Es gab bei den Tschetschen_innen nie eine Adelsschicht, Fürsten oder eine Feudalgesellschaft. Vielmehr sahen sich die männlichen Mitglieder eines Stammes (Teip) als gleichberechtigte Stammesmitglieder, deren Stämme sich wiederum zu größeren Föderationen (Tukhum) zusammenschlossen. Bis heute weiß jede_r Tschetschen_in zu welchem Teip er_sie gehört. Frauen spielten durchaus auch eine wichtige gesellschaftliche Rolle, allerdings in einer patriarchalen Stammesgesellschaft keineswegs eine gleichberechtigte.

Die tschetschenische Bevölkerung hat bis heute viele tribale Traditionen bewahrt, die weit vor ihre späte Islamisierung im 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, die aber auch durch die Kriege der letzten 200 Jahre überlagert wurden. Der tschetschenische Islam blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein durch vorislamische Traditionen beeinflusst und wird von Sufi-Bruderschaften dominiert. Tschetschenien ist eine der wenigen Regionen weltweit in denen es neben männlichen Sufi-Bruderschaften auch weibliche Sufi-Gemeinschaften gibt, die wie die Männer eigene Rituale (Dhikr) durchführen.

Russischer Kolonialismus und Widerstand

Im 18. Jahrhundert begann die schrittweise Kolonialisierung des Kaukasus durch Russland. Wie bei den Tscherkess_innen weiter im Westen wurden auch in Dagestan und Tschetschenien erste russische Militärstützpunkte errichtet, die allerdings auch auf Widerstand stießen. Bereits 1707 wurde der erste russische Stützpunkt in Tarki von tschetschenischen Kämpfern verwüstet. 1785 schlossen sich unter Mansur Uschuma mehrere Bergstämme des Nordkaukasus zum „Jihad“ gegen die Russen zusammen und schufen erstmals eine gemeinsame militärische Organisation gegen das russische Vordringen. Nachdem Georgien 1801 zur Provinz des Russischen Reiches wurde, waren die tschetschenischen Siedlungsgebiete von Russland umzingelt. In der Folge gelang es Russland bis 1910 durch Feldzüge und Verhandlungen die Eingliederung großer Teile der Vorgebirge des Kaukasus und Dagestans in das Russische Reich durchzusetzen. 1816 führte ein russischer Feldzug ins kaukasische Bergland und versuchte die dortigen Stämme zu unterwerfen, 1829 folgte ein weiterer. Die bereits im 18. Jahrhundert entstandene Muridenbewegung erlebte unter Imam Schamil einen neuen Aufschwung, der große Teile der muslimischen nordkaukasischen Stämme gegen Russland vereinte.

Gegen dieses politische Gemeinwesen unter Imam Schamil begann 1839 Russland seinen ersten Feldzug. Erst 1859 gelang es aber schließlich Tschetschenien zu erobern und am 6. September Imam Schamil festzunehmen. In der Folge flüchteten Teile der kaukasischen Bevölkerung in das Osmanische Reich und wurden in der heutigen Türkei, Syrien, Jordanien und Israel angesiedelt, wo es heute noch kaukasische Minderheiten gibt.

Als im Zuge der Februarrevolution 1917 sich durch die politische Instabilität Russlands eine neue Chance auf Autonomie ergab, versuchten sich die Tschetschen_innen wieder für ihre eigene Unabhängigkeit zu organisieren. Im Oktober 1917 riefen sie schließlich gemeinsam mit anderen Gruppen des Nordkaukasus die „Union der kaukasischen Bergvölker“ als unabhängigen Staat aus.

Tschetschenien in der Sowjetunion

Im Russischen Bürgerkrieg zwischen „Weißen“ und „Roten“ standen die Tschetschen_innen auf der Seite der Roten; allerdings weniger aus politischer Überzeugung als aufgrund der Tatsache, dass ihre Erzrivalen, die vom Zarenreich in der Steppe am Fuße des Kaukasus angesiedelten Kosaken, auf der Seite der Weißen standen. Nach dem Sieg der Roten wurde Tschetschenien 1921 Teil der neu gegründeten Gorskaja ASSR (Berg-ASSR) und 1922 zum autonomen Gebiet innerhalb der Gorskaja ASSR. Zunächst entstand hier eine Koexistenz zwischen islamischem Recht und Sowjetmacht. Die Sowjetunion ging in Tschetschenien vorsichtiger vor und akzeptierte vorerst den Fortbestand islamischer Schulen und das patriarchale Gewohnheitsrecht. Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde von den meisten Tschetschen_innen abgelehnt. Das kaukasische Bergland wurde erneut von Kämpfen zwischen tschetschenischen Kämpfern und russischen – diesmal sowjetischen – Truppen heimgesucht.

1934 wurde Tschetschenien mit Inguschetien zum Tschetschenisch-Inguschetischen Autonomen Gebiet zusammengefasst aus dem 1936 die Tschetschenisch-Inguschetischen Autonome Sowjetrepublik wird. Dieser Schritt zu mehr Autonomie wurde allerdings durch die politische Entwicklung unter Stalin konterkariert. Wie in der gesamten Sowjetunion kam es auch in Tschetschenien von 1936 bis 1938 zu Massenverhaftungen und einer Hinrichtungswelle innerhalb und außerhalb der Kommunistischen Partei. Stalin ließ dabei insbesondere alte Bolschewiken hinrichten, die seiner Machtentfaltung im Wege stehen könnten. In diesem Zusammenhang wurden die gesamten Führungseliten der Autonomen Republik der Tschetschenen und Inguscheten ausgewechselt. Damit fehlten auch jene Eliten, die zwischen konservativer Bergbevölkerung und sowjetischen Behörden vermitteln hätten können, was 1939 zu einem erneuten bewaffneten Aufstand gegen die Sowjetunion führte.

1940 rief Islamist Israilow zum Kampf gegen die Sowjetunion auf und proklamierte eine Provisorische Regierung der Tschetschenen und Inguschen, was durch Kontakte mit Nazi-Deutschland und das Vordringen des Deutschen Reiches in Richtung Kaukasus zunehmend zum Problem für die Sowjetunion wurde.

Im Sommer 1942 gelang es dem Deutschen Amt Ausland / Abwehr II mit dem Unternehmen Schamil 1 und Schamil 2 durch den deutschen Geheimdienst mehrere Gruppierungen tschetschenischer Nationalisten zu einer gemeinsamen Front zusammenzufassen, die zeitweise eine ganze Division der Roten Armee in Tschetschenien binden könne. Auf der anderen Seite kämpften jedoch immer mehr Tschetschen_innen in der Roten Armee gegen das Deutsche Reich als gegen die Sowjetunion.

Trotzdem benutzte Stalin die Kollaboration eines Teils der Tschetschen_innen mit Nazideutschland um am 23. Februar 1944 die gesamte Bevölkerung der Tschetschen_innen und Indusch_innen ohne Vorwarnung vollständig nach Zentralasien zu deportieren. Fast ein Viertel der tschetschenischen Bevölkerung kam während der Deportation und in Kasachstan, dem Ziel der meisten Deportationszüge, ums Leben. Zehntausende weitere starben in den ersten Monaten durch die schlechte Infrastruktur und die Winterkälte vor Ort. Die Tschetschenisch- Inguschetische Autonome Sowjetrepublik wurde aufgelöst.

Erst nach dem Tod Stalins 1957 wurden die Anschuldigungen an die nordkaukasischen Bevölkerungsgruppen, mit den „deutschen Faschisten“ kollaboriert zu haben, zurückgenommen. Den Überlebenden wurde die Rückkehr in den Kaukasus gestattet, die Tschetschenisch-Inguschische Autonome Sowjetrepublik wiedererrichtet. Im kollektiven Gedächtnis der Tschetschen_innen und Ingusch_innen bleibt die Deportation vom Februar 1944 aber als Genozid erhalten. Der 23. Februar wird weltweit von Nachkommen als Gedenktag begangen.

Tschetschenien und der Zerfall der Sowjetunion

Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion sahen auch viele Tschetschen_innen eine Chance auf Unabhängigkeit oder zumindest mehr Autonomie. Bereits am 20. Juni 1991 riefen Inguschen eine eigenständige Teilrepublik Inguschetien innerhalb der Russischen Föderation aus, was sowohl von Moskau als auch von Grozny anerkannt wurde. Damit existierte auf der anderen Seite eine Teilrepublik Tschetschenien. Wenige Monate später sollten sich jedoch die Ereignisse in Moskau und in Tschetschenien überschlagen.

Als es im August 1991 zu einem Putschversuch restaurativer Kommunist_innen gegen Mickail Gorbatschow kam, ist die KP-Führung Tschetscheniens eine der wenigen Republiksführungen, die die Putschisten unterstützte. Mit ausdrücklicher Billigung Boris Jelzins, damals noch Präsident der Russischen Föderativen Republik innerhalb der Sowjetunion, stürzten daraufhin nationalistische tschetschenischen Militärs unter General Dshochar Dudajew die kommunistische Republiksführung. Dudajew hatte sich als sowjetischer General einen Namen gemacht und hatte keinerlei Sympathien mit islamistischen Strömungen. Nicht einmal als Nationalist hatte sich der bis kurz vorher im Baltikum stationierte Militär bis dahin einen Namen gemacht. Nun ergriff er jedoch die Gelegenheit und erklärte im Oktober 1991 nach einer teilweise manipulierten Wahl Tschetscheniens Unabhängigkeit. Obwohl von Russland nicht anerkannt, wurde das Land damit de facto autonom von Dudajew regiert.

Das Land hatte jedoch, nachdem im Mai 1992 die russische Regierung eine Wirtschaftsblockade über Tschetschenien verhängte, mit großen ökonomischen Problemen zu kämpfen, die zu einer Schmugglerökonomie führten, die kaum noch politisch kontrolliert werden konnte. Im Frühling 1993 führte ein Machtkampf zwischen Parlament und Präsident Dudajew zu täglichen Demonstrationen gegen die Regierung Dudajew, der am 17. April 1993 das Parlament auflöste und den Ausnahmezustand verhängte. Während Dudajew mit Hilfe der Nationalgarde weiterhin über Grozny und Umgebung herrschte, wurde das Land teilweise von rivalisierenden Oppositionsgruppen kontrolliert. Diese Fragmentierung Tschetscheniens und die Vielzahl an Bewaffneten unterschiedlichster Orientierung führte im Juni zu Kämpfen zwischen Regierung und Opposition in Grozny, was nun auch zunehmend von Russland genutzt wurde, um wieder in Tschetschenien Fuß zu fassen.

Erster Tschetschenienkrieg

Im November 1994 unterstützte Russland tschetschenische Oppositionelle beim Sturm auf die tschetschenische Hauptstadt Grozny. Der Versuch scheiterte zunächst. Im Dezember 1994 marschierten schließlich jedoch russische Truppen ein, womit der erste Tschetschenienkrieg begann, bei dem fast 100.000 Menschen, darunter auch tausende Zivilist_innen, ihr Leben verloren. Im April 1996 wurde Dudajew von einer russischen Rakete getötet. Jelzin setzte Selimchan Jandarbijew als tschetschenischen Präsidenten ein. Allerdings gelang es Russland nur kurzfristig Grozny einzunehmen und der Feldzug entwickelte sich zunehmend zu einem Desaster für Russland. Im August 1996 erobern tschetschenische Nationalisten Grozny zurück. Der um seine Wiederwahl fürchtende Jelzin beauftragte schließlich seinen Sicherheitsberater Alexander Lebed in Khassawjurt einen Waffenstillstand mit dem tschetschenischen Stabschef Aslan Maschadow zu unterzeichnen. Im November folgte der Rückzug der russischen Truppen und im Jänner 1997 gewann der tschetschenische Nationalist Aslan Maschadow die Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien.

Im Mai 1997 unterschrieben Maschadow und Jelzin im Kreml einen Friedensvertrag, der Tschetschenien innere Autonomie zusicherte, die Entscheidung über die formale Unabhängigkeit jedoch um fünf Jahre verschob.

Autonomie

In Tschetschenien selbst gelang es Maschadow allerdings nicht eine stabile Staatlichkeit aufzubauen. Ökonomisch und politisch isoliert, gewannen islamistische Kräfte und kriminelle Netzwerke immer mehr an Boden. Das Land wurde zunehmend abhängig von arabischen Golfstaaten, die neben Hilfslieferungen auch ihre Form eines wahhabitisch geprägten Islam in die Region exportierten. Nachdem Tschetschenien zunehmend von kriminellen Banden, internationalen islamistischen Freiwilligen und Warlords kontrolliert wurde und der Regierung das Land zu entgleiten drohte, verhängt Maschadow im Juni 1998 schließlich den Ausnahmezustand. Im Jänner 1999 gab ein zunehmend machtlos werdender Maschadow schließlich dem Drängen tschetschenischer Islamist_innen und ihrer ausländischen Verbündeten nach und erklärte, dass in Tschetschenien innerhalb von drei Jahren die Sharia eingeführt werden solle.

Bereits im Juli 1999 beschloss der russische Sicherheitsrat den Einmarsch in den Norden Tschetscheniens. Die Niederlage der großen russischen Armee gegen das kleine Tschetschenien blieb eine offene Wunde, die auszumerzen der im August 1999 zum neuen Ministerpräsidenten ernannte ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin zum wichtigsten Ziel seiner Amtszeit erklärte.

Zwei Tage vor Putins Amtsantritt hatten am 7. August 1999 unter der Führung des tschetschenischen Islamisten Schamil Bassajew hunderte Kämpfer damit begonnen, einige Bergdörfer in der Nachbarrepublik Dagestan zu besetzen.

Zweiter Tschetschenienkrieg

Die russische Luftwaffe begann daraufhin mit der Bombardierung tschetschenischen Territoriums. Nachdem im September schließlich mehr als 300 Russ_innen bei bis heute noch nicht geklärten Bombenanschlägen starben, begann am 2. Oktober 1999 mit dem Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien der zweite Tschetschenienkrieg. Über 200.000 Tschetschen_innen flüchteten nach Inguschetien, Tausende weiter nach Westeuropa oder in die Türkei. Über 20.000 Tschetschen_innen sollten in den folgenden Jahren auch in Österreich als Flüchtlinge landen.

Bereits im Februar 2000 ist die tschetschenische Hauptstadt Grozny fast vollständig zerstört und in russischer Hand. Der Sieg über Tschetschenien und damit die Revision der russischen Niederlage im 1. Tschetschenienkrieg ebnete schließlich im März 2000 den Weg zum Wahlsieg Wladimir Putins als neuer Russischer Präsident.

Im südlichen Bergland wurde zwar weitergekämpft, im Juni 2000 erklärte Putin jedoch den früheren Mufti Achmed Kadyrow zum Chef einer tschetschenischen Übergansverwaltung, die später per Erlass zur neuen Regierung aufgewertet wurde. Russische Generäle erklärten den Krieg für beendet. Auch wenn bereits im Sommer 2000 keine Territorien mehr von den tschetschenischen Widerstandseinheiten kontrolliert wurden, so setzten diese als Guerillagruppen in den Bergen den bewaffneten Widerstand gegen Russland fort. Immer mehr Anschläge wurden dabei ausgeführt.

Kadyrow und der Untergrund

Am 9. Mai 2004 wurde der von Moskau eingesetzte tschetschenische Präsident Achmed Kadyrow bei einem Bombenanschlag getötet. Putin ernannte daraufhin den tschetschenischen Regierungschef Sergej Abramow zum provisorischen Präsidenten. Kadyrows Sohn Ramzan Kadyrow wurde zum neuen starken Mann und 2007 schließlich auch formal zum Präsidenten Tschetscheniens

Maschadow versuchte im Untergrund weiterhin seine Regierung aufrecht zu erhalten, wurde jedoch im März 2005 von einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB getötet. Sein Nachfolger als „Präsident“ der Separatist_innen wurde der stärker islamistisch ausgerichtete Abdul-Khalim Sadulajew. Richtungskämpfe zwischen säkularen Nationalist_innen um Achmed Sakajew und Islamist_innen um Mowladi Udugow führten ab 2006 innerhalb der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung im Untergrund zu zunehmenden Spannungen. Abdul-Khalim Sadulajew entlässt in der Folge vier Minister der im Untergrund agierenden Separatistenregierung, darunter Vizepremierminister Sakajew. Im Juni 2006 wird jedoch Sadulajew selbst getötet und der noch radikalere Islamist Doku Umarow zu seinem Nachfolger ernannt.

Dieser rief im Oktober 2007 das Kaukasische Emirat aus und erklärte damit zugleich die Auflösung der tschetschenischen Republik Itschkeria. Damit kommt es im anti-russischen Untergrund endgültig zur Spaltung zwischen Islamist_innen (Kaukasus Emirat) und Nationalist_innen, die unter Sakajew weiter an der Fiktion einer Republik Itschkeria festhielten.

In den folgenden Jahren festigte Ramzan Kadyrow seine Macht in Tschetschenien und baute einen pro-russischen de facto aber weitgehend autonomen Herrschaftsapparat auf, der politische Gegner brutal verfolgte und der auch innerhalb Russlands immer wieder zur Beseitigung von Kreml-Kritiker_innen, wie etwa der kritischen Journalistin Anna Politkovskaja, eingesetzt wurde.

Parallel zum Machtausbau des Systems Kadyrow wurde der Spielraum für unabhängige NGOs und Oppositionelle in Tschetschenien immer kleiner. Zugleich pumpte Russland viel Geld in die Teilrepublik und finanzierte großzügig den Wiederaufbau. Kadyrow steckte viel davon in große Prestigeprojekte in der Hauptstadt Grozny, die innerhalb weniger Jahre nicht mehr wiederzuerkennen war. Der bewaffnete Untergrund des Kaukasus Emirats wurde zunehmend in die Nachbarrepubliken nach Dagestan und Inguschetien abgedrängt, die Nationalist_innen waren fast nur noch im Exil präsent.

In einer Phase der Schwäche und Marginalisierung schlossen sich im Sommer und Herbst 2014 schließlich die Mehrheit der Feldkommandanten des Kaukasus Emirats dem so genannten „Islamischen Staat“ an, bei dem sich schon in den Jahren zuvor immer mehr Tschetschen_innen aus Europa eingefunden haben und ganze tschetschenische Brigaden im syrischen Bürgerkrieg aktiv wurden.

Diaspora in Österreich

In der Diaspora in Österreich hat dies eine weitere Spaltung der tschetschenischen Community zur Folge. Von den Grausamkeiten des „Islamischen Staates“ abgeschreckt, wenden sich viele ehemalige Anhänger des Kaukasus Emirats ab und ziehen sich vielfach ganz aus der Politik zurück. Neben Anhänger_innen des Emirats, der säkularen Nationalist_innen und des Kadyrow-Regimes, gibt es aber auch in Österreich vor allem unter jungen Tschetschen_innen durchaus auch Anhänger_innen des IS-Jihadismus.

Die tschetschenischen Communities sind allerdings nicht nur deshalb teilweise von gegenseitigem Misstrauen geprägt, sondern auch deshalb, weil Geheimdienstnetzwerke aus Tschetschenien auch in Österreich aktiv sind und zumindest in einem Fall, dem 2009 in Wien ermordeten Umar Israilov, bereits in Österreich Mordbefehle aus Tschetschenien ausgeführt haben.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Viele tschetschenische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, sind aufgrund der Kriegsereignisse traumatisiert. In vielen tschetschenischen Familien existiert kein Vater oder sind diese so nachhaltig von den Kriegsereignissen traumatisiert, dass die Kinder oft ohne männliche Vorbildfigur aufwachsen, was insbesondere für junge Burschen schwerwiegende Folgen haben kann. Dazu kommt noch die Stigmatisierung von Tschetschen_innen in der österreichischen Gesellschaft, die teilweise dazu führt, dass tschetschenische Jugendliche sich in Gruppen zurückgezogen haben und sich ohnehin für chancenlos halten.

Teilweise existieren allerdings auch politische Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener politischer Strömungen. Tschetschenische Jugendliche sind, insbesondere in der Hochphase des IS, aber auch mit kurdischen Jugendlichen in Auseinandersetzungen geraten. All dies kann sich, je nach Zusammensetzung, auch in einer Schule bzw. Klasse widerspiegeln.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden, oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Sollte es zwischen tschetschenischen und kurdischen oder verschiedenen tschetschenischen Kindern zu Konflikten kommen, die möglicherweise mit den Konflikten in der Region zu tun haben, macht es Sinn, genau nachzufragen und mit den Kindern dahingehend zu arbeiten, dass diese den anderen als Person wahrzunehmen lernen und nicht nur als Vertreter_in einer ethnischen oder religiösen Gruppe. Vermeiden Sie auf jeden Fall Stigmatisierungen und vorschnelle Verdächtigungen, wenn Sie den Eindruck haben, dass sich Jugendliche in Richtung extremistischer Ideologien entwickeln könnten. Suchen Sie in diesem Falle professionelle Unterstützung. Mehr Infos dazu finden Sie unter der Kurzinformation „Extremismus“.

Literaturempfehlungen:

Herwig Schinnerl / Thomas Schmidinger: Dem Krieg entkommen? Tschetschenien und TschetschenInnen in Österreich. Wiener Neustadt, 2012

Anna Politkovskaja: Tschetschenien. Die Wahrheit über den Krieg. Köln, 2003

Jeronim Perović: Der Nordkaukasus unter Russischer Herrschaft. Geschichte einer Vielvölkerregion zwischen Rebellion und Anpassung. Köln/Weimar/Wien, 2015

Autor: Thomas Schmidinger

Methoden

Fish-Bowl (Diskussionsmethode)

Fish-Bowl ist eine Diskussionsmethode für größere Gruppen. Die Methode ermöglicht es, dass alle gehört werden können und fördert ein konstruktives Diskussionsklima. Dabei formen die Schüler_innen einen großen Kreis und in der Mitte befindet sich das „Podium“ mit mindestens drei Plätzen, wobei ein Platz frei bleibt. Schüler_innen, die zur Diskussion beitragen möchten können nacheinander in die Mitte treten, den freien Platz einnehmen und ihren Standpunkt äußern. Wichtig ist, dass immer, wenn jemand den freien Platz einnimmt, ein anderer Platz frei werden muss. Es dürfen nur diejenigen sprechen, die in der Mitte stehen. Eine Person übernimmt die Moderation und die Zusammenfassung der Diskussion am Ende der Übung. Je nach Thema, können Schüler_innen vorab das Thema recherchieren oder ohne Vorbereitung in die Diskussion eintreten. Diese Methode eignet sich vor allem für Diskussionen, welche heikle Themen, die zu Emotionen und Polarisierung führen können, ansprechen.

Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier: Fish Bowl

Forumtheater/Theater der Unterdrückten

Das Theater der Unterdrückten (TdU) ist eine interaktive Form des Theaters, das vom Brasilianer Augusto Boal entwickelt wurde. Die Grundidee ist, „die Menschheit menschlicher zu machen“ indem sowohl die Theaterschaffenden als auch das Publikum gemeinsam ein Problem oder einen Konflikt durchspielen. Ziel ist es, gemeinsam eine Lösung zu einem bestimmten Problem zu finden. Hierbei verschwimmen die Rollen der Schauspieler_innen und der Zuseher_innen. Nach dem Darstellen eines Problems auf der Bühne, dürfen die Zuseher_innen einschreiten und den Darsteller_innen helfen, den Konflikt zu lösen. Durch Interaktion und Improvisation können unterschiedliche Strategien durchgespielt werden. Dies bietet die Möglichkeit der Entwicklung einer gemeinsamen effektiven Strategie, um Konfliktpotentiale aufzulösen. Das TdU weist eine äußerst geringe Hemmschwelle auf, da es weder professioneller Schauspieler_innen oder eines Skripts bedarf. Aus diesem Grund kann das TdU in der Klassengemeinschaft als Methode zur Auflösung unterschiedlicher sozialer Konflikte herangezogen werden. Im Anschluss folgt eine pädagogische Nachbetreuung der Darstellung.

Weitere Informationen zum Theater der Unterdrückte finden Sie hier: Forumtheater

Kugellager (Diskussionsmethode)

Wie Fish-Bowl und World-Café handelt es sich auch beim Kugellager um eine Diskussionsmethode in Großgruppen. Dabei bilden die Schüler_innen zwei konzentrische Kreise: einen Innen- und einen Außenkreis. In beiden Kreisen müssen gleich viele Schüler_innen sitzen, so dass sich immer zwei Personen gegenübersitzen oder stehen. Die Teilnehmer_innen des Innenkreises blicken nach außen, so dass sich immer zwei Diskussionsteilnehmer_innen gegenüberstehen. Der oder die Lehrende formuliert nun eine Frage, die zwischen den sich gegenüberstehenden Studierenden diskutiert wird. Nach einer bestimmten Zeit (z.B. zwei oder drei Minuten) rückt der innere Kreis einen Platz im oder gegen den Uhrzeigersinn vor. Nun stehen sich andere Diskussionspartner_innen gegenüber und diskutieren die nächste Frage.

Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier: Kugellager

Perspektivenwechsel

Die Methode des Perspektivenwechsels oder auch des „in den Schuhen der anderen“ hilft gegenseitiges Verständnis zu fördern. Ein Perspektivenwechsel kann unterschiedlich gestaltet werden. Beispielsweise werden diverse persönliche Fragen ausgearbeitet und die Schüler_innen teilen sich in Zweierteams auf und stellen sich die Fragen gegenseitig. Dies wiederholen sie. Dabei steht das Verständnis für den Gegenüber im Vordergrund. Die Lehrperson kann mit Nachfragen und Fragen das Erfahrene mit den Schüler_innen sowohl fördern als auch aufarbeiten.

Handbuch für Methoden für das Vermitteln von sensiblen Lerninhalten

Podiumsdiskussion (Simulation)

Sehr gut für die Vermittlung und Diskussion von Inhalten geeignet ist die Simulation einer Podiumsdiskussion. Dabei spielen Schüler_innen Personen (z.B. bekannte Intellektuelle oder Politiker_innen) mit verschiedenen Positionen zu einem Thema und müssen dabei diese Position – und nicht die eigene – einnehmen und aus dieser Position heraus argumentieren und schließlich mit den anderen Podiumsteilnehmer_innen und dem „Publikum“, also den anderen Studierenden, diskutieren. Diese Form des Theaters zwingt dazu, sich in die Logik anderer Positionen als der eigenen hineinzudenken und sich mit inhaltlichen Fragen aus verschiedenen Perspektiven zu beschäftigen.

Statuentheater

Das Statuentheater ist eine weitere Form des pädagogischen Theaters nach Augusto Boal. Ziel ist es mithilfe von Körpern Realitäten als auch Wunschszenarien abzubilden und somit Veränderungsprozesse bildlich darzustellen. Ausgangspunkt ist ein Moment eines Interessenskonfliktes oder einer anderen sozialen Problematik. Die Teilnehmenden stellen dann „Statuen“ oder Bilder mit Körpern dar. Es ist ein interaktiver und gemeinschaftlicher Prozess, in welchem die Darstellungen analysiert und diskutiert werden können. Anschließend soll ein Wunschbild dargestellt werden. Durch welche Veränderung wird das Realbild zu einem Wunschbild? So kann herausgefunden werden, welche realen Schritte es braucht um die Ausgangssituation, die einen Konflikt darstellt, aufzulösen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten das Statuentheater durchzuspielen. Die Bilder können entweder in Gruppen oder einzeln dargestellt werden. Des Weiteren können die Teilnehmenden selbst ein Bild darstellen oder ein Bild mithilfe anderer Teilnehmenden darstellen. Nach dem Prozess des „Umformens“ der Bilder folgt eine Auflösung, welche mithilfe der Pädagog_innen stattfinden soll. Hierbei können unterschiedliche Leitfragen behilflich sein, wie zum Beispiel folgende: „Welche Schritte empfindet ihr als realistisch? Wie habt ihr das Formen und Umformen empfunden?“

Das Statuentheater kann auch als Vorbereitung für das Forumtheater dienen.

Weitere Informationen zum Statuentheater finden Sie hier: Statuentheater

Verschwörungstheorien entwickeln

Diese Methode ist gewissermaßen eine absurde Intervention, kann aber helfen die Absurdität populärer (z. B. antisemitischer) Verschwörungstheorien aufzuzeigen. Die Schüler_innen werden dazu aufgefordert sich im Unterricht eine möglichst absurde Verschwörungstheorie zu überlegen, welche, für alle einsichtig, völlig konstruiert und an den Haaren herbeigezogen ist. Danach erhalten sie als Hausübung die Aufgabe „Beweise“ für diese Verschwörungstheorie zu finden und möglichst schlüssige Belege für ihre Verschwörungstheorie zu finden. Diese werden dann in der Schule in Vorträgen vorgestellt. Damit kann aufgezeigt werden, dass durch entsprechende Manipulation und falsche Beurteilung von richtigen oder weniger richtigen Informationen, die z.B. im Internet kursieren, jede noch so abstruse Verschwörungstheorie vordergründig begründet werden kann. Da die Schüler_innen von Anfang an wissen, dass es sich dabei um absurde, selbst erfundene Verschwörungstheorien handelt, kann dies gegen populärere Verschwörungstheorien immunisieren.

World-Café (Diskussionsmethode)

Auch beim World-Café handelt es sich um eine Diskussionsmethode in Großgruppen. Diese ursprünglich von den US-Unternehmensberatern Juanita Brown und David Isaacs entwickelte Methode kann auch in Oberstufen an Schulen zum Einsatz kommen und wird heute in unterschiedlichsten Workshops weltweit eingesetzt. Ein World-Café funktioniert so, dass die Schüler_innen sich im Raum an Tischen mit vier bis fünf Personen verteilen. Die Tische sind mit beschreibbaren Papiertischdecken oder Plakaten belegt. Weiters liegen Stifte auf oder werden von Schüler_innen mitgenommen. Pro Tisch gibt es einen Gastgeber oder eine Gastgeberin. Diese bleibt jeweils auf dem Tisch, moderiert das Gespräch und sorgt dafür, dass die wichtigsten Eckpunkte der Diskussionen notiert werden. Die Schüler_innen rotieren dabei zwischen den Tischen um ständig in neuen Konstellationen aufeinanderzutreffen. So können zum Beispiel drei oder vier unterschiedliche Fragen bearbeitet werden. Nach jeder Frage erheben sich alle Teilnehmer_innen – außer den Gastgeber_innen –und verstreuen sich auf andere Tische. Der Gastgeber oder die Gastgeberin fasst zu Beginn kurz das zuvor Diskutierte zusammen und leitet das Gespräch ein. Am Ende berichten die Gastgeber_innen kurz dem Plenum über das Diskutierte. Für den Erfolg eines World-Cafés ist es sowohl entscheidend, den Ablauf und die Aufgaben der Teilnehmer_innen, insbesondere der Gastgeber_innen gut zu erklären, als auch gut bearbeitbare Frage zu stellen. Die Fragen sollen einfach und relativ offen formuliert sein um einen Diskussionsprozess in Gang zu setzen.

Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier: World Cafe

Materialien

für den Unterricht

Schulinterne

Lehrer_innenfortbildungen

Initiativen

Bezüglich weiterer Initiativen passend zum Thema – von Radikalisierung über Extremismus bis hin zu Medienkompetenz oder Demokratie – findet man untenstehend eine Auflistung. Während sich der erste Teil auf weiterführende Materialien und relevante, deutschsprachige Initiativen bezieht, betrifft der zweite europaweite bzw. internationale, weiterführende Informationen:

Hinweis an Vermittler_innen von AUFWERTEN

Gerade im jugendlichen Alter ist es wichtig zu lernen, sich mit den so vielerorts präsenten Abwertungen und „Hass“ auseinanderzusetzen. Ein wichtiger Ort der Sozialisation von Jugendlichen ist die Schule: Radikalisierung, Ideologien der Abwertung, Rassismen und Ultra-Nationalismen spielen im pädagogischen Alltag eine große Rolle. In der Schule sollten deshalb potenzielle Konfliktherde thematisiert werden, um aktuellen Veränderungen aus der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen rechtzeitig mit geeigneten Mitteln begegnen zu können. Ohne polarisierende Themen befeuern zu wollen, sollen Jugendliche trotzdem ermutigt werden, über eigene Haltungen im Alltag nachzudenken und Debatten mit Augenmaß zu führen. Praktiker_innen vor Ort und Lehrkräfte sind oft nicht ausreichend geschult und nicht mit passenden Hilfsmitteln ausgerüstet, um diesen komplexen Dynamiken zu begegnen. Die Plattform stellt deshalb systematische und holistische Konzepte in Koppelung an die technologischen Lösungen, die hier eine Entlastung und validierte, praxisorientierte Unterstützung bieten können, dar. Wenn heikle Themen bearbeitet werden, kann es jedoch jederzeit vorkommen, dass bestehende Konflikte auf den Tisch kommen und auf diese Fälle muss unbedingt in geeigneter Form eingegangen werden. Hier finden Sie konkrete Handlungsempfehlungen, die bei Interventionen zu berücksichtigen sind.

Der Aufwerten-

User-Guide

Hier steht der zweiseitige User-Guide zur Erklärung der Handhabung und Inhalte von AUFWERTEN zum Herunterladen bereit. Darin wird speziell für PädagogInnen geschildert, wie die Plattform funktioniert und aufgebaut ist. In diesem Informationsblatt wird anhand eines theoretischen Anwendungsfalles dargestellt, wie man die Seite einsetzen kann, wie die Materialien verwendet werden können und auf welchen Bereichen von AUFWERTEN welche Inhalte auffindbar sind.

Kurzinformationen

für Lehrer_innen

Afghanistan

Politischer und historischer Hintergrund:

Afghanistan bildete über Jahrhunderte das östliche Randgebiet persischer Reiche. Paschtunische Stammesgruppen wanderten vermutlich erst während des Safawiden-Reiches aus Zentralasien (Khorasan) in das heutige Afghanistan ein. Wie in anderen Teilen des Iran war der tribale Nomadismus kein immer schon existierender Faktor. Vielmehr wurden viele Regionen mit sesshaften Bodenbauern erst durch die Verwüstung von ganzen Landstrichen im Zuge der Invasionen der Mongolen und Timuriden von Nomaden besiedelt. Zu den nomadischen Stammesbevölkerungen, die seither große Teile des Südens Afghanistans dominierten, gehören u.a. die Paschtunen, die heute die größte ethnische Gruppe des Landes bilden.

Das heutige Afghanistan ist allerdings kein Nationalstaat der Paschtun_innen, sondern ein ethnisch wie religiös sehr heterogenes Land. Während die Paschtun_innen im Süden und Südosten des Landes dominieren, dominieren im Norden persischsprachige ethnische Gruppen, wie die Tajik_innen, Aimak, Qizilbasch oder die schiitischen Hazara. Dazu kommen im Pamir verschiedenen kleinere iranischsprachige pamirtajikische Gruppen, deren Sprachen oft nur in einem einzigen Tal gesprochen werden. Ebenso vielfältig ist die ethnische und sprachliche Landschaft in Nuristan, wo verschiedene kleine Sprachgruppen leben, die seit ihrer gewaltsamen Islamisierung 1895/96 nicht mehr unter dem bis dahin gebräuchlichen Begriff der Kafiren („Ungläubige“), sondern als Nuristani („Bewohner des Land des Lichts“) zusammengefasst werden. Insgesamt 6 verschiedene Sprachen mit insgesamt etwa 30.000 Sprecher_innen werden unter diesem Begriff zusammengefasst. Während all diese Sprachen zu den iranischen Sprachen der großen indoeuropäischen Sprachfamilie zählen, also miteinander verwandt sind, sprechen die Usbeken und Turkmenen im Norden des Landes Turksprachen, während die Brahui eine drawidische Sprache sprechen. Das zu den mongolischen Sprachen zählenden Mogholi ist mittlerweile fast verschwunden. Die Nachkommen dieser Bevölkerungsgruppe sprechen heute wie die Tajiken, Hazara, Aimak und Qizilbasch das Persische Afghanistans, genannt Dari.

Religiös ist Afghanistan nicht weniger vielfältig. Es dominiert zwar der sunnitische Islam. Die Hazara und einige kleinere Gruppen sind allerdings Schiit_innen und gehören als 12er-Schiiten jener Form des schiitischen Islams an, die auch im Iran, Irak, Bahrain und Aserbaidschan dominiert. Viele Pamirtajik_innen sind ismailitische Schiit_innen, also Angehörige einer anderen Form des schiitischen Islams. Daneben gibt es auch noch Sikhs. Von den einst zahlreichen jüdischen Gemeinden blieb nur noch eine Synagoge in Kabul als Zeuge mit einem einzigen letzten Juden.

Schiit_innen und Sikhs waren immer wieder Diskriminierungen von Sunnit_innen ausgesetzt. Ganz besonders traf dies allerdings auf die Hazara zu, die zudem noch als Nachkommen der Mongolen sich sichtbar von anderen Afghanen unterscheiden und oft bis heute doppelt diskriminiert werden. Besonders prekär war deren Lage in der Zeit der Taliban.

Die afghanische Staatlichkeit ist v.a. mit den Paschtunen verbunden. Ab 1729 ergriff ein paschtunischer Clan, die Abdalis, unter ihrem Khan Ahmad Schah die Gelegenheit, sich von Kandahar aus unabhängig zu machen. Zwar existieren über die Anfänge des 1747 von Ahmed Schah errichteten Durrani-Reiches unterschiedliche Versionen. Sie stimmen aber darin überein, dass er von einer loya jirga, einer großen Ratsversammlung der paschtunischen Stämme, zum Anführer gewählt worden war. Diese Vorstellung von der loya jirga spielt für den afghanischen Nationalmythos bis heute eine wichtige Rolle. Sie erhebt Ahmed Schah zum mythischen Reichsgründer, verdeutlicht jedoch zugleich, dass der afghanische Staat von Anfang an als paschtunische Stammesföderation und nicht als moderner Nationalstaat konzipiert war.

Feste Grenzen erhielt das Durrani-Reich erst durch die Konflikte mit den expandierenden Kolonialmächten Russland und Großbritannien, die Afghanistan im Zuge des „Great Game“ als Pufferstaat zwischen den eigenen Einflusssphären dulden mussten, nachdem Versuche die Territorien Afghanistans zu erobern gescheitert waren.

Der ländliche Raum blieb lange von den verschiedenen Stammesstrukturen geprägt. In Kabul konnte sich mit neuen Bildungsinstitutionen, wie der 1931 gegründeten Universität von Kabul, allerdings eine Schicht gebildeter Afghan_innen entwickeln, die nicht mehr ausschließlich in tribalen Kategorien dachte, sondern zunehmend eine Modernisierung des Staates anstrebte. Die Universitäten brachten nicht nur eine Elite für die die Verwaltung der Monarchie hervor, sondern auch eine linke Opposition zu den erstarrten politischen und gesellschaftlichen Strukturen.

Bereits 1957 gründete Babrak Karmal unter dem Decknamen „Marid“ zusammen mit anderen Studenten eine kommunistische Gruppe unter dem Namen Parcham (Fahne). Ende 1962 lernten sich Karmal und Taraki kennen, der später mit Hafizullah Amin die Marxistische Gruppe namens Khalq (Volk) gründete. Beide Gruppen bildeten auch nach der Gründung der Hizb-i-Dimukratik-i-Khalq Afghanistan (Demokratische Volkspartei Afghanistans, DVPA) mit 31 Gründungsmitgliedern 1965 rivalisierende Fraktionen innerhalb der Partei.

Aus dem Kreis um die DVPA gingen jedoch auch andere moderne Parteien hervor. Insgesamt war das Klima unter den Student_innen der Kabuler Universität in den 1970er-Jahren von scharfen Auseinandersetzungen zwischen islamistischen und linken Gruppen geprägt, wobei auch linke Splittergruppen zunehmend in Auseinandersetzungen untereinander verwickelt waren. Die linken afghanischen Student_innen kamen dabei auch zunehmend mit europäischen linksradikalen Student_innen in Kontakt, die Afghanistan seit dem Ende der 1960er-Jahre gemeinsam mit Hippies als Reiseziel entdeckten.

Bereits am 16. Juli 1973 putschte sich Mohammad Daud, der „rote Prinz“, der zehn Jahre zuvor – nicht zuletzt aufgrund seiner Sympathien mit der Sowjetunion – als Premierminister abgesetzt worden war, an die Macht und setzte damit der Monarchie ein Ende. Allerdings brach sein Bündnis mit der DVPA, die sich zunehmend in einen Machtkampf mit der republikanischen Regierung Dauds verwickelte. Nach der so genannten „Saur-Revolution“ vom April 1978, die de facto ein Putsch der DVPA gegen Daud darstellte und die in Eigenverantwortung der DVPA durchgeführt wurde und selbst in Moskau für Überraschung sorgte, versuchten die neuen Machthaber mit eiserner Faust eine nachholende Entwicklung des Landes zu erzwingen.

Der in internen Machtkämpfen siegreiche Khalq-Flügel der Partei fokussierte dabei auf eine Bodenreform, ein fortschrittliches Ehe- und Familienrecht und die Alphabetisierung des Landes. Mit dem Dekret Nr. 6 der neuen Regierung wurde bereits am 12. Juli desselben Jahres die Landreform eingeleitet, Dekret Nr. 7 vom 17. Oktober verbesserte die Rechte von Frauen in der afghanischen Gesellschaft. Bereits vor der Revolution wurde mit der Gründung der Demokratischen Frauenorganisation von Afghanistan (Sazmani Dimukratiki Zanani Afghanistan) ein wichtiger Akzent gesetzt. Die Organisation sollte jedoch nicht als eigenständige Frauenbewegung fungieren, sondern als Brücke zur späteren Einbindung der Frauen in die DVPA.

Vor allem die ländliche Bevölkerung konnte nicht mit der Reformgeschwindigkeit der neuen Regierung mithalten und wehrte sich gegen die autoritäre Durchsetzung der neuen Politik, insbesondere gegen die Landreform, die mit den traditionellen Vorstellungen von der Unantastbarkeit des Landbesitzes kollidierte. Bereits im Oktober brachen erste Aufstände in der Provinz Nuristan aus. Die Regierung unter Nur Mohammad Taraki reagierte mit scharfer Repression. Zudem wurden die Beziehungen zur KPdSU intensiviert um der Bedrohung durch die Rebellen wie auch den Gegnern innerhalb der eigenen Partei entgegenzuwirken. Mit Jahresende wurde jener afghanisch-sowjetische Freundschaftsvertrag unterzeichnet, der schließlich den rechtlichen Rahmen für den sowjetischen Einmarsch ein Jahr später darstellte.

Nach weiteren regionalen Aufständen gegen die Landreform und die Säkularisierung bildete sich am 5. August 1979 eine gemeinsame Oppositionsfront verschiedener islamistischer Gruppen zusammen mit einer maoistischen linken Gruppe. Die Probleme der DVPA beschränkten sich jedoch nicht nur auf den Widerstand der ländlichen Bevölkerung und der Maoisten, sondern führten  zur Eskalation interner Machtkämpfe, die im September zur Ermordung Präsident Tarakis führten und den Leiter der Geheimpolizei Hafizullah Amin für einige Monate an die Macht brauchten, der die Aufstände mit besonderer Brutalität zu unterdrücken versuchte. Am 25. Dezember 1979 marschierten schließlich sowjetische Truppen in Afghanistan ein und richteten Amin am 27. Dezember hin um Babrak Karmal an die Macht zu bringen, der zu einer Deeskalation des Bürgerkrieges beitragen hätte sollen.

In der Realität führte der sowjetische Einmarsch und der Sturz der „Extremisten“ um Hafizullah Amin jedoch nicht zur Deeskalation, sondern zur weiteren Verschärfung des Bürgerkriegs. Hatten Pakistan und die USA bereits zuvor islamistische Guerillagruppen gegen die DVPA-Regierung unterstützt, so ermöglichte nun die direkte Beteiligung der Sowjetunion eine offene Schwächung des Feindes im Kalten Krieg. 1989 musste die Sowjetunion schließlich abziehen. Die Regierung unter Präsident Mohammed Nadschibullah konnte sich nur noch bis 1992 halten, als die Mujahedin in Kabul einmarschierten.

Die Politisierung der Stämme ist primär ein Resultat des gescheiterten Autoritarismus des DVPA-Regimes und des Kriegs gegen die sowjetischen Invasionstruppen bzw. der Unterstützung, die dieCIA und der pakistanische Geheimdienst ISI, Saudi-Arabien und China den islamistischen Mujahedin-Gruppen und später den Taliban zukommen ließ. Die einzelnen Mujahedin-Fraktionen bauten trotz ihrer „gesamtafghanischen“ Ansprüche primär auf einzelne ethnische Gruppen bzw. Clans, die sie unterstützten. Damit verbunden war eine extreme Zersplitterung des Landes unter unterschiedlichen Warlords, die in Allianzen mit „Stammesführern“ ständig wechselnde Territorien beherrschten. Erst mit der Machtübernahme der Taliban, die 1996 mit dem Einmarsch in Kabul abgeschlossen war, kehrte nicht nur die Vorherrschaft der Paschtunen wieder, sondern auch eine gewisse „Rechtssicherheit“ unter der drakonischen Herrschaft einer Mischung aus Sharia und paschtunischem Gewohnheitsrecht, dem so genannten Paschtunwali.

De facto blieben diese Elemente der Taliban-Rechtssprechung auch nach dem Sturz der Taliban 2001 in Kraft. Afghanistan definiert sich auch heute als islamische Republik, in der das „islamische Recht“ als Richtschnur der Gesetzgebung gilt, auch wenn heute etwa keine Todesurteile gegen Homosexuelle oder Ehebrecher_innen mehr von Seiten der Regierung vollstreckt werden.

Die Taliban waren allerdings mit der Besetzung Afghanistans durch die US-Truppen und ihren Verbündeten nicht geschlagen, sondern lediglich abgedrängt worden. In den folgenden Jahren konnten sie wieder v.a. ländliche Gebiete erobern. Zu den Taliban selbst kamen noch andere islamistische Guerillagruppen hinzu.

Auch das neue Regime konnte nicht als wirklich demokratisch betrachtet werden. Die Präsidentschaftswahl vom 20. August 2009 war von massiven Wahlfälschungen zugunsten des Amtsinhabers Karsai begleitet. Wahlbeobachter der EU schätzten, dass jede 4. Stimme gefälscht wurde. Erst 2014 wurde dann Aschraf Ghani neuer Präsident.

Neben den Taliban wurde v.a. der afghanische Ableger des so genannten „Islamischen Staates“ zu einer zunehmenden Bedrohung für die Sicherheit des Landes. Diese Bedrohung durch neue noch extremere Gruppierungen, die eindeutig dem internationalen jihadistischen Terror zuzurechnen sind, bildete den Hintergrund dafür, dass zunächst Russland und später auch die USA eine Verständigung mit den Taliban suchten.

Am 29. Februar 2020 wurde schließlich ein Abkommen zwischen den USA und den Taliban geschlossen, in dem einerseits die Taliban garantierten, dass sie keine internationalen Terrororganisationen wie die al-Qaida mehr beherbergen würden und Friedensgespräche mit der Regierung in Kabul aufnehmen würden und andererseits die USA einen schrittweisen Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan zusagten. Das ist zwar noch kein Friedensvertrag, allerdings ein erster Schritt in diese Richtung.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Innerafghanische Konflikte spielen aufgrund der insgesamt noch geringen Zahl der Afghan_innen in Österreich wohl selten eine Rolle in einer Schulklasse. Allerdings kann es aufgrund der langen Diskriminierungsgeschichte der schiitischen Hazara durchaus vorkommen, dass Konflikte mit sunnitischen Schüler_innen von Hazara im Sinne ihrer langen Diskriminierungsgeschichte konfessionell gedeutet werden.

Afghanische Schülerinnen leiden oft unter extrem patriarchalen Familienverhältnissen, insbesondere dann, wenn es sich um religiös-konservative Paschtunen handelt, die ihren Islam mit einem sehr patriarchalen Gewohnheitsrecht verbinden, das mit dem Freiheitsstreben mancher ihrer Töchter nicht in Einklang zu bringen ist.

Afghanische Schüler sind hingegen oft mit Diskriminierungen und Vorurteilen durch die Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, die im Zusammenhang mit dem negativen Bild stehen, das medial von jungen afghanischen Männern in den letzten Jahren immer wieder gezeichnet wurde.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann.

Sprechen Sie afghanische Mädchen, bei denen Sie Anzeichen von familiären Problemen sehen, im Zweiergespräch einfühlsam darauf an, ob es Probleme gibt und zeigen sie solchen Mädchen, dass Sie bereit sind, sie zu unterstützen. Sollte sich ein solches Mädchen Ihnen anvertrauen und um Unterstützung bitten, stellen sie den Kontakt zu verschiedenen Angeboten für junge Mädchen mit familiären Problemen her. Einige Beratungsstellen bieten auch Workshops und Informationsveranstaltungen für Schulen und Klassen an.

Bei Konflikten zwischen sunnitischen Muslimen und Schiit_innen oder Sikhs ist es wichtig zu erkennen ob es sich um Mobbing handelt oder ob Traumata durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Das individuelle Erleben von Traumatisierten ist auch dann unbedingt ernst zu nehmen, wenn dieses nur getriggert wurde, benötigt jedoch eine andere Reaktion als bei Mobbingerfahrungen. Wenn es konfessionalisierte Konflikte geben sollte, sprechen Sie diese an und holen Sie, wenn nötig, Unterstützung z.B. bei der Schulsozialarbeit, Beratungslehrer_innen oder Religionslehrer_innen.

Literaturempfehlungen:

Said Musa Samimy: Afghanistan. Chronik eines gescheiterten Staates, Berlin, 2017

Ahmed Rashid: Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch, München, 2011

Conrad Schetter: Kleine Geschichte Afghanistans, München, 2004

Autor: Thomas Schmidinger

Antisemitismus

Politischer und historischer Hintergrund:

Antisemitismus, auch Judenhass oder Judenfeindlichkeit genannt, ist so aktuell wie eh und je. Bergmann definiert Antisemitismus folgendermaßen: Beim Antisemitismus handelt es sich „nicht bloß um Xenophobie oder religiöse und soziale Vorurteile“, sondern um ein Phänomen sui generis, „eine antiliberale und antimoderne Weltanschauung, die in der ‚Judenfrage‘ die Ursache aller sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Probleme“ sieht. Antisemitismus ist nicht immer eindeutig erkennbar, da er oftmals unterschwellig und nicht offenkundig geäußert wird.

Es ist wichtig zu wissen, dass Antisemitismus keine Erfindung der Neuzeit ist, sondern seit Jahrhunderten tief in der europäischen Gesellschaft verankert ist und sich seither durch die Epochen der Geschichte in unterschiedlichen Formen hindurchzieht. Die entstandenen Vorurteile und Ressentiments wurden dabei nicht einfach vergessen, sondern übernommen und mit neuen Vorurteilen stetig überschrieben.  Antisemitismus muss daher in seiner Kontinuität verstanden werden, da er sich seit jeher an die Gegebenheiten der Geschichte angepasst und weiterentwickelt hat. Dies macht Antisemitismus zu einem besonders vielschichtigen Problem mit Vorurteilen, die sich nicht nur hartnäckig halten, sondern sich auch widersprechen können. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Formen und Dimensionen des Antisemitismus (vor allem in Europa und spezifisch in Österreich) präsentiert.

Die Wurzeln antijüdischer Ressentiments reichen bis in die Antike und ins Mittelalter zurück. Im Zuge des Ablösungsprozesses des Christentums vom jüdischen Glauben und der daraus resultierenden Konkurrenz der Religionen entstand die erste „Schicht“ antijüdischer Vorurteile. Der sogenannte christliche Antijudaismus bezeichnet die Ablehnung von Jüd_innen aus theologischen Gründen. Im Zentrum der antijüdischen Haltung steht der Vorwurf des Gottesmordes, da Jüd_innen Jesus als Messias verwarfen und somit letztendlich Mitschuld am Tod Jesus tragen sollen.

Mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion in Europa verbreitete sich das antijüdische Gedankengut auch innerhalb der Gesellschaft. Zu den theologischen Vorurteilen kamen erstmals auch wirtschaftliche hinzu, als Jüd_innen aus christlichen Zünften ausgeschlossen und somit in Berufe gedrängt wurden, welche Christ_innen verboten waren. Diese Berufe beschränkten sich meist auf Handel und Geldleihe. So entstand das Vorurteil des „jüdischen Wucherers“ und des „reichen Juden“, obwohl Jüd_innen auch damals schon, als marginalisierte Gruppe, mehrheitlich den ärmeren Schichten angehörten. Diese Mischung aus Vorurteilen machte die jüdische Bevölkerung seit dem Mittelalter zur Zielscheibe feindlicher Übergriffe und Pogrome.

Mit dem Beginn der Epoche der Aufklärung ging auch die Judenemanzipation einher. Jüd_innen engagierten sich zu dieser Zeit vor allem auch politisch in fortschrittlichen Bewegungen (zum Beispiel Liberalismus, Sozialismus), da diese im Gegensatz zu christlich-konservativen Bewegungen, die Integration von Jüd_innen nicht behinderten. So entstand das Vorurteil des „System-umstürzenden Juden“, da diese politischen Strömungen den Status Quo in Frage stellten.

Mit der Abnahme der religiösen Dominanz in Europa und dem Aufkommen der pseudowissenschaftlichen „Rassenlehre“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts, verwandelte sich die religiös geprägte Judenfeindschaft langsam in den traditionellen rassistischen Antisemitismus. Jüd_innen wurden als homogene „Rasse“ definiert und ihnen wurden gesamtheitlich negative Charaktereigenschaften zugeschrieben. Sie wurden nicht nur als verschiedenartig, sondern auch als verschiedenwertig betrachtet. Darüber hinaus wurden sie zum Sündenbock allen Übels in der Welt, vor allem wenn es sich um wirtschaftliche, politische oder kulturell negative Entwicklungen handelte. Die nationalsozialistische Ideologie machte sich diesen Nährboden aus schon existierenden Vorurteilen und Ressentiments gegen die jüdische Bevölkerung zu Nutze. Jüd_innen wurden nicht mehr aus religiösen Gründen verfolgt und ausgegrenzt, sondern aus rassistischen. Der geschürte Hass mündete letztendlich in die Shoah und zum Mord von 6 Millionen Jüd_innen. Der rassistische und ökonomische Antisemitismus ist heute noch tief in der rechtsextremen Ideologie verankert.

Die Geschehnisse des 2. Weltkrieges waren nicht das Ende des Antisemitismus. Die erwähnten Ablehnungshaltungen und Vorurteile sind immer noch prävalent. Weiters mischen sich seit dem 2. Weltkrieg zwei neue Formen des Antisemitismus hinzu. Zum einen ist es der sekundäre Antisemitismus, welcher am besten mit der Floskel „nicht trotz des Holocausts, sondern eben wegen dem Holocaust“ zusammengefasst werden kann und vor allem in Deutschland und Österreich verbreitet ist. Jüd_innen werden dafür verantwortlich gemacht, dass sie an die schmerzlichen Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern und darüber hinaus wird ihnen vorgeworfen, den Holocaust „auszunutzen“, um einen materiellen Nutzen in Form von Entschädigungszahlungen von Deutschland daraus zu ziehen.

Des Weiteren kam mit der Staatsgründung Israels auch ein israelbezogener Antisemitismus hinzu. Vor allem dieser ist oftmals nicht direkt zu erkennen, da hier Israel und nicht das jüdische Volk als vermeintlicher Adressat gilt. Gängige Motive sind eine Gleichsetzung des NS-Regimes mit der Israelpolitik und die Gleichsetzung aller Jüd_innen mit Israelis. Auch der Antizionismus, welcher Israel die Existenz als Staat abspricht, birgt antisemitische Motive. Dieser israelbezogene Antisemitismus kann sich heute durch alle Gesellschaftsschichten ziehen. Teilweise vermischen sich dabei legitime Kritik an der israelischen Besatzungspolitik oder bestimmten anderen israelischen Policies gegenüber Palästinenser_innen mit antisemitischen Argumentationsmustern, was die Abgrenzung von Kritik an israelischer Politik, Antizionismus und Antisemitismus oft erschwert. Gerade bei Schüler_innen aus Herkunftsfamilien aus dem Nahen Osten, die in der Vergangenheit oft starker antiisraelischer Propaganda ausgesetzt waren, ist hier vielfach ein zusätzlicher Gesprächsbedarf gegeben.

Antisemitismus ist damit ein vielschichtiges und komplexes Phänomen. Es gab vor allem seit der Shoah Versuche, Antisemitismus in dieser Komplexität zu definieren. 2017 hat Österreich die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommen, welcher als Leitfaden zur Erkennung von Antisemitismus dienen soll:

Die rechtlich nicht bindende Definition von Antisemitismus liest sich folgendermaßen: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.[…]“

An dieser Definition gibt es allerdings auch wissenschaftliche Kritik, da sie bestimmte Phänomene des Antisemitismus nicht fasst, aber auch zu vorschneller Zuschreibung von Antisemitismus gegenüber antizionistischen Argumentationen führen kann, insbesondere wenn der gesellschaftliche Kontext der jeweiligen Akteure ausgeblendet wird. Die wissenschaftliche Debatte um die genaue Abgrenzung von Antisemitismus insbesondere von Kritik an Israel ist damit bis heute nicht abgeschlossen.

Antisemitische Karikatur

Diese Karikaturen bergen antisemitische Elemente wie zum Beispiel karikaturistische äußere Erscheinungen von Jüd_innen, wie zum Beispiel eine große Nase und Augen oder dicke Lippen. Dies dient vor allem dazu sie als „hässlich“ zu brandmarken, aber perpetuiert vor allem auch den Stereotyp des „gierigen Juden“. Vor allem während des Nationalsozialismus wurden Jüd_innen auch als Tiere dargestellt und somit dehumanisiert. Des Weiteren findet sich viel Propagandamaterial, welche die Jüd_innen als grausame und kriminelle Menschen darstellt.

Viele antisemitische Karikaturen, welche heute stark verbreitet sind, zeigen Jüd_innen als Drahtzieher_innen hinter allem politischen und wirtschaftlichen Geschehen. Oft werden Karikaturen geteilt, in denen ein Jude die „Welt auspresst“ oder in Völlerei zu sehen ist.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Antisemitische Vorurteile und Ressentiments sind auch heute noch tief in der österreichischen Gesellschaft verankert.

Während es einerseits zu offenen antisemitischen Meldungen kommen kann, wie zum Beispiel durch ein Verunglimpfen, Leugnen oder gar Befürworten des Holocausts, kann sich Antisemitismus auch subtiler äußern und muss nicht unbedingt klar erkennbar sein.

Wie oben schon erwähnt, gibt es Formen antisemitischer Israelkritik. Antisemitismus kann sich als Israelkritik tarnen, zugleich wird der Verweis auf Antisemitismus allerdings fallweise auch benutzt, um Kritik an der israelischen Regierung zu delegitimieren.

Das Phänomen „Antisemitismus ohne Jüd_innen“ herrscht immer noch sehr stark vor. Das bedeutet, dass es zu antisemitischen Äußerungen kommen kann, auch wenn sich in der Klasse keine Schüler_innen mit jüdischem Glauben befinden. Daher ist auch dann besondere Achtsamkeit gefordert, wenn in Ihrer Klasse keine Jüd_innen sind. Das Wort „Jude“ wird unter Jugendlichen mitunter als Schimpfwort verwendet.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Falls Sie antisemitische Äußerungen mitbekommen, zögern Sie keinesfalls und sprechen das Thema als solches auch direkt an. Besprechen Sie mit Schüler_innen was Antisemitismus ist und was ihn ausmacht. Es kann hier vor allem helfen, auf die Ursprünge von Antisemitismus aufmerksam zu machen und die unterschiedlichen Dimensionen zu veranschaulichen. Viele Schüler_innen sind sich nicht bewusst, was Antisemitismus ausmacht und wie diverse Ressentiments entstanden sind.

Generell ist es ratsam, mit Schüler_innen die Themenfelder Menschenrechte, Diskriminierung und kritisches Denken zu behandeln, da diese (Wissens-)Kompetenzen auch präventiv wirksam sein können.

Wenn Sie mitbekommen sollten, dass es sich um einen israelbezogenen Antisemitismus handelt, kann es vorteilhaft sein, mit Schüler_innen zu besprechen, was eine fundierte Kritik allgemein ausmacht. Im nächsten Schritt kann dann besprochen werden, wie man fundiert und sachlich kritisieren kann, ohne in antisemitische Vorurteile zu fallen. Da der Nahost-Konflikt ein höchst aktuelles Thema ist und in der Öffentlichkeit zu starker Politisierung führt, ist es wichtig, dieses Thema sachlich anzugehen. Dazu benötigen Sie ein fundiertes Wissen zum Thema.

Literaturempfehlungen:

Deborah Lipstadt/ Stephan Pauli: Der neue Antisemitismus. Berlin, 2018.

Detlev Claussen: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Frankfurt am Main, 2005.

Werner Bergmann: Geschichte des Antisemitismus. München, 2002.

 

Autor_innen: Ronya Alev, Thomas Schmidinger

Bosnien & Herzegowina

Politischer und historischer Hintergrund:

Bosnien und Herzegowina (BH), bis 1991 Teil des Vielvölkerstaates Jugoslawien, liegt auf der Balkanhalbinsel und besteht aus dem größeren, weiter nördlich gelegenen Teil Bosnien und dem deutlich kleineren Teil Herzegowina. In den 90er-Jahren kam es zu einem blutigen Bürgerkrieg, dessen Folgen das Land bis heute noch tief spalten.

Die Bevölkerung setzt sich hauptsächlich aus den drei „Volksgruppen“ der muslimischen Bosniak_innen, orthodoxen Serb_innen und römisch-katholischen Kroat_innen zusammen. Heute hat BH zwei fast-autonome Landesteile (Entitäten), zehn Kantone und das Kondominium, die von allen drei „Volksgruppen“ verwaltete Stadt Brcko. Das Land hat offiziell drei Amtssprachen: Bosnisch, Serbisch und Kroatisch, alle drei Sprachen sind Teil der slawischen Sprachenfamilie und Dialekte des Serbokroatischen. Wichtig ist hier anzumerken, dass sich die drei Sprachen faktisch kaum voneinander unterscheiden. Der offensichtlichste Unterschied der Sprachen ist lediglich in der Schrift zu erkennen, da Serbisch in BH oftmals in kyrillischer Schrift und die anderen beiden Sprachen in lateinischer Schrift geschrieben werden.

Um die deutliche Dreiteilung der Bevölkerung in BH zu verstehen, muss ein Blick in die Geschichte des Landes geworfen werden. Im 12. Jahrhundert wurde zunächst das Fürstentum Bosnien gegründet. Das Gebiet fiel jedoch seitdem unter die Verwaltung unterschiedlicher Regierungsformen und Regimes. So wurde die Region im 15. Jahrhundert vom osmanischen Reich erobert. Während der 400 Jahre langen Herrschaft der Osmanen konvertierte ein Großteil der Bevölkerung zum Islam. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Bosnien dann von Österreich-Ungarn annektiert. Die Spuren des osmanischen, als auch österreichisch-ungarischen Reiches sind noch bis heute in der Hauptstadt Sarajevo zu erkennen.

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie wurde BH Teil des Königreichs „Vereinigten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen“, und später des Königreichs „Jugoslawien“. 1939 kam es zwischen Serb_innen und Kroat_innen zum sogenannten Sporazum – eine Übereinkunft, welche BH in serbische beziehungsweise kroatische Banschaften unterteilte. Das politische System war stark ethnisiert, sprich es kam schon lange vor dem Bosnienkrieg zu einer Ethnisierung der „Volksgruppen“, welche auch zum Zeitpunkt des zZeiten Weltkrieges zu Spannungen zwischen den „Volksgruppen“ führte.

1941 wurde Jugoslawien von deutschen und italienischen Truppen besetzt und BH wurde in den neugegründeten Unabhängigen Staat Kroatien eingegliedert. Der Unabhängige Staat Kroatien wurde mithilfe Deutschlands der Führung der kroatischen Ustascha (Ustaša) übergeben, einer faschistischen Organisation. Nach dem Sieg der jugoslawischen Partisanen unter Josip Broz Tito über die Ustascha wurde die „Volksrepublik Bosnien und Herzegowina“ gegründet, welche als Teilstaat in die Volksrepublik Jugoslawien eingegliedert wurde.

Mit Titos Tod und nach dem Zerfall Jugoslawiens erklärte sich Bosnien und Herzegowina am 1. März 1992 gegen den Willen der Serb_innen als unabhängiger Staat. Dieses Referendum folgte als Antwort auf die schon vollzogenen Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens. Schon kurz davor kristallisierte sich eine Vielzahl an politischen Parteien heraus, welche sich an einer der jeweiligen ethnischen „Volksgruppen“ orientierten. Bei den Abstimmungen zur Unabhängigkeit entschieden sich dann aber 99% der Wahlteilnehmenden für die Unabhängigkeit. Es nahmen jedoch nur bosnische Kroat_innen und Bosniak_innen an den Wahlen teil, während hingegen der serbisch-orthodoxe Teil der Bevölkerung die Wahlen (angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Land) boykottierte. Der Staat wurde binnen kürzester Zeit von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt.

Daraufhin verkündeten die bosnischen Serb_innen die Unabhängigkeit einer Republika Srpska, beanspruchten also die Abspaltung von Bosnien und Herzegowina. Der Unabhängigkeitserklärung folgten Kampfhandlungen, die bosnischen Serb_innen wurden dabei von der jugoslawischen Armee unterstützt und die bosnischen Kroat_innen von Kroatien. Sarajevo wurde von serbischen Truppen belagert und die Hauptstadt war 1420 Tage lang eingekesselt. Auch die anfängliche Koalition zwischen den Muslim_innen und Kroat_innen zerbrach sehr schnell, als letztere nach diversen Gebietsgewinnen die „Kroatische Union Herceg-Bosna“ ausriefen.

Milizen aller drei „Volksgruppen“ bekämpften sich und es kam zu etlichen Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen und Zerstörungen von Kulturstätten, welche selbst die dort stationierten UN-Blauhelme nicht verhindern konnten. Die Lage spitzte sich weitgehend zu, bis es im Juli 1995 zum Massaker in Srebrenica kam, wo serbische Truppen bis zu 8.000 Muslime (Männer und Burschen) ermordeten. Der muslimische Teil der Bevölkerung war besonders vulnerabel, da er, im Gegensatz zu den bosnischen Kroat_innen und Serb_innen, keine Truppenunterstützung von den Nachbarländern erhielt. Jedoch ist anzumerken, dass es in der bosnischen Armee, welche Sarajevo verteidigte, auch Serben und Kroaten gab, welche an der Seite der Muslimen kämpften.

Am 18.03.1994 unterzeichneten die kroatischen und muslimischen Parteien einen Vertrag zur Bildung einer „Föderation von Bosnien-Herzegowina”, ein erster Schritt Richtung Ende der Kampfhandlungen. Sein offizielles Ende fand der Krieg jedoch erst mit dem Vertrag von Dayton am 14. Dezember 1995, nachdem die internationale Staatengemeinschaft in Anbetracht der Gräueltaten in Srebrenica militärisch intervenierte. Der Vertrag sieht Bosnien und Herzegowina als einen einheitlichen Staat mit zwei Entitäten vor, nämlich der „Bosniakisch-Kroatischen Föderation“ und der „Serbischen Republik Bosnien“ und wird von einer dreiköpfigen Präsidentschaft regiert, der jeweils wiederum ein_e Vertreter_in der drei großen „Volksgruppen“ beisitzt. Mit dem Abkommen wurde somit auch die ethnische Dreiteilung im Land festgeschrieben. Die Ethnisierung der Präsidentschaft bedeutet jedoch auch, dass nur Personen der jeweiligen drei anerkannten „Volksgruppen“ das Amt bekleiden können und schließt somit andere Bevölkerungsgruppen aus. Des Weiteren wurden Friedenstruppen unter dem Kommando der NATO stationiert, welche ein erneutes Ausbrechen der Kriegshandlungen verhindern sollten. Außerdem überwacht der Hohe Repräsentant für BH seit 1995 die Einhaltung aller zivilen Aspekte des Dayton-Abkommens. Der hohe Repräsentant repräsentiert hierbei die internationale Staatengemeinschaft (UN) und besitzt die Vollmacht gewählte Politiker_innen zu entlassen und neue Behörden durch Gesetze zu schaffen.

Die Folgen des Krieges, in welchem etwa 100.000 Menschen ihr Leben verloren und 2 Millionen Menschen vertrieben wurden, sind bis heute noch zu spüren. Das Land kämpft mit hohen Arbeitslosigkeitsraten und einer politischen Starre. Außerdem hat sich die Bevölkerungsverteilung in den Jahren des Bürgerkrieges drastisch verändert und die Dreiteilung der Bevölkerung ist heute auch geographisch offensichtlich. Die jeweiligen Volksgruppen leben nun in den Gebieten, welche während des Krieges von „ihren“ Milizen kontrolliert wurden. Diese räumliche Segregation betrifft auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Die Kampfhandlungen kamen zwar schon Mitte der 90er zu einem Ende, der soziale Frieden und die soziale Versöhnung stehen jedoch noch aus.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Schätzungen zufolge haben etwa 90.000 Menschen in Österreich eine bosnische Staatsangehörigkeit. Daher ist es möglich, dass in den Klassen Schüler_innen sitzen, deren Eltern oder Großelternn im Zuge des Bosnienkrieges nach Österreich geflohen sind. Diese können sich entweder als Bosniak_innen, bosnische Serb_innen oder bosnische Kroat_innen identifizieren. Da der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen sowohl in BH als auch in Ex-Jugoslawien noch nicht überwunden ist, kann es auch zu Zwischenfällen zwischen Schüler_innen mit bosnischem Migrationshintergrund kommen .

Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass es zu Zwischenfällen islamfeindlicher Natur kommtn, da Bosniak_innen mehrheitlich Muslime_innen sind.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht. Sollten Sie sehen, dass Konflikte ethnisiert werden oder Schüler_innen aufgrund dieses Themas von anderen Schüler_innen diskriminiert oder gemobbt werden, dann gehen Sie dem Thema nicht aus dem Weg, sondern bringen Sie es zur Sprache. Ebenso ist es wichtig, zu erkennen, ob ethnozentristische, rassistische oder islamfeindliche Motive zum Konflikt unter den Schüler_innen geführt haben. Versuchen Sie den Konflikt zu thematisieren und damit auch zu rationalisieren. Hierbei wäre es zu empfehlen, die Geschichte Bosnien und Herzegowinas und die Existenz und Normalität der unterschiedlichen Konfessionen des Landes zu erklären. Dazu benötigen Sie selbst auch ein entsprechendes Wissen, entsprechende Moderationskompetenzen und Konfliktfähigkeit.

 

 

 

Symbolik

    

Das Wappen des Unabhängigen Staates Kroatien. Das U steht für Ustascha und ist das zentralste Erkennungszeichen und taucht auch öfters als einzeln stehendes Emblem auf. Der NDH-Ruf lautet „Za dom spremni“ und bedeutet: „Für die Heimat bereit“ und wird heute noch als Gruß innerhalb der Szene verwendet.

 

Das HOS Emblem ist ein weiteres faschistisches Symbol. HOS steht für Hrvatske obrambene snage, „Kroatische Verteidigungskräfte“ und war eine paramilitärische Organisation, welche während des Bosnienkriegs kämpfte und sowohl aus Kroaten und Bosniaken als auch aus österreichisch und deutschen Neonazis bestand. Sie lehnen sich bewusst an die Ästhetik des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH) an.

 

 

Die „Crna legija“ (Schwarze Legion) ist eine Unterorganisation der Ustascha und der HOS.

Literaturempfehlungen:

Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, München 2010.

Noel Malcolm: Bosnia: A short history, New York, 1994

Vedran Dzihic: Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina: Staat und Gesellschaft in der Krise, Baden, 2010.

Xavier Bougarel: Islam and Nationhood in Bosnia-Herzegovina: Surviving Empires, London, 2018.

 

Autorin: Ronya Alev

Extremismus & Abwertungen

Was ist Extremismus?

Das Bundesweite Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung definiert Extremismus folgendermaßen: „Der Begriff Extremismus stammt vom lateinischen Wort ‚extremus´ ab und bedeutet ‚äußerst‘. Extremismus bezeichnet daher eine ‚zum Äußersten‘ hin gerichtete politische, religiöse oder weltanschauliche Einstellung. Eine totale Veränderung des gesellschaftlichen Ordnungssystems wird angestrebt. Dabei ist die Anwendung von Gewalt und Zwang im Extremismus ein legitimes Mittel zur Zielerreichung.“ [1]

Extremismus ist kein Begriff, der sozialwissenschaftlich eindeutig definiert ist. Häufig wird in Extremismus-Definitionen der Gegensatz von Extremismus und demokratischen Grundwerten wie etwa den Menschenrechten konstatiert und Extremismus am Rande der Gesellschaft verortet. Damit werden jedoch einerseits Unterschiede zwischen extremistischen Ideologien nivelliert und andererseits extremistische und abwertende Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft vernachlässigt.

Welche Werte und Ideen einer Gesellschaft diametral gegenüberstehen, ist zudem abhängig vom historischen, politischen und sozialen Kontext. So galt etwa die Abschaffung der Sklaverei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder die Einführung des Frauenwahlrechts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kontext ihrer Zeit als radikal und extremistisch.

Was ist Radikalisierung?

Als Radikalisierung wird in der Literatur oft der Prozess beschrieben, der zu (gewalttätigem) Extremismus führt. Was hier allerdings aus dem Blick gerät, ist ein emanzipatorischer Begriff von Radikalisierung, der eine radikale Gesellschaftsveränderung – unabhängig von politischen Systemen – anstrebt. Als radikal könnten somit etwa Demokratiebewegungen in totalitären Staaten oder feministische Bewegungen in patriarchalen Gesellschaften bezeichnet werden. Radikalität ist nicht notwendigerweise dasselbe wie Extremismus, weshalb auch der Radikalisierungsbegriff, der sich in der Literatur eingebürgert hat, durchaus in Frage gestellt wird.

Einig ist sich die Fachliteratur darin, dass das, was mit dem Begriff gefasst wird, ein Prozess und kein plötzliches Ereignis ist. Dieser Prozess verläuft selten linear und kann vielfältige Ursachen haben. Radikalisierungsverläufe sind individuell unterschiedlich. Folgende Gemeinsamkeiten können jedoch in den meisten Fällen festgestellt werden:

  1. Bereitschaft für die Annahme extremistischer Ideologien, hervorgerufen durch Erfahrungen von Unmut, Konflikt, Unzufriedenheit; es kann sich sowohl um einen individuellen Identitätskonflikt handeln als auch um soziale, gesellschaftliche Faktoren wie Diskriminierung, Rassismus, politische oder soziale Spannunge,n
  2. Einbindung in Sozial- und Gruppenprozesse, Erfahrung einer „solidarischen Gemeinschaft“
  3. Annahme einer extremistischen Ideologie: Identifikation von Schuldigen, Konstruktion von „Wir“ und „die Anderen“[2]

Was macht extremistische Gruppierungen für Jugendliche und junge Erwachsene attraktiv?

Anerkennung und Gemeinschaft

Wissenschafter_innen und Praktiker_innen sind sich einig, dass Zugehörigkeit ein wesentliches Angebot extremistischer Gruppierungen darstellt. Die Zugehörigkeit zu einer „solidarischen“ Gemeinschaft und die vermeintliche moralische Überlegenheit stärken das Selbstwertgefühl. Die Abwertung anderer Gruppen suggeriert zusätzlich Sicherheit, Stärke und Macht. Anerkennung und Zuspruch binden Jugendliche an ideologisierte Gruppierungen.

Orientierung und Sicherheit

Auf dem Weg zum Erwachsenwerden sind Jugendliche auf der Suche nach Wahrheit und Orientierung. Wesentlich in der Phase der Adoleszenz ist die Abgrenzung und Abwertung von anderen Lebens- und Denkformen, etwa von der Welt der Erwachsenen. Extremistische Ideologien vermitteln durch ein leicht verständliches und starres Weltbild einfache Antworten auf komplexe Fragen im Prozess der Identitätsfindung. Das Gefühl, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können, der richtigen Gruppe zuzugehören sowie den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, wird Jugendlichen durch ein dichotomes Weltbild erleichtert, welches streng zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse unterscheidet.

Provokation und Protest

Für Jugendliche ist es eine Entwicklungsaufgabe, sich von ihren Eltern abzugrenzen und sich von der Kindheit zu verabschieden. Protest gegen die Elterngeneration ist dabei ein zentraler Faktor. Provokation ist ein Bedürfnis der Adoleszenz und selbst drastische Formen der Abgrenzung können identitätsstiftend wirken. Extremistische Gruppierungen bieten vielfältige Möglichkeiten an Provokation. Sie ermöglichen es Jugendlichen, eine aus Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen resultierende Wut oder Frustration zu kompensieren und/oder auszuleben.

Eine einfache Beschreibung komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse und die Schaffung einer Gruppenidentität über Abgrenzung gegenüber anderen, ist für Jugendliche ein normaler Prozess während ihrer Adoleszenz. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass sich Jugendliche in einem eigenen Freundeskreis im Zuge der Ablösungsprozesse von der Herkunftsfamilie eine Ersatzfamilie suchen und sich stark über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definieren. Bis zu einem bestimmten Grad gehen solche Prozesse immer mit einer unterkomplexen Sicht auf die Welt und einem stark gruppenbezogenen Verhalten einher. Vereinfacht könnte man sagen, dass Weltsichten, die politisch-extremistischen Weltanschauungen ähneln, Teil jeder Adoleszenz sind, die meisten Jugendlichen also eine Phase durchlaufen in denen ihr Weltbild dem politischer Extremist_innen gleicht. Genau dies macht Jugendliche aber auch besonders empfänglich für extremistisches Gedankengut und zwar insbesondere dann, wenn zu diesen üblichen Phasen der Adoleszenz – etwa die Identitäts- und Orientierungssuche in einer sich pluralisierenden Welt mit komplexer werdenden Werteordnungen oder die damit einhergehende Abgrenzung vom Herkunftssystem (wie Familie) sowie der Umgang mit neuen Anforderungen – noch zusätzlich krisenhafte Entwicklungen dazukommen. Problematisch wird es also dann, wenn Jugendliche in einer solchen Phase einer einfachen Einteilung der Welt in Wir und die Anderen, Gut/Böse, Freund/Feind verharren und aus einer Phase der Adoleszenz ein verhärtetes Weltbild geschmiedet wird.

Wie nutzen Extremist_innen Abwertungen?

Soziale Gruppen definieren sich über bestimmte Merkmale und entscheiden so, wer dazugehört und wer nicht. Das ist ein grundlegendes soziales Phänomen, welches uns dabei hilft, eine sehr komplexe, sich ständig verändernde Umwelt begreifbar und kontrollierbar zu machen z.B., wenn man Schüler_innen in unterschiedliche Klassen und Altersstufen einteilt, um den Unterricht sinnvoll gestalten zu können. Es passiert jedoch häufig, dass Gruppen sich vor allem darüber definieren, was sie nicht sind und wer nicht teilnehmen darf anstatt über die eigentlichen Ziele. Für Extremist_innen bedeutet es, dass alle, die nicht zu der von ihnen definierten Gruppe gehören potentielle Feinde sind.

Die mangelnde Fähigkeit anzuerkennen, dass unsere Welt zu vielschichtig ist um sich in einfache Gegensatzpaare wie z.B. Freund_in/Feind_in oder Gut/Böse teilen zu lassen ist bezeichnend für Extremist_innen.

Bei der Erklärung, warum „die Anderen“ böse sind und warum man sie mit allen Mitteln bekämpfen und töten muss, spielen Abwertungen eine wichtige Rolle. Abwertungen werden hier auf zwei verschiedene Arten genutzt:

  1. Die Opferrolle: Man selbst wird unterdrückt und ungerecht behandelt, man wird durch unterschiedliche Herangehensweisen abgewertet z.B. Benachteiligung in der Schule, im Job, bei Sozialleistungen oder am Wohnungsmarkt.
  2. Das Feindbild: Die Anderen werden z.B. als fehlgeleitet, schwach, genetisch minderwertig oder einfach als böse (das genügt oft schon) beschrieben und abgewertet. Dabei kommt es meistens zu Kombinationen von den weiter oben beschriebenen Abwertungsformen.

Um Taten wie Mord als probate Mittel rechtfertigen zu können müssen die Feinde zuvor erst dehumanisiert werden. Das bedeutet, dass sie soweit entfremdet und abgewertet werden, also als so böse beschrieben werden, dass die Gruppenmitglieder sie nicht mehr als Menschen mit Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Ängsten wahrnehmen, sondern lediglich als Marionetten der großen Feinde, welche vernichtet werden müssen. Tier- und Ungezieferbezeichnungen (z.B. Ratten, Läuse,…) für Gruppen von Menschen mit bestimmten Merkmalen sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass hier eine extremistische Gruppe versucht sie zu entmenschlichen. So können selbst schlimmste Taten innerhalb der Gruppe akzeptiert und gerechtfertigt werden.

Ein weiteres wichtiges Element mit dem Extremist_innen arbeiten, ist Angst. Ängste lassen Menschen leichter zu extremen Handlungen greifen; es ist ein Grundinstinkt, um unser Leben zu schützen.

Wie erzeugen Extremist_innen Angst? Sie erzeugen Ängste durch ständige Wiederholung einer einfach gestrickten Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse in der die eigene Gruppe (die Guten) durch eine oder mehrere andere Gruppen (die Bösen) bedroht werden. Diese Geschichte wird laufend neu erzählt und alle Ereignisse werden mit dieser Geschichte verknüpft. Reale Ereignisse werden so schnell Teil einer großen Verschwörungstheorie. Ein allgegenwärtiges und mächtiges Feindbild erzeugt besonders viel Angst.

Zwei Formen von Extremismen – ein Beispiel

Rechtsextremismus und jihadistischer Extremismus werden vom österreichischen Verfassungsschutz derzeit als besonders demokratiegefährdend eingeschätzt. Die folgende Gegenüberstellung soll dazu dienen, die ideologischen Grundprinzipien zu beschreiben.

  Rechtsextremismus Jihadistischer Extremismus
Begriff Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen – von fremdenfeindlich/rassistisch bis hin zur nationalsozialistischen Wiederbetätigung – die im Namen der Forderung nach einer von sozialer Ungleichheit geprägten Gesellschaftsordnung die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates ablehnen und

diesen mit Mitteln bzw. Gutheißung von Gewalt bekämpfen. [3]

Sammelbezeichnung für politische und militärische/terroristische Bewegungen die unter Berufung auf eine idealisierte Frühphase des Islams die “Wiederherstellung” einer “islamischen Ordnung” fordern und diese auch mittels Gewalt durchsetzen wollen. Ziel ist die Errichtung eines globalen Khalifats aller Muslime, wobei Muslime, die der eigenen Lesart des Islams widersprechen als Abtrünnige und damit ebenfalls als Feinde betrachtet werden.

 

 

Weltbild Das rechtsextreme Weltbild ist gekennzeichnet durch Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, völkische Ideologie, Antisemitismus, Rassismus, ein rückwärtsgewandtes – sich auf vermeintliche Natürlichkeit – stützendes Gesellschaftsbild (Homophobie, Ablehnung Geschlechtergerechtigkeit etc.) und oft auch mit der Verherrlichung des NS-Regimes und Relativierung bis zur Leugnung des Holocausts.[4] Zudem werden in den letzten Jahren bei vielen rechtsextremen Strömungen Ressentiments gegen Muslime immer wichtiger. In der so genannten Neuen Rechten ersetzen ethnopluralistische Vorstellungen teilweise den positiven Bezug zum Nationalsozialismus. Bei rechtsextremen Strömungen mit Bezug zur Türkei, Serbien oder Polen, die ebenfalls in Österreich vertreten sind, gibt es teilweise andere Bezugspunkte als den NS (Turan, Tschetnik, etc.) Sie verstehen den Islam als Gegenmodell zu westlichen, demokratischen Staats- und Gesellschaftsformen aber auch zum traditionellen Islam, der als verwässert oder gar als Rückfall in den Polytheismus (Schirk) gilt. Die von ihnen propagierte “islamische Ordnung” göttlichen Ursprungs (Scharia), die im Koran, in der Praxis der muslimischen Urgemeinde (Sunna) und in den biografischen Berichten über den Propheten (Hadithe) verbindlich vorgegeben sei, müsse alle Lebensbereiche regeln.[5]

 

Angestrebte Gesellschaftsordnung autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden sollen – Führerstaat; In der Neuen Rechten wird ein ethnopluralistischer Staat angestrebt in dem unterschiedliche Kollektive durchaus auch nebeneinander existieren können, allerdings nur als Kollektive miteinander in Austausch treten und der Einzelne nicht als Bürger, sondern als Teil eines völkischen Kollektivs mit vermeintlich unveränderliche Kultur Bedeutung hat. die Errichtung einer allein religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung – Islamischer Gottesstaat (Kalifat), indem religiöse Minderheiten nur als Schutzbefohlene mit minderen Rechten geduldet werden, wenn diese Angehörige von monotheistischen Buchreligionen sind (v.a. Christen und Juden).
Gruppierungen (Auswahl) Blood and Honour –  Combat 18, Volksfront, Hammerskins, Identitäre Bewegung, Graue Wölfe, Ustascha, Wiedenska Inicjatywa Narodowa IS (Islamischer Staat), Al Qaida, Hayat Tahrir ash-Sham, al-Shabaab Milizen und deren Umfeld und Vorfeldorganisationen u.a. in Ö
Feindbild (Auswahl) Andere Ethnien (Nicht-Weiße), Juden und Jüdinnen, Muslime, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, Migranten und Asylwerber, demokratisches System, Kommunismus, Liberalismus, Linke „der Westen“, Kapitalismus, Kommunismus, Demokratien, Nicht-Muslime, Christen- und Juden, Homosexuelle, Jesidi
Mittel zur Zielerreichung Rassenkrieg zwischen Weißen und anderen Rassen – das ist das Mittel und Ziel einer bestimmten rechtsextremistischen Ideologie, gilt aber nicht für alle; andere Manifestationen rechtsextremistischer Agitation können von Propaganda, Straßenagitation, dem Aufbau illegitimer Parallelstrukturen bis Vorbereitungen auf den Tag X etc. reichen ‚Jihad‘ zwischen Gläubigen und Ungläubigen
Ziel Auslöschung oder Unterwerfung aller Nicht-Weißen bzw. der jeweils ausgemachten feindlichen Gruppe Auslöschung oder Unterwerfung aller Ungläubigen

 

Diese Gegenüberstellung zeigt nur einen sehr kleinen Ausschnitt der beiden Extremismen. Beide Extremismen bestehen aus einer unzähligen Ansammlung an Gruppierungen, Bewegungen und Meinungsführern die einzelne der beschriebenen Punkte unterschiedlich deutlich auslegen und unterschiedliche Erklärungsansätze bieten. Eine zentrale Gemeinsamkeit ist jedoch die Ablehnung von allgemeingültigen Menschenrechten für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, sozialer Stellung und ihrem Geschlecht. Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit ist der wechselseitige Bezug auf die beiden Extremismen. So nützen beide Seiten Anschläge, Drohungen und Verschwörungstheorien der jeweils anderen Seite, um ihr Feindbild weiter zu schärfen, Ängste zu schüren und weitere Anhänger für die eigene Sache zu rekrutieren.

Warum sind Abwertungen im Kontext von Extremismus so gefährlich?

Niemand wird über Nacht zum_zur Extremist_in. Es ist eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen, die über kurze oder längere Zeit zu immer extremer werdenden Ansichten führen können. Die Beratungsstelle Extremismus führt an, dass es keine einfachen Antworten, keinen Katalog an Eigenschaften gibt, den es abzuhaken gilt, um Radikalisierung feststellen zu können. Erfahrung von Abwertung, Diskriminierung und Ausgrenzung können aber dazu beitragen, dass sich Personen radikalisieren bzw. von Extremist_innen gezielt radikalisiert werden.

Abwertungen, egal ob sie innerhalb der Familie, der Schule, im Beruf oder bei zufälligen Begegnungen auf der Straße stattfinden tragen in jedem Fall zu einer feindseligeren Gesellschaft bei, in der das wechselseitige Vertrauen aller Bürger_innen in einander wie auch in ihre Institutionen immer weiter sinkt. Dieses sinkende Vertrauen führt im Gegenzug zu steigenden Ängsten (z.B. selbst ausgegrenzt zu werden, den Job zu verlieren, tätlich angegriffen zu werden). Genau diese Ängste machen es Extremist_innen leicht unsere Gesellschaft zu spalten, um ihre eigenen Ideen von Ungleichheit und Gewalt zu verwirklichen.

Wir alle können mit unseren Handlungen täglich dazu beitragen diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, in dem wir gegen Abwertungen auftreten, selbst nicht abwertende Handlungen setzen und jenen zur Seite stehen die Abwertungen erfahren.

Was kennzeichnet extremistische Gruppierungen?

Es gibt eine große Anzahl an Abstufungen von extremistischen Gruppen, speziell jene, die Nachwuchs rekrutieren wollen, stellen sich nach außen hin oft als harmloser Verein oder Interessensgruppierung dar. Jedoch werden bei näherer Betrachtung oft folgende Merkmale (in Variationen und mit unterschiedlich ausgeprägter Intensität) erkennbar.

  • Die totale Überlegenheit einer Gruppe über alle anderen steht im Mittelpunkt.
  • Gewalt und sogar Mord sind legitime Mittel zur Erreichung der Gruppenziele.
  • Menschen mit bestimmten Merkmalen (z.B. bestimmte Hautfarbe, Herkunft, Religion) sind automatisch Feinde und werden entmenschlicht dargestellt (haben keine Seele, keine Gefühle, keine Menschenrechte) und werden auch sprachlich abgewertet (z.B. als Ungeziefer bezeichnet).
  • Es werden sehr einfache Erklärungsmodelle angeboten, wie unsere Welt funktioniert. Es gibt nur zwei Ausprägungen zB. Freund_in/Feind_iin, Gut/Böse. Für Abstufungen ist kein Platz. Wer nach Abstufungen fragt wird sofort als potenzielle_r Feind_in betrachtet.
  • All jene die nicht Teil der Gruppe sind werden automatisch zu potenziellen Feinden.
  • Die Gruppe beschreibt sich selbst als Opfer und stellt sich stets in einer Situation großer Gefahr bzw. Bedrohung durch den großen „Feind“ dar.
  • Bestehende soziale Kontakte zu Freunden und Familie und allen die vielleicht anders denken sollen abgebrochen werden.

Wie erkenne ich, ob Schüler_innen in das Fahrwasser extremistischer Gruppen kommen?

Die Beratungsstelle Extremismus hat dazu einige Punkte zusammengestellt, jedoch muss gesagt werden es gibt keine Checkliste von Anzeichen, die auf eine extremistische Geisteshaltung schließen lassen. Folgende Verhaltensweisen können jedoch auf einen Prozess der Radikalisierung bzw. Hinwendung zu extremistischen Ideologien und Gruppen hinweisen:

  • Er_sie ändert seine_ihre Lebensweise (z.B. Ess- und Schlafgewohnheiten, Hobbys, Kinobesuche, Sport) deutlich.
  • Er_sie schränkt den Kontakt mit bisherigen Freunden ein oder zieht sich ganz von seinem_ihrem bisherigen Umfeld zurück.
  • Er_sie besucht häufig einschlägige Seiten und Foren im Internet.
  • Er_sie hört nur mehr einschlägige Musik (in der rechtsextremen Szene Bands wie Landser, Radikal, Stahlgewitter, im dschihadistischen Milieu Naschids)
  • Er_sie wird zunehmend aggressiv, wenn es um die eigene politische Überzeugung oder die eigene Religion geht.
  • Er_sie gibt offen rassistische und/oder antisemitische Äußerungen von sich und verherrlicht den Einsatz von Gewalt.

Bei Fragen zum Thema Extremismus können Sie sich an die Beratungsstelle Extremismus wenden

Helpline: 0800 2020 44

E-Mail: office@beratungsstelleextremismus.at

Web: https://www.beratungsstelleextremismus.at/

Die Helpline der Beratungsstelle fungiert als niederschwellige Anlaufstelle für alle Fragen und Unsicherheiten rund um das Thema; unabhängig der Zielgruppe. Darunter fallen auch Lehrkräfte; das Angebot umfasst Beratung im Einzelfall, Workshops, Fachberatungen etc. an den Schulstandorten oder das Kollegium etc.; wie bei allen Zielgruppen wird auch bei Lehrkräften fallspezifisch nach entsprechenden passenden Unterstützungsnetzwerken auch außerhalb der Beratungsstelle gesucht (Schulpsychologie, Sozialarbeit, Eltern, andere Beratungsstellen, etc.).

Hier finden Sie weitere Materialien und Infos zum Thema Extremismus

Allgemein

Speziell für Lehrer_innen

 

Autor_innen: Verena Fabris, Bernhard Jäger, Thomas Schmidinger, Katharina Siegl

[1] Österreichische Strategie Extremismusprävention und Deradikalisierung. Bundesweites Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung. 2018. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2018/10/2236.pdf

[2] Vgl. Neumann Peter: Radikalisierung, Deradikalisierung und Extremismus. 2013. http://www.bpb.de/apuz/164918/radikalisierung-deradikalisierung-und-extremismus?p=all

 

[3] https://www.bvt.gv.at/401/files/Verfassungsschutzbericht2018.pdf

[4] https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2016/10/jugend_u_extremismus_kraitt_fabris.pdf

[5] https://verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.336523.de

Geschlechteridentitäten – Homophobie – Sexismus

Hintergrundinformationen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität

Sexuelle Vielfalt, als gesellschaftspolitischer Begriff, umfasst unterschiedliche Lebensformen, sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten. Sie sind Komponenten, welche die persönliche Identität eines Menschen maßgeblich mitbestimmen.

Die geschlechtliche Identität beschreibt, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig fühlt. Wenn aber von Geschlecht die Rede ist, muss zwischen dem biologischen Geschlecht und dem Gender, also dem sozial konstruierten Geschlecht, differenziert werden.

Gesamtgesellschaftlich wird in Europa immer noch verstärkt von einem binären Geschlechterverständnis (Mann und Frau) ausgegangen die Geschlechterrollen, die Geschlechteridentitäten und das biologische Geschlecht stimmen nach diesem Verständnis überein. Dieses Verständnis schließt jedoch unzählige Menschen aus, denn wie die Realität zeigt, muss die Geschlechtsidentität nicht unbedingt dem biologischen Geschlecht entsprechen, wie es zum Beispiel bei transidenten (meist Synonym mit transsexuellen oder transgender) Menschen der Fall ist. Eine Transfrau ist somit eine Person, deren biologisches Geschlecht zwar dem eines Mannes entspricht, deren Geschlechtsidentität aber die einer Frau ist und sie sich somit als Frau identifiziert. Neben der Identifizierung als Frau oder Mann, gibt es Menschen, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren, sondern sich als nonbinär oder genderfluid verstehen. Die Geschlechtsidentität eines Menschen kann somit auch fließend sein und muss nicht in ein starres Verständnis der Binarität fallen. Auch in der Biologie/Anatomie sind die Grenzen nicht immer eindeutig und fordern somit das binäre Geschlechterverständnis heraus. So werden Intersex-Personen mit Geschlechtermerkmalen geboren, welche nicht eindeutig als männlich oder weiblich kategorisiert werden können.

In vielen Kulturen außerhalb der westlichen Welt existieren neben den zwei Geschlechtern „Mann“ und „Frau“ auch weitere. In Indien gibt es beispielsweise ein drittes Geschlecht, welches offiziell anerkannt ist. Die ‚Hijras‘ sind Menschen, die trans- oder intersexuell sind. In Amarete, Bolivien, kennt man sogar zehn Geschlechter. Hier zählt man neben den zwei biologischen Geschlechtern auch fünf symbolische Geschlechter, welche Kombinationen sind. Aber auch das Judentum kennt neben den Geschlechtern „Mann“ und „Frau“ auch andere, wie zum Beispiel intersexuelle Menschen. Diese Beispiele illustrieren, dass das westliche Verständnis von geschlechtlichen Identitäten kein „Naturgesetz“ darstellt und das Konzept der geschlechtlichen und sexuellen Identitäten durchaus fluid ist.

Die andere Komponente der sexuellen Identität ist die sexuelle Orientierung. Sie ist jedoch nicht als Präferenz, als Praktiken oder gar sexuelle Vorlieben zu verstehen, sondern hat wie die geschlechtliche Identität mit der Selbstidentifikation eines Menschen zu tun. So können sich Menschen als heterosexuell, bisexuell, pansexuell, homosexuell oder auch asexuell identifizieren. Trotz dieser recht eindeutigen Bezeichnungen müssen sich Menschen nicht mit einem dieser Begriffe eindeutig identifizieren, sondern können sich auch auf einem Spektrum befinden und ihre sexuelle Orientierung als etwas Fluides erleben.

Menschen im Spektrum der sexuellen Vielfalt, welche nicht in die binären Geschlechtervorstellungen und/oder heterosexuellen Orientierungen fallen, machen die Gruppe der LGBTG+ oder LGBTQ(I)A+ aus. LGBTQIA+ steht für „lesbisch, schwul, bi, trans_, queer, inter, asexuell und plus“.

Die österreichische Bundesverfassungund die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gehen grundsätzlich von einer Gleichheit aller vor dem Gesetz aus. Trotzdem ist es ein langer Weg zur gelebten Gleichberechtigung für LGBTQIA+ Menschen. Erst seit 1. Jänner 2010 können gleichgeschlechtliche Partner_innen eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen und erst seit Beginn des Jahres 2019 ist auch die Ehe für alle möglich. Weltweit wird Homosexualität in einigen Staaten immer noch penalisiert oder steht sogar unter Todesstrafe.

Trotz der immer besser werdenden rechtlichen und gesamtgesellschaftlichen Lage für LGBTQIA+-Menschen, ist Heteronormativität noch immer die dominante Normvorstellung unserer Gesellschaft. Sie bezeichnet die Weltanschauung, in der Heterosexualität und ein einfaches binäres Verständnis von Geschlecht (Mann und Frau) die soziale und gesellschaftliche Norm darstellt. Ihr liegen meist patriarchale Männer- und Frauenbilder zugrunde, sowohl was die geschlechtlichen Identitäten als auch was sexuelle Orientierungen angeht. Dies führt zu weiter herrschenden Vorurteilen, Ablehnungshaltungen und Diskriminierungen gegen LGBTQIA+-Menschen.

Auch viele Religionen wurden von patriarchalen und homophoben gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt. Konservative Interpretationen vieler Religionen formulieren auch religiös begründete Homophobie und Heteronormativität. Dies ist nicht das Problem einer einzigen Religion, religiös begründeter Homophobie sollte allerdings genauso widersprochen werden wie anders begründeter Homophobie.

Die daraus resultierenden besonderen Formen von Sexismus, Trans- und Homophobie treten in unterschiedlichen Erscheinungsformen und auf unterschiedlichen strukturellen Ebenen auf. Nebst verbalen oder physischen Übergriffen auf Betroffene kommt es auch häufig zu Diskriminierungen am Arbeitsplatz oder in religiösen Institutionen. Auch in den Medien fehlt eine authentische und nicht klischeehafte Repräsentation der LGBTQIA+-Gruppe. Für die Betroffenen bedeutet dies meist Ausgrenzung, (mentalen) Stress oder gar Selbstablehnung.

Mit dem Gebrauch von queer- und gendersensibler Sprache wird der weitverbreiteten Ignoranz und fehlenden Wahrnehmung der vielfältigen Lebensformen entgegengewirkt. Ungleich dem Binnen-I inkludiert der Unterstrich oder das Sternchen (z. B.: Schüler_innen oder Schüler*innen) auch Personen, welche genderfluid, nonbinary, trans oder inter* sind. Dieser sogenannte „Gender Gap“ kann auch während des Sprechens angewendet werden, indem eine Pause dort eingelegt wird. Beispiel: Schüler[Pause]in

 

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Vorurteile und ablehnende Einstellungen gegenüber LGBTQIA+_Menschen sind in Europa, damit auch in Österreich weiterhin weit verbreitet. Diese allgemeinen Vorurteile können sich auch stark in der Haltung Jugendlicher niederschlagen und zu homophoben, transphoben und sexistischen Zwischenfällen in der Schule führen. Diese Zwischenfälle können unterschiedliche Formen annehmen, von der Verwendung diskriminierender Sprache bis hin zu aktiver Ausgrenzung und Mobbing.

Sexualität und Geschlecht, damit verbundene Geschlechterrollen und gesellschaftliche Erwartungen und das Finden der eigenen Identität sind Themen, welche auch Schüler_innen in bedeutendem Ausmaß betreffen. Dadurch, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Dichotomie der Geschlechter (Mann und Frau) und die damit verbundenen Rollenbilder stark perpetuiert werden, werden auch Kinder mit eben diesen Erwartungshaltungen und Bildern sozialisiert. Sie lernen eine Welt dieser Geschlechterklischees kennen, auch wenn diese mit den Jahren immer weiter aufgeweicht werden. Dies bedeutet jedoch, dass Kinder und Jugendliche sich während des Erwachsenwerdens damit auseinandersetzen müssen, wie sich ihre eigenen Identitäten zu diesen gesellschaftlichen Rollenbildern verhalten.

Da das breite gesellschaftliche Verständnis von Geschlechtsidentitäten innerhalb der üblichen Dichotomie liegt, kann es Schüler_innen schwerfallen, ein Verständnis für die Pluralität der sexuellen Orientierungen und Identitäten zu entwickeln. Während dieser Zeit können sich Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Mobbing aufgrund von irrationalen Ablehnungshaltungen gegenüber LGBTQIA+-Schüler_innen häufen und besonders verheerend auswirken. Diese Auswirkungen können hierbei von Verwirrung über Ablehnung der eigenen Identität über Depressionen und suizidale Gedanken bis hin zum Suizid reichen.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Als Lehrperson ist es wichtig, generell achtsam und aufmerksam zu bleiben. Wenn Sie merken, dass es zu sexistischen oder trans-/homophoben Zwischenfällen kommt, sprechen Sie dies an und arbeiten Sie den Zwischenfall mit den Schüler_innen auf. Das Thema rund um sexuelle Orientierung und Identität sollte sachlich erklärt werden und jegliche Form von Homophobie, Sexismus und Transphobie in die Thematik der Nichtdiskriminierung eingebettet werden. Schüler_innen sollen erkennen, dass ihre Handlungen und diskriminierender Sprachgebrauch negative Auswirkungen auf Betroffene haben können und sie sollen erkennen, woher ihre Vorurteile stammen.

Achten Sie aber in jedem Fall darauf, ein Zwangsouting zu vermeiden.

Des Weiteren kann eine antihomophobe Intervention durch Religionslehrer_innen besonders wirkungsvoll sein, da viele konservativ aufgefassten Religionen Homo- und Transphobie manifestieren. Auch soll darauf geachtet werden, dass homophobe oder transphobe Äußerungen in den Religionsunterricht keinen Eingang finden und falls doch, muss dies mit den Schüler_innen sachlich aufgearbeitet werden.

Ein entsprechendes Wissen zu den Themen und auch ein eigenes bewusstes Umgehen mit Sprache und Stereotypen ist Voraussetzung. Des Weiteren ist es sehr zu empfehlen, sexuelle Vielfalt als Normalfall im Klassenzimmer zu behandeln und stets selbst auf eine gendersensible Sprache zu achten.

Außerdem gibt es externe Angebote im sexualpädagogischen Bereich, welche bei Bedarf in Anspruch genommen werden können, um diverse Kompetenzen rund um geschlechtliche Diversität zu entwickeln. Es handelt sich bei den Anbieter_innen um ausgebildete Pädagog_innen, welche Lehrgänge/Workshops für Lehrer_innen und/oder Workshops für Schüler_innen anbieten und somit einen aktiven Beitrag zur sexuellen Gesundheit und zur Prävention von (sexueller) Gewalt leisten. Auf der Plattform im Bereich „Schulinterne Lehrer_innenfortbildungen“ finden Sie solche Angeboten im sexualpädagogischen Bereich.

Literaturempfehlungen:

Hartmann, Jutta/ Messerschmidt, Astrid/ Thon, Christine (Hg.): Queertheoretische Perspektiven auf Bildung – Pädagogische Kritik der Heteronormativität. Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft (Band 13), Leverkusen, 2017.

Friederike Schmidt/Anne-Christin Schondelmayer/ Ute B. Schröder (Hg.): Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt: Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine, Berlin, 2014.

Lutz Van Dijk/ Barry van Driel (Hg.): Sexuelle Vielfalt lernen: Schulen ohne Homophobie, Berlin, 2008.

 

Autorin: Ronya Alev

Identitäre & Neue Rechte

Politischer und historischer Hintergrund:

Seit einigen Jahren sorgt die sich selbst als „Identitäre Bewegung“ (im Folgenden nur Identitäre genannt) bezeichnende Jugendorganisation mit ihren inszenierten Aktionen für mediale Aufmerksamkeit in Österreich. Die „Gegenbesetzung“ der Votivkirche 2012, in der sich Geflüchtete mit negativen Asylbescheiden versammelt hatten, verschaffte ihnen erstmals eine breite Berichterstattung. Seither kommt es immer wieder zu Aktionen, die sich am Rande der Legalität befinden. Martin Sellner, der Sprecher der Identitären, ist dabei vermutlich das bekannteste Gesicht. Doch darüber hinaus: Wer sind die Identitären in Österreich und wie sind sie in der Neuen Rechten einzuordnen?

Die Identitären wurden 2012 offiziell als Verein gegründet, als die Repressionen gegen nationalsozialistische Gruppierungen in Österreich verstärkt wurden. Die Identitären bewegten sich davor im Kreis von Gottfried Küssel, einem verurteilten Neonazi. Sie werden daher sowohl als rechtsextrem als auch neofaschistisch eingestuft, sie sind jedoch sehr vorsichtig dabei, klar erkennbare nationalsozialistische Inhalte zu teilen. Außerdem sind sie äußerst gut mit anderen rechtsextremen Gruppierungen sowohl innerhalb Österreichs als auch über die Landesgrenzen hinweg vernetzt. Zum Vorbild nahmen sich die österreichischen Identitären die in Europa schon bestehenden rechtsextremen Gruppierungen, wie zum Beispiel die Casa Pound in Italien und den Bloc Identitaire in Frankreich. Auch in Österreich pflegen die Identitären ein starkes Netzwerk zu anderen rechtsextremen Organisationen und Burschenschaften. Sie weisen vor allem eine Verbindung zur Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) auf. Sowohl personell als auch ideologisch gibt es immer wieder Berührungspunkte und Überschneidungen mit der genannten Partei.

Obwohl die Identitären sich als „Bewegung“ verstehen, setzt sich der Verein aus rund 20 bis 30 Mitgliedern zusammen. Des Weiteren haben sie für Demonstrationen und Aktionen ein Mobilisierungspotential aus etwa 300 Menschen. Trotz einer übersichtlichen Anzahl an Personen dürfen die Identitären nicht unterschätzt werden, da sie es vor allem online schaffen, eine große Reichweite an Menschen zu erreichen und somit den öffentlichen Diskurs mitbestimmen können.

Die Bewegung kann der Neuen Rechten zugeordnet werden, eine Antwort auf die Neue Linke. Die Neue Rechte umschreibt eine neue, uneinheitliche, rechtsextreme Strömung, welche sich bewusst von der Konzeption der „alten Rechten“ und deren Bezug zum Nationalsozialismus abgrenzt. Diese Abgrenzung geschieht nicht wegen inhaltlicher Differenzen, sondern in erster Linie aus pragmatischen Gründen, da sie so eine breitere Masse mit ihrer Rhetorik erreichen können. Des Weiteren umgehen diese Gruppierungen, darunter auch die Identitären in Österreich, das Verbotsgesetz.

Die Ideologie der Neuen Rechte als auch der Identitären kann als Kontinuum der alten Rechten verstanden werden. Die Menschen sind generell schlecht [im Sinne von nicht gut] und einander nicht gleichwertig, daher kommt es zu einem ständigen Kampf. Die Identitären sind Ethnopluralisten und lehnen diverse und pluralistische Gesellschaften ab. Statt in „Rassen“ teilt die Neue Rechte Menschen in homogene Kulturen und Volksgruppen ein, wobei diese Kulturen wiederum bewertet werden. Nach der Weltanschauung der Identitären ist ein Vermischen der Kulturen abzulehnen oder gar zu bekämpfen. Hier fließt außerdem eine Blut-und-Boden-Ideologie ein, welche Völkergruppen ein spezifisches Siedlungsgebiet zuordnet. Diese Zuordnung basiert dabei auf pseudowissenschaftlichen und ästhetischen Argumentationen. Sie warnen vor dem „großen Austausch“ und inszenieren sich als die Verteidiger des europäischen Abendlandes gegen den Islam. Ein antimuslimischer Rassismus ist ebenso ein inhärenter Teil der Ideologie und der Islam wird als die größte Gefahr postuliert. Auch Antisemitismus findet sich in der neurechtsextremen Ideologie wieder, jedoch versuchen die Identitären das Thema weitgehend zu vermeiden.

Der politische Liberalismus, vor allem in der Denkform des Egalitarismus, wird ebenso vehement abgelehnt. Die Idee einer autoritären Staatsform, regiert von einer kleinen Elite, übernehmen die Identitäten von Carl Schmitt, einem Wegbereiter Hitlers. Ein weiteres Feindbild stellt der Feminismus dar, oder wie Identitäre es nennen, die „Geschlechtergleichmacherei“. Die Identitären propagieren ein patriarchales, männerdominiertes Weltbild. An der Spitze der Identitären stehen fast ausschließlich nur Männer, wobei sie bemüht sind aus strategischen Gründen auch vereinzelt Frauen ins Bild zu rücken.

Die Strategie der Neuen Rechten, an der sich auch die Identitären gekonnt bedienen, unterscheidet sich maßgeblich von der alten Rechten. Das Ziel ist, eine Art Gegenkultur zur „dominierenden linken und liberalen Kultur“ zu schaffen. Die Identitären verstehen sich also nicht als Partei, sondern versuchen ihre Ziele durch einen „intellektuellen“ Austausch zu erreichen. So kleiden sie beispielsweise alte, als rechtsextrem behaftete Begriffe neu: Aus „rassistisch“ wird „identitär“, aus „Massenabschiebung“ wird „Remigration“ und „Überfremdung“ wird durch „großer Austausch“ ersetzt“. Diese fast verschönten Begriffe werden dann in den öffentlichen Diskurs eingebracht und gestreut.

Indem sie die öffentliche Diskussionskultur immer weiter nach rechts verschieben, wollen sie mehr Akzeptanz für ihre Ideologie bewerkstelligen. Daher greifen sie stark auf die Verbreitung ihrer Ideen auf Social Media zurück und bedienen sich der Elemente der Popkultur. Das schwarz-Gelbe Lambda Zeichen, das das Logo der Identitären Bewegung ist, wurde beispielsweise dem Film „300“ entnommen, in welchem die zahlenmäßig unterlegenen Spartaner gegen fremde Soldaten kämpfen – eine Anlehnung daran, dass sich die Identitären als die Verteidiger des Abendlandes sehen.

Das Auftreten wirkt sauber und gepflegt und trennt sich von der Springerstiefel-Ästhetik der Neonazis und des Klimas einer Subkultur. Viele im Kader der Identitären bewegen sich im Universitätsumkreis und sehen „gut bürgerlich“ aus. Mit ihrer Ästhetik, als auch mit dem bewussten Abstandnehmen von nationalsozialistischen Strategien erreichen sie nicht nur die rechtsextreme Szene, sondern auch Konservative und Menschen, die sie mit offensichtlich rein nationalsozialistischen Inhalten nicht erreicht hätten.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Die Strategie der Neuen Rechten ist subtiler als die der „alten“. Mit ihrer Strategie, die Elemente der Popkultur beinhaltet, und einer Rhetorik, die sich von der  (Neo-)Nazi Szene bewusst abgrenzt, schaffen sie es, ihre Inhalte „salonfähig“ zu machen.

Daher kann es vorkommen, dass Schüler_innen sich dieser Taktiken nicht bewusst sind und Inhalte der Identitären teilen, selbst wenn sie sich nicht mit einer rechtsextremen Ideologie identifizieren würden. Schüler_innen können die Inhalte und die Ideologie falsch einschätzen und daher verbreiten. Andererseits können sich Schüler_innen von der „sauberen Ästhetik“ und dem „Pseudointellekt“ der Identitären angezogen fühlen.

Da die Inhalte der Identitären klar rassistisch sind, kann es innerhalb der Klasse zu rassistischen Übergriffen kommen.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Sollten Sie mitbekommen, dass rechtsextreme Inhalte geteilt werden oder Schüler_innen sich rechtsextremer Rhetorik bedienen, greifen Sie das Thema, wenn Sie sich dazu in der Lage sehen, auf und behandeln Sie es im Klassenzimmer. Vielen Schüler_innen mag die Ideologie der Identitären und Neuen Rechten nicht klar sein. Eine Aufklärung über die neurechte Weltanschauung kann hier dienlich sein.

Hierbei ist es außerdem wichtig, auf die Konsequenzen rechtsextremer Rhetorik hinzuweisen und die Thematik aus einer demokratiepolitischen und menschenrechtlichen Sicht zu behandeln. Kompetenzen wie kritisches Denken und Analysefähigkeiten können mithilfe von Unterrichtsmaterialien gefördert werden. So können Schüler_innen mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden, um rechtsextreme Inhalte einschätzen zu können.

Die Art und Weise, wie das Thema behandelt werden kann, hängt sowohl von Ihrem Wissensstand und ihren Konfliktfähigkeiten ab als auch vom Alter der Schüler_innen. Sie können auf der Webseite hilfreiche Tipps und Tools finden.

Symbolik

Das Logo der Identitären Bewegung: Das gelbe Lambda auf schwarzem Hintergrund ist das Logo der Identitären Bewegung. Das Symbol wurde dem Film 300 entnommen, in welchem die zahlenmäßig unterlegenen Spartaner das Heer der Angreifer zurückschlagen konnten. Die IB versteht sich in diesem Zusammenhang als die Spartaner_innen im Kampf für das Abendland gegen die Eindringlinge von außen.

 

Literaturempfehlungen:

Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl: Die Identitären: Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Münster, 2017.

Christian Fuchs/Paul Middelhoff: Das Netzwerk der Neuen Rechten: Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern. Hamburg 2019.

Christa Bauer /Willi Mernyi: Rechtsextrem. 4. Auflage, Mauthausen Komitee Österreich, 2018.

 

Autorin: Ronya Alev

Irak

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Irak entstand als britisches Protektorat nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges. Das Land war von Anfang an von großem ethnischem und religiösem Pluralismus geprägt. Während im Süden und im Zentrum überwiegend Arabisch gesprochen wurde, dominierten im Norden und Nordosten verschiedene Formen des Kurdischen. Religiös stellten die schiitischen Muslime eine knappe Mehrheit der Bevölkerung dar, gefolgt von sunnitischen Muslim_innen, Christ_innen verschiedener Konfessionen und Jüd_innen, die damals ein Drittel der Bevölkerung Bagdads ausmachten. Dazu kamen noch Mandäer_innen, Jesidi, kleine Gemeinschaften der Bahá’í und der Karäer_innen, sowie verschiedene islamische Sondergruppen, wie die Yarsan (Ahl-e Haqq, Kakai), Shabak oder Bektaschi. In Bagdad existierte sogar ein historischer Tempel der Sikh.

Grenzen und Identität des Staates waren von Anfang an umstritten. Unabhängigkeits- und Autonomiebewegungen der Kurd_innen gehen bis auf die britische Protektoratszeit zurück. Dazu kamen auch Autonomiebestrebungen aramäischsprachiger Christ_innen im Nordirak, die 1933 – nur ein Jahr nach der Unabhängigkeit des Irak –  einem blutigen Massaker, dem Massaker von Semele, durch die irakische Armee ausgesetzt waren.

In den 1930 Jahren wurde der Irak zum Schauplatz politischer Auseinandersetzungen zwischen konservativen monarchistischen Kräften, arabischen Nationalist_innen und Kommunist_innen. 1941 kam es zu einem Militärputsch arabischer Nationalisten, die mit Rashid Ali al-Gailani einen pro-deutschen arabischen Nationalisten an die Macht brachten. In der Folge kam es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen britischen und irakischen Truppen, welche mit einer irakischen Niederlage und der Besetzung des Irak durch britische Truppen endeten. In der Endphase dieses Kampfes machten arabische Nationalist_innen die jüdische Bevölkerung Bagdads für die Niederlage verantwortlich und verübten vom 1. bis 2. Juni 1941 einen Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung des Irak („Farhud“), bei dem mindestens 180 Jüd_innen ums Leben kamen.

Diese traumatische Erfahrung und einige bis heute nicht geklärte Anschläge auf jüdische Einrichtungen führten nach einem Abkommen des 1948 gegründeten Staates Israel mit der damaligen irakischen Regierung dazu, dass 1950/51 ein Großteil der jüdischen Bevölkerung des Irak nach Israel emigrierte. Nur in Bagdad und Basra blieben Restgemeinden bestehen, deren Mitglieder überwiegend in den 1960er Jahren auswanderten.

1958 stürzte eine Allianz aus linken und nationalistischen Offizieren die irakische Monarchie und rief eine Republik aus. Unter Abdel Karim Qasim gelang es den Kommunist_innen und anderen linken Gruppierungen, Einfluss zu gewinnen und den Irak in eine sozialistische Richtung zu entwickeln, was wiederum dazu führte, dass die USA am 8. Februar 1963 in der Zeit des Kalten Krieges einen Putsch der arabisch-nationalistischen Baath-Partei gegen Abdel Karim Qasim unterstützten, der in einer blutigen Kommunist_innenverfolgung endete.

Die Baathist_innen schafften es allerdings nicht, sich dauerhaft an der Macht zu halten, sondern wurden durch Machtkämpfe mit verschiedenen rivalisierenden arabischen Nationalist_innen wieder von der Macht verdrängt, bis sie sich am 17. Juli 1968 in einem zweiten baathistischen Putsch wieder an die Macht brachte. Der arabische Nationalismus wurde sowohl von vielen religiösen Schiit_innen im Südirak als auch von vielen Kurd_innen als Gefahr wahrgenommen. Bereits im Frühling 1969 brachen erneut Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den seit 1961 gegen die Zentralregierung kämpfenden kurdischen Peshmerga unter Mulla Mustafa Barzani aus, die 1975 in einer Niederlage der Kurd_innen und in der Exilierung von Mulla Mustafa Barzani endeten.

In innerparteilichen Machtkämpfen der Baath-Partei setzte sich im Laufe der 1970er Jahre der Führer des Parteigeheimdienstes, Saddam Hussein, als neuer Machthaber durch, der 1979 nach dem Rücktritt von Präsident al-Bakr auch das Präsidentenamt übernahm. Im September 1980 startete er einen Angriff auf den Iran,  der einen acht Jahre dauernden Krieg auslöste, welcher in den folgenden Jahren etwa 1 Million Iraker_innen das Leben kosten sollte.

Parallel zum Krieg gegen den Iran verstärkten sich auch in den kurdischen Gebieten Aufstände, die von verschiedenen Peshmerga-Einheiten, überwiegend von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Jalal Talabani, geführt wurden. Auch im Süden des Irak wurden kommunistische und religiös-schiitische bewaffnete Widerstandseinheiten aktiv. Die irakische Armee verwendete bei der Bekämpfung der kurdischen Aufstände Methoden genozidaler Aufstandsbekämpfung, die in den so genannten Anfal-Operationen, denen etwa 180.000 Menschen zum Opfer fielen, und dem Giftgasangriff auf Halabja mit 5.000 Toten ihren tragischen Höhepunkt fanden. Trotz dieser schweren Kriegsverbrechen wurde der Irak im Krieg gegen den Iran von den USA und anderen NATO-Staaten unterstützt. So lieferte etwa Frankreich Atomtechnologie und Deutschland Zutaten und Technologie für das Chemiewaffenprogramm der irakischen Regierung.

Nach dem Ende des irakisch-iranischen Krieges 1988 marschierte der Irak 1990 in Kuwait ein, was zum zweiten Golfkrieg 1991 führte, bei dem nun wiederum eine US-geführte Allianz den Irak aus Kuwait vertrieb, allerdings keinen Regierungswechsel herbeiführte. Aufstände der Schiit_innen im Südirak wurden zuerst von US-Präsident Bush ermuntert, dann aber im Stich gelassen, was wiederum zu Massakern an der schiitischen Zivilbevölkerung und zur Zerstörung von schiitischen religiösen Stätten im Südirak führte. Auch die parallel dazu stattfindenden Aufstände der Kurd_innen im Norden wurden zunächst niedergeschlagen. Erst als sich mehrere Millionen Kurd_innen als Flüchtlinge in Richtung Türkei und Iran in Bewegung setzten wurde eine Flugverbotszone errichtet und damit die Möglichkeit der Schaffung einer kurdischen Autonomieregion im Nordirak ermöglicht.

Die Autonomieregion Kurdistan blieb isoliert und litt genauso unter dem Wirtschaftsembargo gegen den Irak wie die Regionen, die weiter von der irakischen Regierung unter Saddam Hussein beherrscht wurden. Zudem war die Autonomieregion von 1994 bis 1997 von einem Bürgerkrieg (Kurdisch: Birakujî, Brudermord) zwischen den Peshmerga der beiden großen kurdischen Parteien erschüttert, in dem sich die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) von Masoud Barzani schließlich mit der irakischen Regierung Saddam Husseins gegen die Patriotische Union Kurdistans (PUK) verbündete und der zu einer Teilung der De-facto-Autonomieregion in ein PDK- und ein PUK-Gebiet führte.

Erst nach dem Sturz Saddam Husseins durch eine US-geführte Militärallianz 2003 wurde die Autonomieregion Kurdistan von der neuen irakischen Regierung anerkannt und die beiden Parteigebiete wurden zumindest oberflächlich unter einer gemeinsamen Verwaltung vereint.

Mit dem Sturz Saddam Husseins verlor die bis dahin ökonomisch und politisch dominierende sunnitisch-arabische Minderheit ihre führende Stellung zugunsten schiitischer Parteien und einer stärkeren Position der beiden kurdischen Parteien im Norden. Nach einer relativ ruhigen Phase der Besatzung begannen sich ab 2004 Anschläge von sunnitisch-arabischen Untergrundgruppen zu häufen, die politisch unterschiedlich orientiert waren, unter denen aber ab 2006 jihadistische Terrorgruppen immer deutlicher die Führung übernahmen. Die jihadistische Gewalt richtete sich in den folgenden Jahren gegen Schiit_innen, aber auch gegen religiöse Minderheiten wie Mandäer_innen oder Jesidi. Im August 2007 kam es in zwei Dörfern in der jesidisch geprägten Region Sinjar bereits zu Bombenanschlägen, bei denen 796 Menschen getötet und 1.500 weitere verletzt wurden.

Aus der „al-Qaida“ im Zweistromland entwickelte sich der „Islamische Staat im Irak“, der ab 2013 auch Jihadisten im syrischen Bürgerkrieg unterstützte und sich schließlich in „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ umbenannte, im Sommer 2014 große Teile des Zentralirak übernahm und Ende Juni 2014 in Mosul ein Khalifat ausrief. Seither nannte die Gruppe ihren neuen Para-Staat „Islamischer Staat“ (IS). Dieser verübte im August 2014 einen Genozid an den Jesidi in der Region Sinjar, wo tausende Männer ermordet und Frauen und Mädchen entführt und versklavt wurden. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die Schiit_innen aus Sinjar und Tal Afar. Vertrieben wurden auch die aramäischsprachigen Christ_innen aus der Ninive-Ebene östlich von Mosul. Viele ihrer Kirchen und Klöster wurden von den Jihadisten des IS zerstört.

Fahne des so genannten „Islamischen Staates“, seit 2015 in Österreich verboten.

In einem langwierigen Krieg gelang es der irakischen Armee, den kurdischen Peshmerga und den 2014 neu gegründeten Volksmobilisierungseinheiten schließlich, den IS zu besiegen. Im Sommer 2017 wurden auch Mosul und Tal Afar befreit. Mosul, die zweitgrößte Stadt des Irak, wurde bei diesen Kämpfen allerdings stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Innenstadt wurde weitgehend zerstört und der Wiederaufbau der Stadt geht genauso schleppend voran wie der Wiederaufbau der Dörfer und Städte in Sinjar. Auch Ende 2019 lebten noch die meisten Überlebenden des Genozids an den Jesidi von Sinjar in Zeltlagern in der Autonomieregion Kurdistan, während die Türkei immer wieder Luftangriffe auf jesidische Milizen in der Sinjar-Region fliegt. Auch im Norden der Autonomieregion Kurdistan hat die Türkei im Laufe des Jahres 2019 immer größere Gebiete besetzt, um von dort aus Positionen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den nordirakischen Bergen zu bekämpfen.

Da die Volksmobilisierungseinheiten und die irakische Armee im Kampf gegen den IS Unterstützung vom Iran erhielten, gelang es dem Iran nach 2014, den Einfluss auf die irakische Politik auszubauen. Gegen diesen Einfluss des Iran, aber auch gegen die teils katastrophalen sozialen Verhältnisse und die grassierende Korruption richten sich seit dem Oktober 2019 neue Proteste in Bagdad und in vielen Städten des Südirak. Dabei handelt es sich erstmals seit dem Sturz Saddam Husseins nicht um einen konfessionalisierten oder ethnisierten Konflikt, sondern um einen sozialen und politischen Konflikt. Iraker_innen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft beteiligen sich an den Protesten, deren Ausgang bislang nicht abgeschätzt werden kann. Auch viele junge Frauen beteiligen sich an den Demonstrationen und an der Besetzung des Tahrir-Platzes im Zentrum von Bagdad. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt gegen die Demonstrant_innen. Nicht nur die reguläre Polizei, sondern auch eine Reihe von Gruppen von Bewaffneten, die teilweise ohne zuordenbare Uniformen unterwegs sind, schossen immer wieder auf Demonstrant_innen. In den ersten beiden Monaten der Protestbewegung waren insgesamt schon über 300 Tote zu beklagen.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Unter den in Österreich lebenden Iraker_innen befinden sich zwar Angehörige unterschiedlichster ethnischer und religiöser Gruppen, allerdings kommt es trotz der Ethnisierung und Konfessionalisierung vieler Konflikte nach 2003 normalerweise selten zu Konflikten unter verschiedenen Iraker_innen in der Diaspora. Latente Konflikte existieren zwischen (ehemaligen) Anhänger_innen Saddam Husseins und Angehörigen der Opfer des damaligen Regimes. Dass Kinder aus solchen Familien ausgerechnet in einer Schulklasse aufeinandertreffen ist relativ unwahrscheinlich.

Was in der Praxis eher vorkommen kann ist, dass sich Kinder aus Familien, die Opfer jihadistischer Gewalt wurden, etwa jesidische oder christliche Schüler_innen durch sunnitische Muslim_innen bedroht fühlen. Dies hat manchmal mit den Einstellungen sunnitischer Muslim_innen zu tun, wenn diese mit dem IS oder auch mit weniger extremistischen, aber doch sehr religiös-konservativen Gruppen sympathisieren. Allerdings kann dies auch mit der Traumatisierung der Opfer jihadistischer Gewalt zu tun haben. Für viele Opfer des IS ist die erlittene Verfolgung nicht nur eine Tat einer bestimmten jihadistischen Gruppe, sondern „der Muslim_innen“, was auch dadurch begünstigt wird, dass es schon vor 2014 eine lange Verfolgungsgeschichte der Jesidi gibt.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum haben.

Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln.

Wichtig ist es dabei auch, zu erkennen, ob es sich tatsächlich um Mobbing handelt oder ob die Traumata von Überlebenden genozidaler Verfolgung durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Auch dieses individuelle Erleben von Traumatisierten ist unbedingt ernst zu nehmen, benötigt aber eine andere Reaktion als Mobbingerfahrungen. In solchen Fällen wäre unbedingt professionelle Hilfe für die Traumatisierten, etwa durch eine Psychotherapie, ratsam. Die Schulpsychologie kann in solchen Situationen ein erster Ansprechpartner sein.

Literaturempfehlungen:

Marion Farouk-Sluglett / Peter Sluglett: Der Irak seit 1958. Von der Revolution zur Diktatur. Frankfurt am Main, 1991

Henner Fürtig: Geschichte des Irak. Von der Gründung 1921 bis heute. München, 2016

Thomas Schmidinger: „Die Welt hat uns vergessen“ Der Genozid des „Islamischen Staates“ an den JesidInnen und die Folgen. Wien, 2019

 

Autor: Thomas Schmidinger

Iran

Politischer und historischer Hintergrund:

Die Geschichte des Iran reicht bis 3.000 vor Christus zurück, als das altpersische Reich gegründet wurde und macht somit die Geschichte des persischen Kulturvolkes zu einer der ältesten dieser Erde. Im Westen wird der Iran hauptsächlich mit einer repressiven Politik assoziiert, jedoch ist das Land kulturell und historisch vielfältig.

Da das Reich unterschiedlichen Herrschaften unterlag, kam es mitunter zu religiösen Wechseln. Im 7. Jahrhundert wurde die dominante Religion des Zoroastrismus allmählich vom Islam abgelöst, bis das Land Anfang des 16. Jahrhundert schiitisch dominiert wurde.

Die Perser_innen machen heute die Mehrheitsbevölkerung im Iran aus, stellen allerdings gerade einmal etwa die Hälfte der Bevölkerung. Diese sind mehrheitlich Schiit_innen. Jedoch leben im Iran auch Sunnit_innen und zwar v.a. in den kurdischen Gebieten und im Südosten in Balutschistan. Daneben gibt es auch christliche, jüdische und zoroastrische Minderheiten, die offiziell anerkannt sind. Nicht anerkannt und politischer Repression ausgesetzt sind hingegen Angehörige der im Iran entstandenen eigenständigen Religion der Bahá’í.

Neben den Perser_innen als Staatsvolk leben mit den Kurd_innen, Balutsch_innen, Lur_innen und Talisch eine Reihe anderer iranischsprachiger Bevölkerungsgruppen im Iran. Dazu kommen noch die turksprachigen Azeri, Qaschgai und Turkmen_innen, sowie Araber_innen, Armenier_innen oder Assyrer_innen. Des Weiteren lebt auch eine afghanische Diaspora im Iran.

Die Rechtslage als auch die Menschenrechtslage in Bezug auf Minderheiten ist im Iran prekär. Zwar werden die offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften staatlich geschützt, allerdings sind Angehörige nicht anerkannter Religionsgemeinschaften repressiven Maßnahmen ausgesetzt. Die Amtssprache ist Persisch beziehungsweise Farsi welche zur indogermanischen Sprachenfamilie gehört. Publikationen in anderen Sprachen sind zwar grundsätzlich möglich, allerdings ist ausschließlich das Persische Amts- und Bildungssprache.

Der Iran wurde historisch von unterschiedlichen Dynastien beherrscht. Erst 1906 kam es zu einer konstitutionellen Revolution, bei welcher eine Verfassung sowie ein Parlament eingeführt wurden. 1925 wurde dann die damalige Dynastie der Qadscharen von den Pahlavis abgelöst, als sich der damalige Premier Reza Khan zum Shah (König) krönen lies. Sein Ziel war es, den Iran nach westlichem Vorbild umzustrukturieren, dies führte zu einer „Zwangsverwestlichung“, auch in den eher ruralen Gebieten. Dies beinhaltete eine Säkularisierung des Landes, was unter anderem zu einem Kopftuchverbot für Frauen führte. Als ölreiches Land stand der Iran lange Zeit unter dem Einfluss der damaligen Großmächte Russland und Großbritannien. Reza Chan versuchte den Iran vom Einfluss der Großmächte zu emanzipieren – ohne Erfolg. 1941 musste er daraufhin abdanken und Schah Mohammed Reza Pahlavi trat an seine Stelle. Dieser wurde generell als Vasall des Westens wahrgenommen.

Der Unmut über den Shah wuchs, da er sich immer weiter von der Lebensrealität der eigenen Bevölkerung entfernt hatte. Die Ungleichheiten im Land stiegen weiter und der Ölreichtum kam nur wenigen im Land zugute. Des Weiteren wurde jegliche freie Meinungsäußerung verboten. Es kam zu großen Protestbewegungen, welche die Flucht des Shahs zur Folge hatten.

1979 kehrte Ayatollah Khomeini aus dem Exil in den Iran zurück und wurde in der Folge die führende Person innerhalb der Revolution. Schon in den 60er Jahren hatte er die Abdankung des Schahs gefordert und war Kritiker der sozialen Ungerechtigkeit. Mit der Besinnung auf den Islam und die Forderung für mehr Gerechtigkeit konnte er die breite Bevölkerung für sich gewinnen und die Revolution vorantreiben. Die ursprünglich auch von linken und liberalen Kräften mitgetragene Revolution wurde immer mehr von den Anhänger_innen Ayatollah Khomeinis dominiert, Linke und Liberale wurden verdrängt.

1980 griff der Nachbarstaat Irak den Iran an und löste damit den ersten Golfkrieg aus. Der damit verbundene Kriegszustand ermöglichte es dem jungen Regime, repressiv gegen Rival_innen und Oppositionelle vorzugehen und ein autoritäres Regime zu etablieren, das republikanische mit theokratischen Elementen verbindet. Keineswegs unterstützen alle schiitischen Geistlichen dieses System und führende schiitische Geistliche standen immer wieder unter Hausarrest, allerdings sind bestimmte Geistliche, etwa Ayatollah Khomeinis Nachfolger als „Führer“ (Rahbar) Ali Hosseini Khamenei in wichtigen Positionen des Staates  und werden, im Gegensatz zum Staatspräsidenten, nicht gewählt.

Der Iran ist kein monolithischer Staat, sondern besitzt verschiedene politische Strömungen, die allerdings nur in einem sehr eng abgesteckten Rahmen legal sind.  Es gibt konservativere und reformorientiertere Strömungen. Wer das politische System der „Islamischen Republik“ grundsätzlich in Frage stellt, wird jedoch nicht zu Wahlen zugelassen und muss mit politischer Repression rechnen. Menschenrechtsaktivist_innen und politische Aktivist_innen von verbotenen politischen Gruppierungen werden immer wieder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. In Kurdistan, Balutschistan und den arabischen Regionen im Südwesten des Iran gibt es bis heute auch immer wieder Todesurteile gegen Aktivist_innen von Autonomiebewegungen. Die Todesstrafe wird auch gegen mit Drogen handelnde Menschen, manchmal aber auch gegen Ehebrecher_innen und Homosexuelle, verhängt.

Der Iran ist der Hauptrivale Saudi-Arabiens und der Türkei im Nahen Osten und unterstützt schiitische Milizen im Irak, Libanon, Syrien und Jemen. Er unterstützt die syrische Regierung im Bürgerkrieg und wird aufgrund seiner aggressiven Hegemonialpolitik im Irak zunehmend angefeindet.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Die meisten Iraner_innen in Österreich haben keine positiven Verbindungen mit dem iranischen Regime. Konflikte aus dem Herkunftsland werden äußerst selten in Österreich zum Thema. Da die Rivalität zwischen dem Iran einerseits und Saudi-Arabien und der Türkei andererseits allerdings immer wieder als konfessionalisierter Konflikt ausgetragen wird, ist es nicht ganz auszuschließen, dass das Thema Sunnit_innen vs. Schiit_innen in einer Schule zum Thema wird.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierungen und Mobbing in der Schule keinen Raum haben.

Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. In manchen Fällen kann es dabei auch sinnvoll sein, mit Religionslehrer_innen zu kooperieren, wenn diese von Schüler_innen als religiöse Respekts- und Auskunftspersonen ernst genommen werden und eine offene, respektvolle und wertschätzende Haltung zu anderen Konfessionen haben.

Literaturempfehlungen:

Gerhard Schweizer: Iran verstehen: Geschichte, Gesellschaft und Religion. Stuttgart, 2017

Charlotte Wiedemann: Der neue Iran. Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten. München, 2019

Monika Gronke: Geschichte Irans. Von der Islamisierung bis zur Gegenwart. München, 2016

 

Autor_innen: Thomas Schmidinger, Ronya Alev

Islam

Religiöser und historischer Hintergrund:

Der Islam ist neben dem Christentum die zweitgrößte Weltreligion. Auch in Österreich ist der Islam die zweitgrößte Religionsgemeinschaft, sofern man Konfessionslose nicht als Religionsgemeinschaft betrachtet.

An sich wäre der Islam nur eine von mehreren Weltreligionen und eine von mehreren Formen der abrahamitischen monotheistischen Religionen. Durch weltpolitische und migrationspolitische Entwicklungen wurde der Islam in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings zunehmend zu einem Themenfeld politischer und gesellschaftlicher Debatten.[1]

Als Religion, die auf der christlichen und jüdischen Überlieferung aufbaut, sind viele der Glaubensgrundlagen ähnlich wie im Judentum und Christentum. Muslime glauben an genau einen Gott, eine unsterbliche Seele, besitzen eine Jenseitsvorstellung und verfügen letztlich über ähnliche ethische Grundsätze wie Christ_innen und Jüd_innen. In ihrer Gottesvorstellung ist der Islam dem Judentum jedoch näher als dem Christentum. Der Islam ist strikt monotheistisch und lehnt damit die in den meisten christlichen Kirchen vorhandene Vorstellung einer Dreifaltigkeit aus Gott Vater, Gott Sohn und dem Heiligen Geist ebenso ab, wie den v.a. im katholischen Christentum weit verbreiteten Heiligen- und Marienkult. Trotzdem wird Maria als Mutter des aus muslimischer Sicht Propheten Jesus geachtet. Göttlich ist allerdings lediglich Gott selbst als einheitliche personale Gestalt. Eine solche Gottesvorstellung gibt es auch im Judentum und gab es als Minderheitenströmung auch im frühen Christentum, ehe sich das Dogma der Trinität Gottes auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 durchsetzte und die Nicht- oder Antitrinitarier_innen aus der Reichskirche, der Vorläuferkirche der heutigen orthodoxen, katholischen und evangelischen Kirchen, ausgeschlossen wurden. Manche Islamwissenschaftler_innen setzen die Entstehung des Islams auch in den Kontext dieser frühen nichttrinitarischen Formen des Christentums.

Für (fast) alle Strömungen des Islams sind dabei die so genannten 5 Säulen des Islams die verbindlichen Voraussetzungen für ein muslimisches Leben:

  1. Glaubensbekenntnis „Schahāda“: Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer dem (einzigen) Gott gibt und Mohammed der Gesandte Gottes ist.
  2. Gebet: 5-mal täglich, in der Morgendämmerung, mittags, nachmittags, abends und nach Einbruch der Dunkelheit
  3. Almosensteuer (Zakat)
  4. Fasten während des Monats Ramadan
  5. Pilgerfahrt (Hag): einmal im Leben im Pilgermonat nach Mekka

Diese fünf Säulen bauen aufeinander auf. Das Glaubensbekenntnis ist die Basis. Zakat muss nur bezahlen wer über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Für das Fasten während des Ramadans ist entsprechendes Alter und Gesundheit erforderlich. Kinder vor der Pubertät sind nach einhelliger Meinung der islamischen Gelehrten nicht zum Fasten verpflichtet. Zudem gibt es Ausnahmen für Schwangere oder Reisende.

Unterschiedliche Strömungen des Islams:

Im Laufe der islamischen Geschichte hat sich der Islam – überwiegend aus politischen Gründen – in drei Hauptrichtungen gespalten: Sunnit_innen, Schiit_innen und Kharajit_innen, aus denen die heute noch existierenden Ibadit_innen hervorgegangen sind. In den Auseinandersetzungen der Gruppen ging es ursprünglich um die Nachfolgefrage für den Propheten Mohammed als Führer des weltlichen Gemeinwesens der Muslime. Nach der Abspaltung der Kharajit_innen spalteten sich mit der Schlacht von Kerbala, bei der Hussein, der Enkel des Propheten 680 n.Chr. getötet wurde, Schiit_innen (Schia) und Sunnit_innen (Sunna).

Während sich innerhalb des sunnitischen Islams vier Rechtsschulen entwickelten, die sich gegenseitig als rechtgläubig anerkennen (Schafiiten, Hanafiten, Hanbaliten und Malikiten), spaltete sich die Schia an der Frage der Imamatsfolge in weitere Gruppen auf: 12er-Schia (Immamiten, Staatsreligion im Iran, Mehrheit in Aserbeidschan, Irak und Bahrain, Südlibanon), Zaiditen (im Norden des Jemen) und Ismailiten, wobei sich letztere wiederum in Qaramaten (heute verschwunden), Nizaris (Khojas) und Bohras (Mustalis) spalteten. Selbst die Nizaris (Khojas) spalteten sich in die Mu’miniten in Syrien und die Hauptströmung, die heute dem Aga Khan folgen, und auch die Bohras haben sich wiederum in verschiedene Gruppen aufgesplittert.

Unter schiitischem Einfluss entwickelten sich zudem stark heterodoxe Richtungen wie die Alawit_innen, Alevit_innen, Drus_innen oder Ahl al-Haqq (Yarsan), die oft vor- und außerislamische Traditionen mit islamischen Einflüssen mischten und die von konservativen Muslimen als „unislamisch“ betrachtet werden. Diese Strömungen betrachten auch die fünf Säulen des Islams nicht als verbindlich und in einigen dieser Gruppen gibt es interne Diskussionen ob diese überhaupt zum Islam zu rechnen sind. So gibt es auch Alevit_innen, Drus_innen oder Angehörige der Yarsan, die ihre Religionsgemeinschaften als eigenständige Religionsgemeinschaften außerhalb des Islams betrachten, was etwa bei den Alevit_innen auch in Österreich immer wieder zu Konflikten zwischen verschiedenen alevitischen Gruppierungen führt.

Aus dem schiitischen Islam entwickelte sich im Iran im 19. Jhd. auch der Babismus bzw. die Bahai, die sich selbst nicht mehr als Muslime, sondern als weitere Weltreligion verstehen.

In Britisch-Indien wurde im 19. Jahrhundert von Mirza Ghulam Ahmad mit der Ahmadiyya eine neue heterodoxe Richtung des Islams gegründet, die von vielen Sunniten als „unislamisch“ betrachtet wird und auf deren Mitgliedschaft in Pakistan theoretisch die Todesstrafe steht. Nach dem Tod des Gründers spalteten sie sich an der Nachfolgefrage in die Qadiani (AMJ) und Lahori (AAIIL).

Aus der sunnitischen Tradition stammt die strikt puritanische sunnitische Sekte des Wahhabismus, der Staatsreligion Saudi-Arabiens, die gemeinsam mit anderen innerislamischen Reformbewegungen einer der Nährböden für den politischen Islam im 20. Jahrhundert wurde.

Weltweit gehören über 85% der Muslime dem sunnitischen Islam an. Die verschiedenen Strömungen der Schia machen etwas mehr als 10% aus (die überwiegende Mehrheit Imamiten). Die Ibaditen machen weniger als 1% des Islams aus und bilden lediglich im Oman die dominierende Form des Islams.

Konfessionalisierung und regionale Konflikte im Nahen Osten:

Mit dem schiitischen Iran und dem wahhabitischen Saudi-Arabien haben die beiden wichtigsten Rivalen um die politische Hegemonie im Nahen Osten unterschiedliche Ausrichtungen des Islams als jeweilige Staatsreligion. Der dritte große Rivale, die Türkei, hat sich in den letzten Jahren unter der Herrschaft von Recep Tayyip Erdoğan ebenfalls zunehmend in ein sich religiös legitimierendes Herrschaftssystem verwandelt, das eng mit Qatar und der so sunnitischen politisch-islamischen Bewegung der Muslimbruderschaft kooperiert.

Alle drei Staaten benutzen ihre jeweiligen islamischen Strömungen für regionale Machtpolitik. Der Iran unterstützt verschiedene schiitische Milizen im Irak, Iran, Libanon und Jemen. Saudi-Arabien unterstützt salafitisch-wahhabitische Gruppierungen und Kämpfer in Syrien und in anderen Staaten der Region und die Türkei und Qatar unterstützen ebenfalls politische und militärische Akteure in Syrien oder im Irak. Alle drei verwenden dabei Religion auch als Teil ihrer soft power und heizen damit konfessionelle Konflikte an, bzw. tragen dazu bei, dass politische Konflikte zunehmend konfessionalisiert werden und als konfessionelle Konflikte wahrgenommen werden.

Islam in Österreich:

In Österreich dominiert ebenfalls der weltweit am stärksten verbreitete sunnitische Islam, der auch die offiziell staatlich anerkannte Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) dominiert. Die IGGÖ umfasst allerdings auch Teile der schiitischen Muslime und versteht sich in ihrem Selbstverständnis nicht als ausschließlich sunnitische Glaubensgemeinschaft. Während v.a. der pro-iranische Teil der schiitischen Muslime innerhalb der IGGÖ organisiert ist, ist der am obersten irakischen Geistlichen Ayatollah Sistani orientierte Teil der Schiit_innen in einer eigenen Islamische-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia) organisiert, die allerdings nur als Religiöse Bekenntnisgemeinschaft und nicht als anerkannte Religionsgesellschaft registriert ist.

Größer als in vielen anderen Staaten Europas ist der Anteil der Alevit_innen in Österreich, die als heterodoxe Religionsgemeinschaft immer wieder in ihrem Herkunftsland Türkei verfolgt wurden und deshalb oft ein schwieriges Verhältnis zum sunnitischen Islam haben. Während sich jene Alevit_innen, die sich in der offiziell anerkannten Alevitischen Religionsgemeinschaft organisieren und als Teil des Islams verstehen, gibt es daneben seit 2013 auch noch eine überwiegend aus kurdischen Alevit_innen bestehende Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) als Religiöse Bekenntnisgemeinschaft und die Föderation der Aleviten in Österreich, die sich als eigenständige, außerhalb des Islams positionierte Religionsgemeinschaft versteht, allerdings seit Jahren um eine offizielle Anerkennung als Religionsgesellschaft kämpft ohne diese bislang erreicht zu haben.

Schule und Islam

Lediglich die IGGÖ und die Alevitische Religionsgemeinschaft genießen in Österreich den Status einer anerkannten Religionsgesellschaft und haben damit das Recht an Schulen konfessionellen Religionsunterricht zu geben. Mitglieder der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia) und der Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) haben zumindest das Recht, dass ihr jeweiliges Bekenntnis auf Zeugnissen vermerkt ist, sie also nicht als „ohne religiöses Bekenntnis“ geführt werden.

In Wien gibt es zudem mehrere von der IGGÖ anerkannte konfessionelle islamische Privatschulen unterschiedlicher Ausrichtung. Eine alevitische konfessionelle Privatschule gibt es bislang keine.

Auf religiöse Speisevorschriften wird in Regelschulen meist bislang wenig Rücksicht genommen. Dabei wäre es auch für Nichtmuslime kein Problem halal zu essen oder aus gesundheitlichen Gründen in Schulkantinen überhaupt auf Fleischprodukte zu verzichten, die ja dann in den jeweiligen Familien zu Hause genossen werden können.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Grundsätzlich ist auch ein gelebter Islam keinerlei Hinderungsgrund, an einer Klassengemeinschaft und am Unterricht ganz normal teilzunehmen. Pflichtgebete können zu anderen Zeiten nachgeholt werden. Kinder vor der Pubertät sind in allen Rechtsschulen des Islams vom Fasten während des Ramadans ausgenommen und es gibt keinerlei Konsens unter Religionsgelehrten, dass etwa der Schwimm- oder Sportunterricht für Mädchen verboten wäre. In Einzelfällen kommt es aber immer wieder vor, dass Mädchen behaupten, dass sie aus religiösen Gründen nicht am Schwimm- oder Turnunterricht teilnehmen wollen, was allerdings oft ein vorgeschobenes Argument ist. In vielen Fällen stellt sich heraus, dass die Religion nur als Argument benutzt wird, während andere Gründe für eine solche Verweigerungshaltung vorliegen, wie beispielsweise finanzielle Probleme.

Untersagen Eltern muslimischen Schüler_innen die Teilnahme an Klassenfahrten, sollte unbedingt das Gespräch mit den Eltern gesucht werden. Sollten tatsächlich religiös begründete Bedenken gegen die Teilnahme ihrer Töchter vorliegen, sollte versucht werden, über Religionslehrer_innen oder andere religiöse Respektspersonen dahingehend zu intervenieren, dass eine Teilnahme ermöglicht wird. Werden Schüler_innen von ihren Familien dennoch von der Teilhabe an Schulveranstaltungen, Skiwochen oder Unterricht abgehalten, so kann dies eine Kindeswohlgefährdung darstellen und muss der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) gemeldet werden.

Auch die politische und gesellschaftliche Debatte über den Islam in Österreich, allerdings auch Konflikte in Herkunftsregionen von Migrant_innen können sich auf verschiedenste Weise auf das Klima in einer Klassengemeinschaft auswirken. Es gibt in Österreich eine Reihe von Beispielen, wo es zu Mobbing gegen muslimische Schüler_innen durch rassistische, ethnozentristische oder islamfeindliche Mitschüler_innen gekommen ist, allerdings sind auch diskriminierende Äußerungen von Lehrer_innen durchaus keine Seltenheit. Solche Signale von Lehrer_innenseite wiegen umso schwerer, weil sie auch Mitschüler_innen signalisieren, dass antimuslimische Ressentiments geduldet und sogar befördert werden.

Zugleich sind auch einige Fälle bekannt, in denen muslimische Schüler_innen sich salafistischen oder gar jihadistischen Strömungen des Islam zugewandt haben und damit extremistische Positionen vertreten haben. Dieser Trend, der insbesondere 2014/2015 im Zuge der Hochphase des so genannten „Islamischen Staates“ ausgeprägt war, ist allerdings seither wieder im Abklingen begriffen. 2015 wurden einige der Symbole dieser Strömungen verboten, 2019 wurden diese Verbote noch durch Verbote von politisch-islamischen Gruppierungen ergänzt, die zwar nicht jihadistisch oder terroristisch sind, allerdings vom damaligen Gesetzgeber ebenfalls als extremistisch gewertet wurden.

Abbildung 1: Fahne des so genannten „Islamischen Staates“, seit 2015 in Österreich verboten.

Abbildung 2: Symbol der Muslimbruderschaft, seit 2019 in Österreich verboten.

Abbildung 3: Fahne der libanesischen Hisbollah, seit 2019 in Österreich verboten.

Auch wenn der Hype um den so genannten „Islamischen Staat“ durch dessen militärische Niederlagen wieder abgeschwächt ist, ist damit die jihadistische Ideologie nicht völlig verschwunden. Auch andere, gemäßigtere Formen eines politischen Islams können durchaus zu Konflikten in der Schule führen, dies betrifft insbesondere Communities mit entsprechenden Konflikten in den Herkunftsländern von Schüler_innen mit Migrationshintergrund.

Dass sunnitische Schüler_innen aus der Türkei alevitische Schüler_innen mobben, ist etwa seit vielen Jahren immer wieder Thema an Schulen in ganz Österreich gewesen. Auch Schüler_innen aus der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaft der Jesidi berichteten bereits über Diskriminierung und Mobbing durch islamische Mitschüler_innen und wagen es manchmal nicht einmal, ihre religiöse Identität bekannt zu machen. Jesid_innen wurden auch bereits von Schulen in den muslimischen Religionsunterricht eingegliedert, da sie ungefragt aufgrund ihrer Herkunftsstaaten zu den Muslimen gerechnet wurden.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum haben.

Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. In manchen Fällen kann es dabei auch sinnvoll sein, mit Religionslehrer_innen zu kooperieren, wenn diese von Schüler_innen als religiöse Respekts- und Auskunftspersonen ernst genommen werden und eine offene, respektvolle und wertschätzende Haltung zu anderen Konfessionen haben.

Im Falle von religiösem Extremismus ist es eine Möglichkeit, sich auch externe Unterstützung, etwa durch die Beratungsstelle Extremismus, zu holen. Allerdings kann auch in der Schule selbst mit einer gemeinsamen Intervision zum Thema durch die verschiedenen Lehrkräfte gegengesteuert werden. Dasselbe gilt auch für antimuslimischen Extremismus oder für Diskriminierungen von sunnitischen, schiitischen, alevitischen oder jesidischen Schüler_innen.

Untersagen Eltern muslimischen Schülerinnen die Teilnahme an Klassenfahrten, sollte unbedingt das Gespräch mit den Eltern gesucht werden. Sollten tatsächlich religiös begründete Bedenken gegen die Teilnahme ihrer Töchter vorliegen, sollte versucht werden, über Religionslehrer_innen oder andere religiöse Respektspersonen dahingehend zu

intervenieren, dass eine Teilnahme doch ermöglicht wird. Werden Schüler_innen von ihren Familien dennoch von der Teilhabe an Schulveranstaltungen, Skiwochen oder Unterricht abgehalten, so kann dies eine Kindeswohlgefährdung darstellen und muss der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) gemeldet werden.

Sollte der Wunsch bestehen, dass in Schulkantinen Nahrungsmittel verkauft werden, die für religiöse Muslim_innen halal sind, spricht überhaupt nichts dagegen, diesen Wunsch zu berücksichtigen. Schließlich können auch Nichtmuslime problemlos Halal-Nahrungsmittel essen. Hier ist ein offener Dialog mit Schüler_innen und Eltern empfehlenswert. Problematisch kann es sein, wenn Schüler_innen nach ihrer Pubertät darauf bestehen, während des Ramadans zu fasten, dies aber kaum schaffen und ihre Konzentration darunter leidet. Auch hier ist es ratsam, mit den Schüler_innen in einen kritischen Dialog zu treten und eventuell auch Religionslehrer_innen einzubinden. Ziel muss es hier jedenfalls sein, gesundheitliche Schäden bei Jugendlichen sowie Bildungsnachteile zu vermeiden.

Literaturempfehlungen:

Rüdiger Lohlker: Islam. Eine Ideengeschichte. Wien, 2008

Annemarie Schimmel: Die Religion des Islam. Eine Einführung. Stuttgart, 1990

Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams. Frankfurt am Main, 2011

 

Autor: Thomas Schmidinger

[1] Dies dürfte auch der Grund sein, warum von den Pädagog_innen, die in die Vorbereitung dieses Portals eingebunden waren, der explizite Wunsch geäußert wurde, auch ein Informationsblatt über den Islam zu inkludieren.

Jihadismus

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Jihadismus basiert zwar auf verschiedenen Formen des Politischen Islams, stellt allerdings eine extremistische Weiterentwicklung derselben dar, die historisch seit den 1960er-Jahren entstanden ist und im Afghanistan-Krieg der 1980er-Jahre gegen die Sowjetunion erstmals manifest wurde. Dort entstanden – zunächst noch mit Unterstützung westlicher Geheimdienste – jene Netzwerke, die ab 1993 unter dem Namen al-Qaida als erste global agierende jihadistische Terrororganisation unter Usama (Osama) bin Laden zu agieren begannen.

Der Jihadismus als Ideologie im engeren Sinne unterscheidet sich auch von anderen Formen des politischen Islams durch seinen ideologischen Bruch mit dem Mainstream-Islam und sein globales Projekt der vermeintlichen Wiedererrichtung eines globalen Khalifats aller Muslim_innen bzw. all jener Muslim_innen, die aus jihadistischer Sicht als Muslim_innen zu betrachten sind. Mainstream-Muslim_innen werden nämlich von Jihadist_innen als Apostat_innen betrachtet, also als vom Glauben Abgefallene, die zu bekämpfen sind. „Takfir“, also die „Zu-Nichtmuslimen-Erklärung“ von Muslimen, die aus jihadistischer Sicht vom Glauben abgefallen sind, wird von allen jihadistischen Gruppen betrieben, allerdings durchaus in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Konsequenzen. Versuchte die al-Qaida unter ihrem damaligen Gründer Osama bin Laden noch, die Mehrheit der Muslim_innen vom eigenen Projekt zu überzeugen, erklärte der IS (Islamischer Staat) nicht nur die Schiit_innen, sondern auch die Mehrheit der Sunnit_innen zu Nichtmuslim_innen.

Noch extremer praktiziert dies die Gruppe um den saudischen Prediger Ahmad al-Hazimi, dessen Anhänger_innen – bis zu einem internen Konflikt innerhalb des IS – auch in diesem sehr wichtige Positionen bezogen und die auch in Österreich über eine kleine Anhängerschaft verfügt. Im März 2015 fiel Abu Jafar al-Hattab, der bis dahin eines der höchsten Richterämter im IS besetzt hatte und zu den engsten Schülern al-Hazimis zählte, in Ungnade und wurde wegen seines extremen Takfirismus durch den IS hingerichtet. Die Hauptdifferenz von Abu Jafar al-Hattab und al-Hazimi zum späteren Mainstream des IS liegt in der Frage des so genannten Kettentakfirs. Aus Sicht von al-Hazimi schützt „Unwissenheit“ nicht vor Apostasie. Wer also „nicht wisse“, dass die Mehrheit der Muslim_innen vom Glauben abgefallen wäre und selbst diese Muslim_innen nicht zu Nichtmuslim_innen erkläre, wäre allein schon deshalb auch selbst vom Glauben abgefallen, also ein_e Apostat_in. Dies ging selbst der Führung des IS irgendwann zu weit, da sich damit zwar vielleicht eine extremistische Sekte, aber eben mit Sicherheit nicht das erträumte Khalifat aufbauen ließe und immer mehr überzeugte Jihadisten unter Abu Jafar al-Hattab wegen Apostasie hingerichtet worden waren.

Der IS musste sich schließlich bei allem ideologischen Extremismus in machtpolitischen Fragen als pragmatisch erweisen, wollte er nicht sämtliche Stämme und konservativen Muslim_innen unter seiner Herrschaft gegen sich aufbringen.

Der IS betrieb zunächst eine durchaus erfolgreiche Machtpolitik, die auf einem Bündnis mit der im Untergrund aktiven irakischen Baath-Partei und der Inklusion lokaler sunnitisch-arabischer Stämme basierte, die sich durch die schiitisch dominierte irakische Regierung in Bagdad oder durch das alawitisch dominierte Regime in Syrien marginalisiert fühlten.

Der militärische Sieg über den IS kam für viele seiner Opfer zu spät. Obwohl der vor vier Jahren stattfindende Genozid gegen die Êzîdî von Sinjar oder die Vertreibung der christlichen AssyrerInnen und der Shabak aus der Niniveh-Ebene mindestens seit der Einnahme Mosuls im Juni 2014 absehbar war, waren weder die USA oder Europa, noch Russland oder der Iran in der Lage oder willens diese genozidalen Verbrechen aufzuhalten. Auch wenn seither Sinjar und die Niniveh-Ebene befreit wurden, so leben viele der Überlebenden bis heute als intern Vertriebene in Lagern im Irak oder als Flüchtlinge in Europa.

Nicht nur der IS, sondern auch andere jihadistische Gruppen konnten überall dort von der politischen Situation profitieren, wo massive soziale und politische Verwerfungen zu langwierigen Bürgerkriegen führten. Unter rivalisierenden Para-Staaten können sich auch Jihadist_innen als Ordnungsmacht immer wieder zumindest kurzfristig behaupten. Dies gilt für Afghanistan genauso wie für den Jemen, Libyen oder Somalia. Die Attraktivität dieser regionalen Akteure für europäische Muslime ist jedoch meist relativ begrenzt. Zwar gingen einzelne – meist jüngere – Muslime aus Europa schon vor der Etablierung des IS auch nach Afghanistan oder Somalia, die Massen zog allerdings erst die Ausrufung des „Khalifats“ und der politische und militärische Erfolg des IS 2014 an.

Die Fahne des IS ist seit 2015 in Österreich verboten.

Mit der militärischen Niederlage des IS ist dieser auch für seine europäischen Sympathisant_innen deutlich unattraktiver geworden. Das Phänomen der Jihad-Reisenden nach Syrien oder in den Irak ist mittlerweile v.a. aufgrund der militärischen Niederlage des IS in der Region zum Erliegen gekommen.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass Ideologien aus dem jihadistischen Bereich ihre Attraktivität verloren hätten. Die Szene in Europa ist heute allerdings viel gespaltener und demoralisierter als 2014. Was allerdings geblieben ist, ist die Attraktivität der Botschaft des Jihadismus für Teile der meist sozial schlechter gestellten oft schon in Europa aufgewachsenen muslimischen Jugendlichen. Hier spielt das revolutionäre und utopische Moment des Jihadismus eine zentrale Rolle.

Nachdem die europäischen Eliten seit dem Ende der Sowjetunion das vermeintliche „Ende der Geschichte“ verkündeten und jegliche Debatten über Systemalternativen bestenfalls ins Reich der Spinnerei verbannten, brachte der IS 2014 die Geschichte auf denkbar brutalste Weise zurück. Dass sich der Jihadismus des Reichs der Utopie bemächtigen konnte, liegt einerseits an der Hegemonie des neoliberalen Diskurses vom Ende der Geschichte und der Alternativlosigkeit der liberalen Demokratie, andererseits aber auch an der Schwäche anderer progressiver Alternativen. Der seit Jahren wachsende Rassismus gegen Muslime sorgt nach wie vor dafür, dass sich junge Muslime diskriminiert fühlen und fördert damit ebenso einen Nährboden für jihadistische Agitation.

In Österreich sind durch den Misserfolg des IS, aber auch durch den behördlichen Verfolgungsdruck, heute jihadistische Aktivitäten unter Jugendlichen deutlich zurückgegangen und andere Formen des Politischen Islam, aber auch etwa verschiedene Formen des Rechtsextremismus, deutlich attraktiver geworden. In Kleingruppen halten sich allerdings verschiedene Formen jihadistischer Ideologien. Die Szene ist heute deutlich diversifizierter und gespaltener. Es dominieren nicht mehr Gruppen mit unmittelbarer Nähe zum IS, sondern andere Strömungen, wie etwa jene von al-Hazimi, die durch die Niederlage des IS nicht in Argumentationsnotstand kamen. Ernüchternd für die Szene stellte sich auch heraus, dass der für lange Zeit wichtigste Propagandist der IS-Ideologie in Österreich, Mohamed Mahmoud im IS in Ungnade fiel und im November 2018 in einem IS-Gefängnis einem amerikanischen Luftwaffenangriff zum Opfer fiel.

Als Herausforderung stellt sich für die Zukunft allerdings die (allerdings relativ kleine) Zahl an Rückkehrer_innen dar, von denen einige Kinder haben. Auch einige der jihadistischen Propagandist_innen, die nicht nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, haben mittlerweile Kinder, die in den nächsten Jahren ins schulpflichtige Alter kommen und bereits als Kinder der Ideologie ihrer Eltern ausgesetzt waren.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

2014/2015 waren Sympathiebekundungen für den IS durchaus an vielen Schulen zu hören. Teilweise wurden diese als Provokation getätigt, allerdings gab es auch Fälle wirklicher jihadistischer Radikalisierung an Schulen, die für einige Schüler_innen in der Ausreise in den IS endeten. Dieses Phänomen ist vorerst völlig zum Erliegen gekommen, was sich allerdings bei einem möglichen Wiederaufleben des IS wieder ändern könnte. In den nächsten Jahren werden auch einige der Kinder der jihadistischen Jugendlichen von 2014/2015 ins schulpflichtige Alter kommen. Hier wird zu beobachten sein, was dies bedeutet, ohne diese Kinder gleich zu stigmatisieren.

Mittlerweile sind jedoch auch Opfer des IS an österreichischen Schulen, Kinder von Geflüchteten aus Syrien und dem Irak, darunter auch Angehörige von religiösen Minderheiten wie den Jesid_innen oder Christ_innen, die Vertreibung und Genozid erlitten haben. Sollten solche Kinder auf Anhänger_innen oder auch nur Verharmloser_innen des IS treffen, können schwere Konflikte entstehen und Traumatisierungen getriggert werden.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Sollten Sie befürchten, dass Jugendliche sich jihadistisch radikalisieren, sollten diese Jugendlichen weder vorschnell verurteilt (und damit noch mehr in diese Richtung gedrängt) werden, noch sollte dem Problem aus dem Weg gegangen werden. Es macht Sinn, sich mit Kolleg_innen und Eltern auszutauschen und zu versuchen, die Jugendlichen aufzufangen, allerdings auch Ihre inhaltliche Ablehnung der Ideologie – bei gleichzeitiger Wertschätzung gegenüber der_dem Jugendlichen – zum Ausdruck zu bringen. Weitere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte der Kurzinformation „Radikalisierung“. In vielen Fällen macht es auch Sinn, mit Religionslehrer_innen und Schulpsychologie Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam zu beraten, wie die betroffenen Schüler_innen von einer weiteren Radikalisierung abgebracht werden können. Auch die Beratungsstelle Extremismus steht für Lehrer_innen zur Verfügung, die sich diesbezüglichen Rat holen wollen.

Bei Konflikten zwischen sunnitischen Muslim_innen und Opfern des Jihadismus ist es auch wichtig, zu erkennen, ob es sich tatsächlich um Mobbing handelt oder ob Traumata durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Das individuelle Erleben von Traumatisierten ist auch dann unbedingt ernst zu nehmen, wenn dieses nur getriggert wurde, benötigt aber eine andere

Reaktion als bei Mobbing. In solchen Fällen wäre unbedingt professionelle Hilfe für die Traumatisierten, etwa durch eine Psychotherapie, ratsam. Die Schulpsychologie kann in solchen Situationen ein erster Ansprechpartner sein.

Literaturempfehlungen:

Thomas Schmidinger: Jihadismus – Ideologie, Prävention und Deradikalisierung. Wien, 2015

Peter R. Neumann: Der Terror ist unter uns: Dschihadismus und Radikalisierung in Europa, Berlin, 2016

Rüdiger Lohlker: Theologie der Gewalt. Das Beispiel IS, Wien, 2016

 

Autor: Thomas Schmidinger

Nordirlandkonflikt

Politischer und historischer Hintergrund:

Der Begriff „Nordirlandkonflikt“ bezieht sich auf die Periode der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Nordirland, welche beginnend mit Ende der 60er Jahre bis 1998 andauerte. Es waren mehrere Akteur_innen in den Konflikt involviert. Die Hauptkonfliktparteien machten jedoch die Unionist_innen (mehrheitlich Protestant_innen) auf der einen und die Nationalist_innen (mehrheitlich Katholik_innen) auf der anderen Seite aus. Radikale Vertreter_innen der Unionist_innen wurden auch Loyalist_innen und die der Nationalist_innen Republikaner_innen genannt. Des Weiteren waren paramilitärische Organisationen aus beiden Lagern involviert. Diese machten zwar nur einen Bruchteil der jeweiligen Bevölkerungsgruppen aus, jedoch verstanden sie sich als ihre Repräsentant_innen. Allgemein wird im Englischen der Begriff „The Troubles“ für den Nordirlandkonflikt bevorzugt, da er keine explizite Schuldzuweisung an eine der Konfliktparteien zulässt. Der Konflikt prägt die nordirische Bevölkerung bis heute.

Vereinfacht wird oftmals angenommen, dass der Konflikt in erster Linie ein religiöser war, da sich Katholik_innen und Protestant_innen gegenüberstanden. Die Konfessionen dienen jedoch lediglich als Unterscheidungsmerkmal zweier gesellschaftlicher Gruppen, welche unterschiedliche sozial-politische und wirtschaftliche Stellungen innerhalb Nordirlands genossen. Daher ist dieser Konflikt als ein sozialer und politischer zu verstehen und beruht nicht auf einer rein konfessionellen Auseinandersetzung.

Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen flackerten schon Dekaden vor dem Entfachen des Nordirlandkonflikts auf. 1922 wurde Irland nach dem Unabhängigkeitskrieg als Freistaat und später als Republik Irland gegründet. Nordirland hingegen, welches mehrheitlich von Protestant_innen (vor allem Engländer_innen und Schott_innen) besiedelt war, blieb Teil Großbritanniens. Dies führte dazu, dass sich vorwiegend der katholisch geprägte Teil der Bevölkerung Irland anschließen wollte, die Protestant_innen Nordirland hingegen als Teil Großbritanniens verstanden.

Hinzu kamen soziale, politische und wirtschaftliche Aspekte, die zu Animositäten zwischen den Gruppen führten. Zwischen 1921 und 1972 funktionierte Nordirland als selbstregierende Region, in welcher Protestant_innen mit der Ulster Unionist Party außerhalb von Belfast eine alleinige Mehrheitsregierung formten. DenKatholik_innen kam hingegen ein kleinerer Wahlkreis zu und an vielen Orten Nordirlands waren sie nicht einmal wahlberechtigt. Des Weiteren waren sie auch am Arbeits- und Wohnungsmarkt stark benachteiligt. Die irische Identität und Sprache wurden im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel an Schulen, kaum anerkannt.

1967 formierte sich die Northern Ireland Civil Rights Association (NICRA), welche das Ende der Diskriminierungen gegenüber Katholik_innen in Nordirland einforderte.  Zu jener Zeit waren noch antikatholische Gesetze in Kraft, welche nach dem irischen Unabhängigkeitskrieg, aus Angst vor einer katholischen Dominanz, von der protestantisch geprägten Regierung eingeführt worden waren und die Regierung und deren Sicherheitskräfte dazu befähigten, jegliche nationalistische/republikanische Agitation im Keim zu ersticken.

Die Proteste der NICRA wurden von der nordirischen Regierung verboten beziehungsweise gewaltsam aufgelöst. Der Grund für das Verbot war die Behauptung, dass die NICRA eine Vorfeldorganisation der Irish Republican Army (IRA) – einer paramilitärischen Organisation – sei. Die IRA und ihr politischer Arm, die Partei Sinn Féin, waren während des irischen Unabhängigkeitskrieges tragende Akteure und spielten erst wieder ab den 60er Jahren eine große Rolle in Nordirland. Die anhaltende Gewalt während der Proteste führte letztendlich dazu, dass 1969 britische Truppen in Nordirland eingesetzt wurden, welche zum Eindämmen der Gewalt „no-go areas“ schufen. Dies bedeutete, dass Personen die Gebiete des jeweils anderen Lagers nicht betreten durften. Aus der Sicht der Nationalist_innen bevorzugten die Truppen jedoch das unionistische Lager. Im selben Jahr spaltete sich die IRA in zwei Gruppen:  in die eher marxistisch orientierte Official IRA und in die radikalere Provisional IRA, welche im weiteren Verlauf des Konfliktes für mehrere Anschläge verantwortlich war.

Unterdessen hatte sich auch die Ulster Volunteer Force (UVF), welche zuvor schon während der 20er Jahre aktiv war, neugegründet. Die UVF ist eine paramilitärische Organisation radikaler protestantischer Unionist_innen, welche ebenfalls in den Konflikt aktiv eingriff und für diverse Anschläge während des Konflikts verantwortlich war.

1971 heizten sich die Proteste und gewalttätigen Auseinandersetzung weiterhin auf. Bei einem Anschlag der IRA wurde ein britischer Soldat getötet. Als Antwort darauf wurden 350 Katholik_innen inhaftiert, was wiederum zu weiteren Aufständen führte, bei welchen 17 Menschen – darunter auch Zivilist_innen – ums Leben kamen. Jedoch hielten die Proteste trotz der Verbote an. In diesem Jahr gründete sich außerdem auch die Ulster Defence Association (UDA), eine der wichtigsten paramilitärischen Organisationen der Loyalist_innen.

Am 30. Jänner 1972 organisierte die NICRA einen Bürger_innenrechtsmarsch gegen die Internierungsgesetze, welche sich hauptsächlich gegen katholische Bürger_innen richteten, sowie gegen die Marschverbote in (London)Derry. Um einen friedvollen Marsch zu ermöglichen, versprach die IRA, fernzubleiben. Britische Soldaten bauten Barrikaden auf und hinderten somit die Protestierenden daran, in die Stadt zu marschieren. Es folgten Konfrontationen, welche schnell eskalierten. Britische Soldaten eröffneten das Feuer, wobei 14 Menschen ums Leben kamen und 13 weitere Menschen verletzt wurden. Dieser sogenannte „Blutige Sonntag“ (Bloody Sunday) markiert den Höhepunkt des Nordirlandkonflikts. Die Geschehnisse an diesem Tag führten dazu, dass die Provisional IRA an Zustimmung innerhalb der katholischen Bevölkerung in Nordirland gewann.

Im folgenden Monat verübte die IRA einen Anschlag auf die britische Botschaft in Dublin; daraufhin wurde die nordirische Regierung suspendiert und Nordirland wurde direkt unter die Regierung Westminsters gestellt. Da die britische Regierung immer aktiver in den Konflikt eingriff, begann die IRA auch Anschläge in England zu verüben.

In den 80ern wurde den (mehrheitlich republikanischen) Inhaftierten der spezielle Status der Kriegsgefangenen entzogen. Daraufhin kam es in den Gefängnissen zu Aufständen, unter anderem auch Hungerstreiks und den berüchtigten Schmieraktionen mit Fäkalien. Zehn Insassen kamen bei den Hungerstreiks ums Leben. Auch außerhalb der Gefängnisse intensivierte sich der Konflikt. Die paramilitärischen Organisationen beider Lager verübten weiterhin Anschläge. Es kam auch mehrmals zu Versuchen, den Konflikt zu beenden, welche aber fruchtlos blieben.

1994 kündigte die IRA dann letztendlich einen unbefristeten Waffenstillstand an, unter der Bedingung, dass die Sinn Féin in die Gespräche für eine politische Lösung des Konflikts miteinbezogen werden würde. Unter Einbeziehung des US-Senators George Mitchell wurden Friedensgespräche einberufen. Als die Sinn Féin jedoch nicht einbezogen wurde, kündigte die IRA den Waffenstillstand kurzzeitig auf, bis die Verhandlungen 1997 wieder aufgenommen wurden. Der Konflikt fand sein offizielles Ende mit dem Karfreitagsabkommen (Good Friday Agreement) im Jahr 1998. Das Abkommen beinhaltet, dass Nordirland nicht ohne die Einwilligung der Mehrheit der Bevölkerung Teil Irlands werden dürfe. Des Weiteren sollen sowohl die irischen als auch die britischen Behörden zusammenarbeiten und der nordirischen Bevölkerung ist es gestattet, neben einem britischen auch einen irischen Pass zu beantragen. Am 23. Mai 1998 kam es zu einem Referendum bezüglich des Karfreitagsabkommens und das Ergebnis fiel mehrheitlich für das Abkommen aus. Seither kam es noch zu vereinzelten Ausschreitungen, der Konflikt war jedoch größtenteils eingedämmt.

Bis zum Karfreitagsabkommen kamen infolge des Konflikts 3500 Menschen ums Leben. Da die Todesrate von 1.000 pro Jahr (= übliche Zahl, um einen Krieg zu definieren) nie überschritten wurde, wird er als ein Konflikt geringer Intensität klassifiziert es. Nachdem aber die Bevölkerung in Nordirland nur 1,5 Millionen Menschen umfasst, ist die Zahl proportional zur Bevölkerung relativ hoch.

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wurde der Nordirlandkonflikt wieder Gesprächsthema. Es wird ein neues Aufflammen des Konflikts in Nordirland befürchtet, da Irland Teil der EU bleibt würde und es somit zu einer „harten“ Grenze zwischen Irland und Nordirland kommt.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Der Nordirlandkonflikt wird womöglich keine auffallenden Auswirkungen auf die Klassengemeinschaft haben. Jedoch kann es vorkommen, dass Schüler_innen aufgrund ihrer Religion ausgeschlossen, gemobbt oder benachteiligt werden.

Der Nordirlandkonflikt kann als anschauliches Beispiel dafür dienen, dass konfessionalisierte Konflikte oftmals komplexer sind. Neben der Konfession spielen meistens weitere unterschiedliche Faktoren, wie zum Beispiel sozial-politische oder wirtschaftliche Faktoren, eine bedeutende Rolle und können somit aggravierend im Konflikt wirken.

 

Mögliche Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell achtsam, wenn es zu Streitigkeiten innerhalb der Klassengemeinschaft kommt. Intervenieren Sie, wenn Sie mitbekommen, dass Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln.

Sollte es zu Konflikten innerhalb der Klassengemeinschaft kommen, die religiös motiviert zu sein scheinen, kann der Nordirlandkonflikt als Beispiel herangezogen werden, um einen (konfessionalisierten) Konflikt und dessen Komplexität zu erklären.

Symbolik

 

 

 

 

 

Das Emblem der Ulster Defence Association (UDA)

Provisionals Irish Republican Arm

Literaturempfehlung:

David McKittrick/ David McVea: Making Sense of the Troubles: A History of the Northern Ireland Conflict. London, 2012.

Jonathan Tonge: Northern Ireland: Conflict and Change. London, 2002.

Peter Shirlow: Belfast: Segregation, Violence and the City. London, 2006.

 

Autorin: Ronya Alev

Radikalisierung?

Kurzinformation für Lehrer_innen: Was kann ich tun, wenn ich vermute, dass sich Schüler_innen radikalisieren?

Schüler_innen, die mit extremistischen Aussagen auffallen, stellen für Lehrkräfte eine große Herausforderung dar. Wenn sich ein_e Schüler_in auffällig verhält, ist es manchmal sinnvoll, Hilfe von außen hinzu zu holen.

  • Wesentlich ist es, die Ablehnung extremistischer Sichtweisen klar zum Ausdruck zu bringen. Dem_der Schüler_in sollte dabei vermittelt werden, dass zwar seine_ihre Haltungen abgelehnt werden, nicht aber der_die Schüler_in als Person.
  • Wenig sinnvoll ist es jedoch, sich auf religiöse Debatten bzw. rechtspopulistische Argumentationen einzulassen.Was bei verschwörungstheoretischen Inhalten wirksam sein kann, ist das Nachfragen in Bezug auf Quellen (z. B.: Warum ist gerade dieses Foto echt oder diese Quelle vertrauenswürdig?)
  • Wichtig ist es, in Beziehung mit dem_der Schüler_inzu bleiben und Interesse an dem_der Schüler_in zu zeigen.
  • Tauschen Sie sich mit Ihren Kolleg_innen aus und analysieren Sie gemeinsam die Situation, bevor Sie handeln.
  • Holen Sie sich Hilfe:

Literaturempfehlungen

Verena Fabris: Extremismus, Radikalisierung, Prävention – Extremismusprävention in Österreich, Radikalisierungsprozesse bei Jugendlichen und die Arbeit der Beratungsstelle Extremismus. In: Christian Schwarzenegger/Reinhard Brunner: Bedrohungsmanagement. Radikalisierung und gewalttätiger Extremismus/Nationaler Aktionsplan. Schulhess 2019. S. 63-86. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2019/12/Fachtagung_Bedrohungsmanagement_Fabris.pdf

Extremismus und Radikalisierung als Herausforderung für die Politische Bildung. https://www.politik-lernen.at/site/praxis/dossiers/extremismus

Fabian Reicher/Felix Lippe: Jamal al-Khatib – Mein Weg! Online-Campaigning als Methode der Politischen Bildung. In: e-beratungsjournal.net. Fachzeitschrift für Onlineberatung und computervermittelte Kommunikation. 15. Jahrgang, Heft 1, Artikel 4, 2019. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2019/05/2019_Reicher_Lippe_Online-Campaigning.pdf

turn – Verein für Gewalt- und Extremismusprävention (Hg.): Jamal al-Khatib pädagogisches Paket. Wien 2018. https://www.beratungsstelleextremismus.at/wp-content/uploads/2018/07/Jamal-al-Khatib_p%c3%a4dagogisches_Paket_Mai18.pdf

 

Videos Jamal al-Khatib “Mein Weg”. https://www.facebook.com/jamalalkhatibmeinweg/

 

Autorin: Verena Fabris

Roma & Sinti

Politischer und historischer Hintergrund:

Gegenüber Roma und Sinti herrschen bis heute Vorurteile, Ressentiments und Stereotype, die sich hartnäckig in der Gesellschaft verankert haben. Diese begünstigen auch die jahrhundertelangen systematischen Diskriminierungen, welche die Roma von Seiten der Gesellschaft und Regierungen ihrer jeweiligen Siedlungsgebiete erfahren. Wer sind jedoch die Roma und Sinti und woher kommen sie? Vieles ist bis heute nicht zu hundert Prozent bekannt, da viele Informationen nur mündlich weitergegeben wurden. Der folgende Text soll jedoch etwas Aufschluss über ihre Herkunft und ihre Situation in Europa geben.

Roma, Sinti und weitere verwandte Volksgruppen, wie zum Beispiel die Calé, haben ihren Ursprung in Südasien, also im heutigen Indien oder Pakistan. Im Folgenden werden die verwandten Volksgruppen unter dem Sammelbegriff „Roma“ oder „Roma und Sinti“ zusammengefasst. Ab dem achten bzw. zehnten Jahrhundert zogen Roma und Sinti über Armenien und Kleinasien und erreichten vermutlich im 13./14. Jahrhundert Europa. Genaueres über ihre Herkunft ist nicht bekannt, da die Sprache der Roma und Sinti eine mündliche ist und daher nicht viele Schriftquellen existieren. Jedoch war der Grund ihrer Migrationsbewegung kein, wie oftmals unterstellt, wie auch immer gearteter „Wandertrieb“, sondern vermutlich Krieg, Verfolgung und wirtschaftliche Not.

Die Roma sind eine besonders heterogene Bevölkerung. Sie gehören unterschiedlichen Religionen und Konfessionen an, höchstwahrscheinlich übernahmen die Gruppen mit der Zeit jeweils die Konfession ihres Siedlungsgebietes. So gibt es neben katholischen auch orthodoxe und muslimische Roma und Sinti. Auch sprachlich unterscheiden sich die Roma voneinander. Obwohl die Roma grundsätzlich Romanes (Romani) sprechen, eine Sprache, die der indogermanischen Sprachfamilie angehört und mit dem Sanskrit verwandt ist, unterscheidet sich die Sprache je nach Region deutlich, da viele Lehnwörter aus der Sprache des jeweiligen Siedlungsgebietes übernommen wurden. Teilweise wurden Roma und Sinti Zwangsassimilierungen unterworfen und verloren im Laufe der Zeit auch aus diesem Grund ihre Sprache. Von dieser Assimilationspolitik waren auch Roma in Österreich stark betroffen. Unter Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. wurden Roma, nach Jahren der Verfolgung und Ausgrenzung, gezwungen, sesshaft zu werden. So wurde ihnen beispielsweise aus diesem Grund der Besitz von Pferden und Fahrzeugen untersagt.

Die Geschichte der Roma ist seit der Ankunft in Europa nicht einheitlich. Je nach Siedlungsgebiet waren die Menschen unterschiedlichen Diskriminierungen und Politiken unterworfen. Während hingegen viele von ihnen zu Leibeigenen gemacht wurden, wurden beispielsweise die Sinti in Mitteleuropa (auch Österreich) im 15. Jahrhundert „vogelfrei“ und damit als rechtlos erklärt. Somit schlossen sich viele der Sinti nicht-sesshaften Menschengruppen an und zogen von Ortschaft zu Ortschaft, um den Folgen ihres rechtlosen Status zu entkommen.

Heute leben die Volksgruppen der Roma in unterschiedlichen Gebieten Europas: In Ostereuropa leben mehrheitlich Roma, in Mitteleuropa Sinti, in Spanien Calé und in Frankreich die Manusch; die meisten von ihnen leben heute jedoch in Rumänien. In Österreich leben hauptsächlich die Volksgruppen Burgenland-Roma, Sinti, Lovara, Kalderaš, Gurbet und Arlije. Die Namen deuten hierbei entweder auf die Herkunft oder den Beruf hin. Die Begriffe Roma, Manusch, Sinti und Calé sind Eigenbezeichnungen der Volksgruppen und werden daher als Bezeichnungen für die jeweiligen Gruppen präferiert. Roma (und Sinti) wird hier meistens als Sammelbegriff für die in Europa lebenden Minderheitengruppen indischer Abstammung verwendet. Hingegen ist die Fremdbeschreibung „Zigeuner“ ein abwertender Begriff und sollte auf jeden Fall vermieden werden, da er als entweder abwertend empfunden wird oder abwertend gemeint ist. Das Wort „Zigeuner“ stammt von der Bezeichnung „Athinganoi“ (= Unberührbare), welche im 13. Jahrhundert aufgekommen ist und sich als Fremdbeschreibung für Roma und Sinti in fast allen Sprachen in den Siedlungsgebieten der Menschen durchgesetzt hat.

Von der Bezeichnung „Zigeuner“ leitet sich auch der Begriff „Antiziganismus“ her. Antiziganismus beschreibt den spezifischen Rassismus und die Ablehnungshaltungen gegenüber der Volksgruppe der Roma und Sinti, die hier vor allem als eine homogene Gruppe wahrgenommen werden. Viele der Vorurteile und Stereotype, wie zum Beispiel die Nichtsesshaftigkeit, basieren jedoch auf reellen Gefahren und Diskriminierungen, die die Menschen im Laufe der Geschichte erlebt haben. So auch das Vorurteil, dass „Roma Kinder stehlen“ würden. Dieses Vorurteil entsprang der Assimilierungspolitik unter Maria Theresia, als Roma-Kinder ihren Familien weggenommen und bei österreichischen Bauernfamilien untergebracht wurden. Die Verfolgungen der Vergangenheit sowie die fortwährende Diskriminierung, welche die Roma erleben, hat negative Auswirkungen, die bis heute reichen. Dazu gehören, neben sozialen und wirtschaftlichen Aspekten, auch der Verlust kulturellen Reichtums und Identität der Roma und Sinti.

Der Antiziganismus traf nicht nur Roma und Sinti, sondern auch andere fahrende Minderheiten, wie etwa die mitteleuropäischen Jenischen, die sprachlich und ethnisch nicht mit den Roma und Sinti gleichzusetzen sind, sondern nur sozio-kulturelle Ähnlichkeiten entwickelt hatten, da sie ähnliche Berufe ausübten und ebenfalls als Fahrende diskriminiert wurden.

Der in der Gesellschaft tiefsitzende Antiziganismus traf die Roma und Sinti auch während des Nationalsozialismus in verheerender Art und Weise. 1938 wurde Roma und Sinti das Arbeitsrecht entzogen und es kam bereits im selben Jahr zu Deportationen. Im Zuge des „Auschwitz-Erlasses“ im Jahr 1943 wurden tausende Roma in Konzentrationslager, in welchen es eigene „Zigeunerlager“ gab, deportiert. Viele der Roma überlebten die Konzentrationslager nicht; viele wurden in Gaskammern ermordet oder verstarben an den Folgen der grausamen Bedingungen in den Konzentrationslagern. Von den 11.000 Roma und Sinti, die zuvor in Österreich lebten, überlebten nur etwa 10% den Nationalsozialismus. Das Romani Wort „Porajmos“ beschreibt hierbei den spezifischen Völkermord an Roma und Sinti während des Nationalsozialismus.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde eine Anerkennung dieser Opfergruppe zunächst weitgehend verweigert. Es kam zu keinen Wiedergutmachungen, Roma mussten unter unzumutbaren Wohnbedingungen leben und waren wieder einmal von staatlichen Bildungsmaßnahmen ausgeschlossen. Diese Versäumnisse samt den noch anhaltenden Ressentiments tragen dazu bei, dass bis heute Roma am Arbeitsmarkt diskriminiert werden oder Hindernissen in ihrer schulischen Laufbahn begegnen. Des Weiteren dauerte es bis 1993 bis die „Volksgruppe der Roma“ in Österreich offiziell als Volksgruppe, beziehungsweise Minderheit, anerkannt wurde. Die offizielle Anerkennung dient vor allem auch als ein Signal, dass Roma in Österreich ansässig sind und auch ein Teil Österreichs sind.

Die heute in Österreich lebenden Roma und Sinti sind nur zum Teil Nachfahren der Überlebenden des nationalsozialistischen Genozids. Andere kamen als Arbeitsmigrant_innen oder Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien oder kamen nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens nach Österreich. Diese unterschiedlichen Gruppen haben oft sehr unterschiedliche Positionen in der österreichischen Gesellschaft erlangt. Besonders prekär ist die Situation oft für jene Gruppen, die erst in den letzten Jahren aus extrem prekären Verhältnissen aus Rumänien, Bulgarien oder der Slowakei nach Österreich gekommen sind und sich hier teilweise mit Betteln durchschlagen. Insbesondere gegen diese Gruppe mischt sich klassischer Antiziganismus mit Armutsfeindlichkeit, die allerdings immer auch ein Teil des Antiziganismus war.

Manche der etablierteren Roma und Sinti grenzen sich von diesen Gruppen wiederum sehr bewusst ab, um ihren prekär erreichten minimalen Status in der Gesellschaft nicht dadurch zu gefährden, dass sie mit den bettelnden Gruppen in einen Topf geworfen werden.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Roma und Sinti gehören in Österreich einer Minderheit an, die auch heute von Diskriminierung und Stigmatisierung betroffen ist. Es ist möglich, dass in Ihrer Klasse Kinder sitzen, die jener Minderheit angehören. Da Ressentiments gegenüber Roma stark verbreitet sind, kann es dazu kommen, dass es hier zu Auseinandersetzungen oder zu Mobbing gegenüber Roma-Kindern kommt.

Aufgrund dieser Diskriminierungen verheimlichen manche Roma und Sinti ihre ethnische Identität. Wenn es sich dabei um Roma und Sinti mit Migrationshintergrund handelt, geben sie sich oft als Serb_innen, Albaner_innen, etc. aus, um damit sozialer Diskriminierung zu entgehen.

Außerdem wird der Begriff „Zigeuner_in“ heute noch oft als degradierendes Wort benutzt, um andere Menschen abzuwerten. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die betroffene Person der Volksgruppe der Roma und Sinti angehört oder nicht.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden, oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Versuchen Sie den Konflikt zu thematisieren und damit auch zu rationalisieren. Dies gilt auch, wenn Sie merken, dass Schüler_innen abwertende Begriffe und Bezeichnungen verwenden, um andere Schüler_innen zu beschimpfen.

Schüler_innen sollten keinesfalls gegen ihren Willen ‚geoutet‘ werden oder zu einem ethnischen Bekenntnis gezwungen werden. Ziel muss es hingegen sein, eine Atmosphäre in der Klasse zu unterstützen, in der kein_e Schüler_in Angst haben muss, sich selbst als Roma_Romni zu definieren, wenn dies erwünscht ist.

Zu einem selbstbewussten Umgang mit der eigenen Herkunft kann auch eine Aufwertung der Sprache beitragen. Grundsätzlich ist es in Österreich auch möglich, einen muttersprachlichen Unterricht auf Romanes anzubieten. Von Eltern selbst wird dies allerdings aufgrund des im Allgemeinen niedrigen Status der Sprache kaum eingefordert. Hier könnte die Schule einen wichtigen Beitrag zum wertschätzenden Umgang mit der eigenen Sprache leisten, wenn die Schule von sich aus genauso nach dem Bedarf nach Romanes-Unterricht fragt, wie sie etwa nach Serbokroatisch oder Türkisch fragt.

Außerdem kennen viele der Schüler_innen die Geschichte der Roma und Sinti nicht und verstehen daher nicht, wie gewisse Stereotype entstanden sind. Hier ist es hilfreich, wenn das Thema in der Klasse aufgearbeitet wird. Dazu benötigen Sie selbst aber auch ein entsprechendes Wissen und eine entsprechende Konfliktfähigkeit.

Literaturempfehlung

Wolfgang Benz: Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit: Über das Vorurteil Antiziganismus. Bonn, 2015.

Karola Fings: Roma und Sinti: Geschichte einer Minderheit. München, 2016

Elisabeth Boulter/ Sabine Mandl/ Christoph Wagner: info-blatt: Die Roma in Österreich. Wien, 2004. Abrufbar unter: http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/roma/die-roma-in-oesterreich/ib_roma.pdf

Antiziganistische Symbolik

„Zigeunerbesen“

Diese antiziganistische Symbolik reicht bis ins Mittelalter zurück, als Roma und Sinti nachgesagt wurde, dass sie Verbündete des Teufels seien. Dem Aberglauben nach sollen Hexen demnach Besen zum Fliegen nutzen und sollen sich dabei auf dem Blocksberg mit dem Teufel gepaart haben. Der Besen (mit dem Stiel) nach unten in der Haustür oder im Fenster sollte dabei Roma und Sinti fernhalten. Diese rassistische Praxis ist bis heute noch zu beobachten.

 

Autor_innen: Ronya Alev, Thomas Schmidinger

Somalia

Politischer und historischer Hintergrund:

Somalia ist im Gegensatz zu vielen anderen postkolonialen Staaten des subsaharischen Afrikas vordergründig ethnisch relativ homogen und wird fast ausschließlich von Somalis bewohnt, die sich allerdings in verschiedene Stämme gliedern, die auch politisch relevant sind. Neben den großen Stammesföderationen der Hawiye, der Darod, der Isaaq und der Dir, existiert eine Vielzahl kleinerer Stämme, die auch wie die großen Stammesföderationen wiederum in unterschiedliche Subclans (reer) strukturiert sind.

Die somalische Gesellschaft gehört dem sunnitischen Islam an. Sowohl die Stammesgesellschaft als auch der langjährige Krieg führten zu sehr patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Somalia ist auch eines der Länder, in denen die so genannte „Pharaonische Beschneidung“, also der weitreichendste Eingriff an weiblichen Genitalien, praktiziert wird. Diese Form weiblicher Genitalverstümmelung wird teilweise auch trotz Verbot, bis heute in der Diaspora praktiziert.

Neben Somalia selbst leben auch in den Nachbarstaaten Kenia, Äthiopien und Djibouti große somalische Minderheiten, deren Status mit Äthiopien immer wieder zu historischen Konflikten führte. Die Grenzen, die heute das somalische Siedlungsgebiet durchschneiden, sind, wie fast überall in Afrika, eine Folge der kolonialen Aufteilung der Region. Anders als die meisten Staaten des subsaharischen Afrikas, existierte Somalia allerdings nicht in den späteren nationalstaatlichen Grenzen als einheitliche Kolonie. Vielmehr wurde Somalia aus einer ehemaligen italienischen und einer britischen Kolonie zusammengefügt, als beide Kolonien 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurden.

Der neue Staat betrieb eine Vereinigungspolitik mit den somalischen Minderheiten in den angrenzenden Staaten und schrieb die Vereinigung aller Somali-Gebiete in seiner Verfassung fest, was allerdings, trotz der Unterstützung einer somalischen Guerilla in Äthiopien und der Unabhängigkeit Dschibutis mit einer somalischen Bevölkerungsmehrheit, nicht gelang. Nach einer relativ demokratischen Anfangsperiode putschten sich am 21. Oktober 1969 prosowjetische Militärs unter Siad Barre an die Macht und errichteten eine langjährige „sozialistische“ Diktatur unter sowjetischem Einfluss. Auch Siad Barre verfolgte eine großsomalische Politik und versuchte insbesondere den somalisprachigen Ogaden von Äthiopien abzutrennen. Im Ogadenkrieg 1977–1978 musste sich Somalia jedoch trotz Anfangserfolgen schließlich der überlegenen äthiopischen Armee geschlagen geben.

Im Kalten Krieg unterstützte die Sowjetunion ihren Verbündeten und stellte eine überlebenswichtige ökonomische Stütze dar. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel diese jedoch weg, was zu massiven ökonomischen Problemen führte. Zudem blieb auch die Militärhilfe aus Moskau aus. Guerillabewegungen, wie die in den 1980er-Jahren gegründete Somalische Nationale Bewegung (SNM) oder die Somalische Demokratische Erlösungsfront (SSDF) bekamen damit ihre Chance, die Regierung Siad Barres zu stürzen.

Als die verschiedenen Guerillaarmeen im Jänner 1991 immer näher an die somalische Hauptstadt Mogadischu heranrückten, musste sich Siad Barre schließlich geschlagen geben und am 26. Jänner 1991 seine Hauptstadt verlassen. Anstatt eine neue stabile Regierung zu gründen, begannen sich die rivalisierenden Guerillagruppen jedoch bald gegenseitig zu bekämpfen. Aus dem Krieg gegen den Diktator wurde rasch ein Bürgerkrieg, der bis heute nicht beendet werden konnte.

Mit Somaliland und Puntland konnten sich im Norden Somalias zwar zwei stabile Regionen entwickeln, von denen eine (Somaliland) sich als eigenständiger Staat sieht, die andere als autonome Region innerhalb Somalias. Somaliland verfügt über eine eigene Währung, eine Regierung, ein Parlament und einen internationalen Flughafen. Somaliland ist heute ein relativ stabiler Para-Staat, dem nur die internationale Anerkennung als Staat fehlt. Auch Puntland gilt als relativ stabiles Territorium. Im Süden Somalias dauert allerdings bis heute ein Bürgerkrieg fort, in den sich zwischen 1992–1995 auch die USA mit einer eigenen Truppenpräsenz im Rahmen der UNOSOM/UNITAF-Mission der Vereinten Nationen einmischten. Zwischen 2006 und 2009 versuchte zudem das für viele Somalis verhasste Nachbarland Äthiopien als Besatzungsmacht in Teilen des Landes Ordnung zu schaffen und Angriffe auf den Ogaden durch die „Union islamischer Gerichte“ zu verhindern.

Aus der extremistischen Jugendorganisation dieser „Union islamischer Gerichte“ bildete sich im Kampf gegen die äthiopische Besatzung die Harakat al-Shabaab al-Mujahideen, kurz auch al-Shabaab Miliz genannt, die beträchtliche Teile Südsomalias unter ihre Kontrolle bringen konnte und sich gegen den somalischen Volksislam wandte. Die Bewegung übernahm zunehmend jihadistische Positionen und wurde schließlich Teil der al-Qaida. Heute wird die al-Shabaab Miliz international als Terrororganisation betrachtet.

Der mittlerweile fast 30 Jahre andauernde Krieg hat zu einer Massenflucht von Somalis in die Nachbarländer Kenia, Dschibuti und Äthiopien geführt. Junge Männer haben nie ein friedliches Somalia erlebt. In den letzten Jahren kamen auch vermehrt somalische Flüchtlinge nach Europa, unter anderem auch nach Österreich.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Die Zahl der Flüchtlinge aus Somalia in Österreich wächst zwar in den letzten Jahren, allerdings sind somalische Schulkinder immer noch relativ selten. Manche Kinder haben lange Fluchterfahrungen, einige auch Traumatisierungen hinter sich. Konflikte unter Somalis sind bislang kaum bekannt geworden. Anhänger_innen der al-Shabaab-Milizen sind eine absolute Ausnahmeerscheinung.

Zu achten wäre allenfalls darauf, ob es Anzeichen gibt, dass Schülerinnen beschnitten werden könnten. Dem wäre nicht nur entgegenzuwirken, weil weibliche Genitalverstümmelung in Österreich strikt verboten ist, sondern v. a. weil es sich dabei um einen schwerwiegenden und gesundheitsgefährdenden Eingriff handelt, der sexuelle Erfahrungen ein ganzes Leben lang behindern kann.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Rassismus oder antimuslimischen Ressentiments ist auch durch die Lehrer_innenschaft entgegenzuwirken.

Literaturempfehlungen:

Marc Engelhardt / Bettina Rühl: Somalia. Warlords, Islamisten, Investoren. Frankfurt am Main, 2019

Torben Stich: Somalia zwischen Staatsaufbau und Staatszerfall. Stuttgart, 2015

Walter Feichtinger / Gerald Hainzl (Hg.): Somalia. Optionen – Chancen – Stolpersteine. Wien, 2012

 

Autor: Thomas Schmidinger

Syrien

Politischer und historischer Hintergrund:

Syrien entstand als französisches Protektorat aus der Zerschlagung des Osmanischen Reiches durch die Siegermächte des ersten Weltkrieges. Das Land war von Anfang an von großem ethnischem und religiösem Pluralismus geprägt. Neben der arabischen Mehrheitsbevölkerung leben in Syrien rund 10% Kurd_innen, sowie Armenier_innen, verschiedene aramäischsprachige Gruppen, Tscherkessen, Tschetschenen, Turkmenen und Dome/Domba, die nahöstlichen Roma. Neben einer sunnitischen Mehrheitsbevölkerung leben in Syrien verschiedene Ismailit_innen, Drusen, Alawit_innen, und Zwölferschiit_innen, sowie Angehörige einer Vielzahl verschiedener christlicher Kirchen, Jesid_innen und letzte Reste der einst zahlreichen Jüd_innen.

Syrien blieb bis nach dem zweiten Weltkrieg französisches Mandatsgebiet. Nach der Kapitulation Frankreichs blieb die Mandatsverwaltung gegenüber dem Vichy-Regime loyal, was im Juni 1941 zum Einmarsch britischer Truppen im Bündnis mit Soldaten des Freien Frankreichs führte. General Catroux erklärte Syrien und den Libanon in der Folge für unabhängig, de facto blieb die französische Herrschaft allerdings bis nach dem Krieg bestehen. Erst am 17. April 1946 wurde schließlich wirklich die unabhängige Syrische Republik ausgerufen.

Zunächst bildete Syrien eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem, freien Medien und Gewerkschaften. In der Folge kam es jedoch zu heftigen Machtkämpfen zwischen den alten feudalen Eliten, Kommunist_innen und arabischen Nationalist_innen. Aus Furcht vor einer kommunistischen Machtübernahme entsandten schließlich arabische Nationaliste_innen eine Delegation nach Ägypten, wo die Vereinigung der beiden Staaten beschlossen und am 1. Februar 1958 unter dem Namen „Vereinigte Arabischen Republik“ (VAR) bekanntgegeben wurde.

In diesem gemeinsamen Staat fühlten sich die Syrer_innen allerdings rasch gegenüber den sehr viel zahlreicheren Ägypter_innen benachteiligt und schon im September 1961 setzte ein Putsch syrischer Offiziere nach langen Protesten dem gemeinsamen Staat ein Ende.

In den 1960er-Jahren wurden rund 10% der syrischen Kurd_innen durch eine Sondervolkszählung die Staatsbürgerschaft aberkannt und es wurde versucht, durch einen „Arabischen Gürtel“ die Grenzregionen zu Syrien und der Türkei zu arabisieren.

Wie auch im Irak erlangte die arabisch-nationalistische Baath-Partei erstmals durch einen Putsch 1963 die Macht. Damit waren die Richtungskämpfe in der syrischen Regierung allerdings nicht zu Ende. In der Folge kam es zu Konflikten zwischen Rechts- und Linksbaathisten, die mit Putschen und Putschversuchen innerhalb der Baath-Partei einhergingen. Diese Konflikte endeten erst als sich Hafiz al-Assad 1970 an die Macht putschte und die so genannte „Korrekturrevolution“ einleitete. Assad, der gewissermaßen einen pragmatischen Flügel der Baath-Partei repräsentierte, gelang es politische Rival_innen, wie die Kommunistische Partei, mit Druck zur Kooperation zu bringen und in das autoritäre System des baathistischen Syriens zu integrieren. Er stabilisierte die Herrschaft der Baath-Partei und machte beim Aufstand der Muslimbrüder 1982 in Hama klar, dass er bereit ist auch äußerste Mittel der Gewalt anzuwenden, wenn seine Kooperationsangebote nicht angenommen würden.

In den 1980er-Jahren unterstützte Assad die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen die Türkei, während er die eigene kurdische Bevölkerung unterdrückte. Auch andere Minderheitensprachen konnten in Syrien nie Amts- oder Bildungssprache werden. Das arabisch-nationalistische Regime ließ ausschließlich Arabisch als Unterrichts- und Amtssprache zu. 1998 wurde PKK-Führer Abdullah Öcalan schließlich ausgewiesen, um die Türkei politisch zufrieden zu stellen.

Trotz der Repression gegen ethnische Minderheiten inszenierte sich das Baath-Regime immer als Beschützer der religiösen Minderheiten. Als säkulares Regime unterdrückte es verschiedene Formen des politischen Islams und besetzte die wichtigsten Positionen im Sicherheitsapparat, in Armee und Geheimdiensten mit Alawit_innen, also Angehörigen jener religiösen Minderheit, der auch die Familie Assad angehört. Auch Christ_innen und Drus_innen waren überproportional in Verwaltung und Wirtschaft vertreten.

Nach dem Tod von Hafiz al-Assad am 10. Juni 2000 wurde dessen Sohn Bashar al-Assad zu seinem Nachfolger ernannt. Bashar al-Assad galt zunächst als Reformer, ließ politische Gefangene frei, ermöglichte einen öffentlichen Diskurs über die Zukunft Syriens und legalisierte das Internet. Allerdings war diese Periode des „Damaszener Frühlings“ bald beendet. Am Ende hatte Syrien noch mehr politische Gefangene als zuvor. Auch die 2003 in Syrien gegründete Schwesterpartei der PKK hatte nun unter Repressionen zu leiden, nachdem sich diese nun nicht mehr nur auf die Türkei konzentrierte, sondern auch politische Forderungen für die Kurd_innen in Syrien stellte.

Unter Bashar al-Assad verschärften sich auch die sozialen Verhältnisse in Syrien. Einerseits konnten einige Unternehmerfamilien, wie die mit der Herrscherfamilie eng verwandte Makhlouf-Familie, immensen Reichtum anhäufen, andererseits kam es zum sozialen Abstieg unterer Schichten. Insbesondere die aufgrund von zunehmender Wasserknappheit vom Land in die Städte strömenden ehemaligen Bäuer_innen bildeten ein wachsendes Subproletariat in den Vorstädten.

Die daraus resultierende soziale Unzufriedenheit bildete zusammen mit dem Unmut über Korruption und Autoritarismus die Basis für die Proteste, die sich im Frühling 2011 zunächst gegen polizeiliche Willkür, bereits bald jedoch gegen das gesamte Regime richteten. Die massive Repression gegen die Proteste führte nur zum Anwachsen derselben. Als schließlich die Armee immer intensiver gegen Demonstrant_innen eingesetzt wurde, desertierten immer mehr syrische Wehrpflichtige. Als Präsident Assad schließlich einen Schießbefehl gegen diese Deserteure erließ, begannen immer mehr Deserteure mit ihren Waffen zu fliehen und sich gegen ihre ehemaligen Kameraden zu verteidigen. Aus diesen versprengten bewaffneten Deserteuren entstanden bewaffnete Widerstandsgruppen, die sich bald unter dem Label „Freie Syrische Armee“ (FSA) zusammenfanden, allerdings nie wirklich eine Armee mit einem zentralen Kommando darstellten. Vielmehr handelte es sich um ein Sammelsurium verschiedener Einheiten mit unterschiedlichen Loyalitäten und Ideologien, die ab dem Sommer 2011 auch zunehmend von Nachbarstaaten wie der Türkei, Saudi-Arabien oder Qatar unterstützt wurden.

Damit militarisierte sich nicht nur die Revolution, sondern fragmentierte sich auch die ohnehin schon aus verschiedenen Gruppen bestehende FSA weiter. Neben der FSA entstanden jihadistische Gruppen, wie die Jabhat al-Nusra oder die Ahrar ash-Sham. 2013 spaltete sich die alte FSA in säkulare und islamistische Teile. Aus Teilen der Jabhat al-Nusra entstand ab 2013 gemeinsam mit irakischen Jihadist_innen der so genannte „Islamische Staat“ (IS).

Im Norden Syriens konnten schon im Sommer 2012 kurdische Einheiten, die der PKK nahestanden, die kurdischen Kerngebiete übernehmen. Nachdem der IS im Herbst 2014 die kurdische Stadt Kobanê überfallen hatte, kam es zu einem viereinhalb Jahre dauernden Krieg zwischen den kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ auf der einen und dem IS auf der anderen Seite, der im Frühling 2019 mit der Niederlage des IS endete. Wichtigster militärischer Unterstützer im Kampf gegen den IS wurde dabei die US-Armee, die mit den Kurd_innen ein taktisches Bündnis zur Bekämpfung der Jihadist_innen einging, sich aber als äußerst unzuverlässiger Bündnispartner erweisen sollte.

Die von der YPG und YPJ gegründeten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kontrollierten Anfang 2019 fast ein Viertel des syrischen Territoriums, darunter mehr arabische als kurdische Gebiete. Arabische und christliche Einheiten arbeiten dabei im Rahmen der SDF mit den kurdischen Einheiten zusammen.

Die Reste der alten FSA verloren im Süden schließlich 2018 ihre letzten Gebiete. Zugleich begann die Türkei im Norden kurdische Gebiete einzunehmen und besetzte im März 2018 die kurdische Region Afrin. Große Teile der kurdischen Bevölkerung wurden von den Besatzern vertrieben. Stattdessen wurden arabische und turkmenische Syrer_innen aus anderen Teilen Syriens dort angesiedelt. Im Oktober 2019 griff die Türkei schließlich auch noch das verbliebene kurdische Autonomiegebiet Nord- und Ostsyriens an, nachdem US-Präsident Trump den Rückzug seiner Truppen erklärt hatte. Die SDF sahen sich in der Folge gezwungen mit Russland und dem syrischen Regime zu kooperieren, um zumindest Teile ihrer Selbstverwaltung retten zu können. Aus den 2019 von der Türkei eroberten Gebieten floh ebenfalls die kurdische und die christliche Bevölkerung, die seither als Vertriebene in anderen Teilen der Selbstverwaltung in Zelten lebt.

Ende 2019 ist Syrien in vier Territorien gespalten. Der Großteil des Landes wird von der syrischen Regierung und von regierungstreuen Milizen kontrolliert. Die Provinz Idlib wird überwiegend von den Jihadist_innen der Hayat Tahrir ash-Sham – der ehemaligen Jabhat al-Nusra – kontrolliert. Afrin und die gemischtsprachige Region um Azaz und Jarablus wird ebenso von der türkischen Armee und protürkischen Milizen besetzt sowie ein etwa 120 km langer und 30km breiter Streifen zwischen Serê Kaniyê und Tal Abyad im Nordosten. Der Rest Nordost-Syriens unterliegt weiter der kurdisch dominierten Selbstverwaltung, allerdings sind seit November 2019 in einigen Gebieten auch syrische und russische Einheiten aktiv.

Der syrische Bürgerkrieg hat zu einer der größten humanitären Katastrophen in der Region geführt. Nach acht Jahren Bürgerkrieg ist jede_r zweite Syrer_in entweder Flüchtling oder innerhalb Syriens vertrieben. Insgesamt haben über sechs Millionen Syrer_innen ihr Land verlassen. Etwa weitere fünf Millionen Syrer_innen wurden innerhalb des Landes vertrieben.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Viele syrische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, sind aufgrund der Kriegsereignisse traumatisiert. Teilweise existieren allerdings auch politische Konflikte zwischen Anhänger_innen des Regimes, der verschiedenen Oppositionsgruppen und der verschiedenen kurdischen Parteien. Da sich viele arabische Oppositionsgruppen hinter den türkischen Einmarsch in Afrin und Nordostsyrien gestellt haben und Teile der Opposition von der Türkei unterstützt werden, kommt es auch in der Diaspora immer wieder zu Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Syrer_innen aber auch zwischen türkischen und syrisch-kurdischen Diaspora-Gruppen in Europa. Dies kann sich, je nach Zusammensetzung, auch in einer Schule beziehungsweise Klasse widerspiegeln.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Sollte es zwischen syrischen und türkischen oder verschiedenen syrischen Kindern zu Konflikten kommen, die möglicherweise mit den Konflikten in Syrien zu tun haben, macht es Sinn, genau nachzufragen und mit den Kindern dahingehend zu arbeiten, dass diese den anderen als Person wahrzunehmen lernen und nicht nur als Vertreter_in einer ethnischen oder religiösen Gruppe.

Wichtig ist es bei Konflikten auch, zu erkennen, ob es sich um Mobbing handelt oder ob Traumata durch andere Erlebnisse getriggert wurden. Dies betrifft insbesondere auch Angehörige von Gruppen, die durch Massaker besonders traumatisiert sind und diese möglicherweise konfessionell interpretieren. Auch dieses individuelle Erleben von Traumatisierten ist unbedingt ernst zu nehmen, benötigt aber eine andere Reaktion als bei Mobbing. In solchen Fällen wäre unbedingt professionelle Hilfe für die Traumatisierten, etwa durch eine Psychotherapie, ratsam. Die Schulpsychologie bietet hierbei Beratung und Unterstützung an.

Literaturempfehlungen:

Daniel Gerlach: Herrschaft über Syrien. Macht und Manipulation unter Assad. Hamburg, 2015

Gerhard Schweizer: Syrien verstehen. Stuttgart, 2018

Thomas Schmidinger: Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava. Wien, 2017

 

Autor: Thomas Schmidinger

Tschetschenien

Politischer und historischer Hintergrund:

Tschetschenien ist eine Teilrepublik Russlands im Nordkaukasus, die in etwa die Größe Niederösterreichs und weniger als eine Million Einwohner_innen hat. Die Tschetschen_innen bildeten nie einen eigenen Staat, lebten allerdings vor der russischen Kolonialisierung in weitgehend unabhängigen Stammesgesellschaften, die sich erst im Abwehrkampf gegen Russland zu einer gemeinsamen politischen Kraft zusammenschlossen.

Tschetschenische Gesellschaft

Anders als die weiter westlich lebenden Tscherkess_innen und Osset_innen bildete sich bei den Tschetschenen keine stratifizierte Gesellschaft heraus. Es gab bei den Tschetschen_innen nie eine Adelsschicht, Fürsten oder eine Feudalgesellschaft. Vielmehr sahen sich die männlichen Mitglieder eines Stammes (Teip) als gleichberechtigte Stammesmitglieder, deren Stämme sich wiederum zu größeren Föderationen (Tukhum) zusammenschlossen. Bis heute weiß jede_r Tschetschen_in zu welchem Teip er_sie gehört. Frauen spielten durchaus auch eine wichtige gesellschaftliche Rolle, allerdings in einer patriarchalen Stammesgesellschaft keineswegs eine gleichberechtigte.

Die tschetschenische Bevölkerung hat bis heute viele tribale Traditionen bewahrt, die weit vor ihre späte Islamisierung im 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, die aber auch durch die Kriege der letzten 200 Jahre überlagert wurden. Der tschetschenische Islam blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein durch vorislamische Traditionen beeinflusst und wird von Sufi-Bruderschaften dominiert. Tschetschenien ist eine der wenigen Regionen weltweit in denen es neben männlichen Sufi-Bruderschaften auch weibliche Sufi-Gemeinschaften gibt, die wie die Männer eigene Rituale (Dhikr) durchführen.

Russischer Kolonialismus und Widerstand

Im 18. Jahrhundert begann die schrittweise Kolonialisierung des Kaukasus durch Russland. Wie bei den Tscherkess_innen weiter im Westen wurden auch in Dagestan und Tschetschenien erste russische Militärstützpunkte errichtet, die allerdings auch auf Widerstand stießen. Bereits 1707 wurde der erste russische Stützpunkt in Tarki von tschetschenischen Kämpfern verwüstet. 1785 schlossen sich unter Mansur Uschuma mehrere Bergstämme des Nordkaukasus zum „Jihad“ gegen die Russen zusammen und schufen erstmals eine gemeinsame militärische Organisation gegen das russische Vordringen. Nachdem Georgien 1801 zur Provinz des Russischen Reiches wurde, waren die tschetschenischen Siedlungsgebiete von Russland umzingelt. In der Folge gelang es Russland bis 1910 durch Feldzüge und Verhandlungen die Eingliederung großer Teile der Vorgebirge des Kaukasus und Dagestans in das Russische Reich durchzusetzen. 1816 führte ein russischer Feldzug ins kaukasische Bergland und versuchte die dortigen Stämme zu unterwerfen, 1829 folgte ein weiterer. Die bereits im 18. Jahrhundert entstandene Muridenbewegung erlebte unter Imam Schamil einen neuen Aufschwung, der große Teile der muslimischen nordkaukasischen Stämme gegen Russland vereinte.

Gegen dieses politische Gemeinwesen unter Imam Schamil begann 1839 Russland seinen ersten Feldzug. Erst 1859 gelang es aber schließlich Tschetschenien zu erobern und am 6. September Imam Schamil festzunehmen. In der Folge flüchteten Teile der kaukasischen Bevölkerung in das Osmanische Reich und wurden in der heutigen Türkei, Syrien, Jordanien und Israel angesiedelt, wo es heute noch kaukasische Minderheiten gibt.

Als im Zuge der Februarrevolution 1917 sich durch die politische Instabilität Russlands eine neue Chance auf Autonomie ergab, versuchten sich die Tschetschen_innen wieder für ihre eigene Unabhängigkeit zu organisieren. Im Oktober 1917 riefen sie schließlich gemeinsam mit anderen Gruppen des Nordkaukasus die „Union der kaukasischen Bergvölker“ als unabhängigen Staat aus.

Tschetschenien in der Sowjetunion

Im Russischen Bürgerkrieg zwischen „Weißen“ und „Roten“ standen die Tschetschen_innen auf der Seite der Roten; allerdings weniger aus politischer Überzeugung als aufgrund der Tatsache, dass ihre Erzrivalen, die vom Zarenreich in der Steppe am Fuße des Kaukasus angesiedelten Kosaken, auf der Seite der Weißen standen. Nach dem Sieg der Roten wurde Tschetschenien 1921 Teil der neu gegründeten Gorskaja ASSR (Berg-ASSR) und 1922 zum autonomen Gebiet innerhalb der Gorskaja ASSR. Zunächst entstand hier eine Koexistenz zwischen islamischem Recht und Sowjetmacht. Die Sowjetunion ging in Tschetschenien vorsichtiger vor und akzeptierte vorerst den Fortbestand islamischer Schulen und das patriarchale Gewohnheitsrecht. Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde von den meisten Tschetschen_innen abgelehnt. Das kaukasische Bergland wurde erneut von Kämpfen zwischen tschetschenischen Kämpfern und russischen – diesmal sowjetischen – Truppen heimgesucht.

1934 wurde Tschetschenien mit Inguschetien zum Tschetschenisch-Inguschetischen Autonomen Gebiet zusammengefasst aus dem 1936 die Tschetschenisch-Inguschetischen Autonome Sowjetrepublik wird. Dieser Schritt zu mehr Autonomie wurde allerdings durch die politische Entwicklung unter Stalin konterkariert. Wie in der gesamten Sowjetunion kam es auch in Tschetschenien von 1936 bis 1938 zu Massenverhaftungen und einer Hinrichtungswelle innerhalb und außerhalb der Kommunistischen Partei. Stalin ließ dabei insbesondere alte Bolschewiken hinrichten, die seiner Machtentfaltung im Wege stehen könnten. In diesem Zusammenhang wurden die gesamten Führungseliten der Autonomen Republik der Tschetschenen und Inguscheten ausgewechselt. Damit fehlten auch jene Eliten, die zwischen konservativer Bergbevölkerung und sowjetischen Behörden vermitteln hätten können, was 1939 zu einem erneuten bewaffneten Aufstand gegen die Sowjetunion führte.

1940 rief Islamist Israilow zum Kampf gegen die Sowjetunion auf und proklamierte eine Provisorische Regierung der Tschetschenen und Inguschen, was durch Kontakte mit Nazi-Deutschland und das Vordringen des Deutschen Reiches in Richtung Kaukasus zunehmend zum Problem für die Sowjetunion wurde.

Im Sommer 1942 gelang es dem Deutschen Amt Ausland / Abwehr II mit dem Unternehmen Schamil 1 und Schamil 2 durch den deutschen Geheimdienst mehrere Gruppierungen tschetschenischer Nationalisten zu einer gemeinsamen Front zusammenzufassen, die zeitweise eine ganze Division der Roten Armee in Tschetschenien binden könne. Auf der anderen Seite kämpften jedoch immer mehr Tschetschen_innen in der Roten Armee gegen das Deutsche Reich als gegen die Sowjetunion.

Trotzdem benutzte Stalin die Kollaboration eines Teils der Tschetschen_innen mit Nazideutschland um am 23. Februar 1944 die gesamte Bevölkerung der Tschetschen_innen und Indusch_innen ohne Vorwarnung vollständig nach Zentralasien zu deportieren. Fast ein Viertel der tschetschenischen Bevölkerung kam während der Deportation und in Kasachstan, dem Ziel der meisten Deportationszüge, ums Leben. Zehntausende weitere starben in den ersten Monaten durch die schlechte Infrastruktur und die Winterkälte vor Ort. Die Tschetschenisch- Inguschetische Autonome Sowjetrepublik wurde aufgelöst.

Erst nach dem Tod Stalins 1957 wurden die Anschuldigungen an die nordkaukasischen Bevölkerungsgruppen, mit den „deutschen Faschisten“ kollaboriert zu haben, zurückgenommen. Den Überlebenden wurde die Rückkehr in den Kaukasus gestattet, die Tschetschenisch-Inguschische Autonome Sowjetrepublik wiedererrichtet. Im kollektiven Gedächtnis der Tschetschen_innen und Ingusch_innen bleibt die Deportation vom Februar 1944 aber als Genozid erhalten. Der 23. Februar wird weltweit von Nachkommen als Gedenktag begangen.

Tschetschenien und der Zerfall der Sowjetunion

Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion sahen auch viele Tschetschen_innen eine Chance auf Unabhängigkeit oder zumindest mehr Autonomie. Bereits am 20. Juni 1991 riefen Inguschen eine eigenständige Teilrepublik Inguschetien innerhalb der Russischen Föderation aus, was sowohl von Moskau als auch von Grozny anerkannt wurde. Damit existierte auf der anderen Seite eine Teilrepublik Tschetschenien. Wenige Monate später sollten sich jedoch die Ereignisse in Moskau und in Tschetschenien überschlagen.

Als es im August 1991 zu einem Putschversuch restaurativer Kommunist_innen gegen Mickail Gorbatschow kam, ist die KP-Führung Tschetscheniens eine der wenigen Republiksführungen, die die Putschisten unterstützte. Mit ausdrücklicher Billigung Boris Jelzins, damals noch Präsident der Russischen Föderativen Republik innerhalb der Sowjetunion, stürzten daraufhin nationalistische tschetschenischen Militärs unter General Dshochar Dudajew die kommunistische Republiksführung. Dudajew hatte sich als sowjetischer General einen Namen gemacht und hatte keinerlei Sympathien mit islamistischen Strömungen. Nicht einmal als Nationalist hatte sich der bis kurz vorher im Baltikum stationierte Militär bis dahin einen Namen gemacht. Nun ergriff er jedoch die Gelegenheit und erklärte im Oktober 1991 nach einer teilweise manipulierten Wahl Tschetscheniens Unabhängigkeit. Obwohl von Russland nicht anerkannt, wurde das Land damit de facto autonom von Dudajew regiert.

Das Land hatte jedoch, nachdem im Mai 1992 die russische Regierung eine Wirtschaftsblockade über Tschetschenien verhängte, mit großen ökonomischen Problemen zu kämpfen, die zu einer Schmugglerökonomie führten, die kaum noch politisch kontrolliert werden konnte. Im Frühling 1993 führte ein Machtkampf zwischen Parlament und Präsident Dudajew zu täglichen Demonstrationen gegen die Regierung Dudajew, der am 17. April 1993 das Parlament auflöste und den Ausnahmezustand verhängte. Während Dudajew mit Hilfe der Nationalgarde weiterhin über Grozny und Umgebung herrschte, wurde das Land teilweise von rivalisierenden Oppositionsgruppen kontrolliert. Diese Fragmentierung Tschetscheniens und die Vielzahl an Bewaffneten unterschiedlichster Orientierung führte im Juni zu Kämpfen zwischen Regierung und Opposition in Grozny, was nun auch zunehmend von Russland genutzt wurde, um wieder in Tschetschenien Fuß zu fassen.

Erster Tschetschenienkrieg

Im November 1994 unterstützte Russland tschetschenische Oppositionelle beim Sturm auf die tschetschenische Hauptstadt Grozny. Der Versuch scheiterte zunächst. Im Dezember 1994 marschierten schließlich jedoch russische Truppen ein, womit der erste Tschetschenienkrieg begann, bei dem fast 100.000 Menschen, darunter auch tausende Zivilist_innen, ihr Leben verloren. Im April 1996 wurde Dudajew von einer russischen Rakete getötet. Jelzin setzte Selimchan Jandarbijew als tschetschenischen Präsidenten ein. Allerdings gelang es Russland nur kurzfristig Grozny einzunehmen und der Feldzug entwickelte sich zunehmend zu einem Desaster für Russland. Im August 1996 erobern tschetschenische Nationalisten Grozny zurück. Der um seine Wiederwahl fürchtende Jelzin beauftragte schließlich seinen Sicherheitsberater Alexander Lebed in Khassawjurt einen Waffenstillstand mit dem tschetschenischen Stabschef Aslan Maschadow zu unterzeichnen. Im November folgte der Rückzug der russischen Truppen und im Jänner 1997 gewann der tschetschenische Nationalist Aslan Maschadow die Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien.

Im Mai 1997 unterschrieben Maschadow und Jelzin im Kreml einen Friedensvertrag, der Tschetschenien innere Autonomie zusicherte, die Entscheidung über die formale Unabhängigkeit jedoch um fünf Jahre verschob.

Autonomie

In Tschetschenien selbst gelang es Maschadow allerdings nicht eine stabile Staatlichkeit aufzubauen. Ökonomisch und politisch isoliert, gewannen islamistische Kräfte und kriminelle Netzwerke immer mehr an Boden. Das Land wurde zunehmend abhängig von arabischen Golfstaaten, die neben Hilfslieferungen auch ihre Form eines wahhabitisch geprägten Islam in die Region exportierten. Nachdem Tschetschenien zunehmend von kriminellen Banden, internationalen islamistischen Freiwilligen und Warlords kontrolliert wurde und der Regierung das Land zu entgleiten drohte, verhängt Maschadow im Juni 1998 schließlich den Ausnahmezustand. Im Jänner 1999 gab ein zunehmend machtlos werdender Maschadow schließlich dem Drängen tschetschenischer Islamist_innen und ihrer ausländischen Verbündeten nach und erklärte, dass in Tschetschenien innerhalb von drei Jahren die Sharia eingeführt werden solle.

Bereits im Juli 1999 beschloss der russische Sicherheitsrat den Einmarsch in den Norden Tschetscheniens. Die Niederlage der großen russischen Armee gegen das kleine Tschetschenien blieb eine offene Wunde, die auszumerzen der im August 1999 zum neuen Ministerpräsidenten ernannte ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin zum wichtigsten Ziel seiner Amtszeit erklärte.

Zwei Tage vor Putins Amtsantritt hatten am 7. August 1999 unter der Führung des tschetschenischen Islamisten Schamil Bassajew hunderte Kämpfer damit begonnen, einige Bergdörfer in der Nachbarrepublik Dagestan zu besetzen.

Zweiter Tschetschenienkrieg

Die russische Luftwaffe begann daraufhin mit der Bombardierung tschetschenischen Territoriums. Nachdem im September schließlich mehr als 300 Russ_innen bei bis heute noch nicht geklärten Bombenanschlägen starben, begann am 2. Oktober 1999 mit dem Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien der zweite Tschetschenienkrieg. Über 200.000 Tschetschen_innen flüchteten nach Inguschetien, Tausende weiter nach Westeuropa oder in die Türkei. Über 20.000 Tschetschen_innen sollten in den folgenden Jahren auch in Österreich als Flüchtlinge landen.

Bereits im Februar 2000 ist die tschetschenische Hauptstadt Grozny fast vollständig zerstört und in russischer Hand. Der Sieg über Tschetschenien und damit die Revision der russischen Niederlage im 1. Tschetschenienkrieg ebnete schließlich im März 2000 den Weg zum Wahlsieg Wladimir Putins als neuer Russischer Präsident.

Im südlichen Bergland wurde zwar weitergekämpft, im Juni 2000 erklärte Putin jedoch den früheren Mufti Achmed Kadyrow zum Chef einer tschetschenischen Übergansverwaltung, die später per Erlass zur neuen Regierung aufgewertet wurde. Russische Generäle erklärten den Krieg für beendet. Auch wenn bereits im Sommer 2000 keine Territorien mehr von den tschetschenischen Widerstandseinheiten kontrolliert wurden, so setzten diese als Guerillagruppen in den Bergen den bewaffneten Widerstand gegen Russland fort. Immer mehr Anschläge wurden dabei ausgeführt.

Kadyrow und der Untergrund

Am 9. Mai 2004 wurde der von Moskau eingesetzte tschetschenische Präsident Achmed Kadyrow bei einem Bombenanschlag getötet. Putin ernannte daraufhin den tschetschenischen Regierungschef Sergej Abramow zum provisorischen Präsidenten. Kadyrows Sohn Ramzan Kadyrow wurde zum neuen starken Mann und 2007 schließlich auch formal zum Präsidenten Tschetscheniens

Maschadow versuchte im Untergrund weiterhin seine Regierung aufrecht zu erhalten, wurde jedoch im März 2005 von einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB getötet. Sein Nachfolger als „Präsident“ der Separatist_innen wurde der stärker islamistisch ausgerichtete Abdul-Khalim Sadulajew. Richtungskämpfe zwischen säkularen Nationalist_innen um Achmed Sakajew und Islamist_innen um Mowladi Udugow führten ab 2006 innerhalb der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung im Untergrund zu zunehmenden Spannungen. Abdul-Khalim Sadulajew entlässt in der Folge vier Minister der im Untergrund agierenden Separatistenregierung, darunter Vizepremierminister Sakajew. Im Juni 2006 wird jedoch Sadulajew selbst getötet und der noch radikalere Islamist Doku Umarow zu seinem Nachfolger ernannt.

Dieser rief im Oktober 2007 das Kaukasische Emirat aus und erklärte damit zugleich die Auflösung der tschetschenischen Republik Itschkeria. Damit kommt es im anti-russischen Untergrund endgültig zur Spaltung zwischen Islamist_innen (Kaukasus Emirat) und Nationalist_innen, die unter Sakajew weiter an der Fiktion einer Republik Itschkeria festhielten.

In den folgenden Jahren festigte Ramzan Kadyrow seine Macht in Tschetschenien und baute einen pro-russischen de facto aber weitgehend autonomen Herrschaftsapparat auf, der politische Gegner brutal verfolgte und der auch innerhalb Russlands immer wieder zur Beseitigung von Kreml-Kritiker_innen, wie etwa der kritischen Journalistin Anna Politkovskaja, eingesetzt wurde.

Parallel zum Machtausbau des Systems Kadyrow wurde der Spielraum für unabhängige NGOs und Oppositionelle in Tschetschenien immer kleiner. Zugleich pumpte Russland viel Geld in die Teilrepublik und finanzierte großzügig den Wiederaufbau. Kadyrow steckte viel davon in große Prestigeprojekte in der Hauptstadt Grozny, die innerhalb weniger Jahre nicht mehr wiederzuerkennen war. Der bewaffnete Untergrund des Kaukasus Emirats wurde zunehmend in die Nachbarrepubliken nach Dagestan und Inguschetien abgedrängt, die Nationalist_innen waren fast nur noch im Exil präsent.

In einer Phase der Schwäche und Marginalisierung schlossen sich im Sommer und Herbst 2014 schließlich die Mehrheit der Feldkommandanten des Kaukasus Emirats dem so genannten „Islamischen Staat“ an, bei dem sich schon in den Jahren zuvor immer mehr Tschetschen_innen aus Europa eingefunden haben und ganze tschetschenische Brigaden im syrischen Bürgerkrieg aktiv wurden.

Diaspora in Österreich

In der Diaspora in Österreich hat dies eine weitere Spaltung der tschetschenischen Community zur Folge. Von den Grausamkeiten des „Islamischen Staates“ abgeschreckt, wenden sich viele ehemalige Anhänger des Kaukasus Emirats ab und ziehen sich vielfach ganz aus der Politik zurück. Neben Anhänger_innen des Emirats, der säkularen Nationalist_innen und des Kadyrow-Regimes, gibt es aber auch in Österreich vor allem unter jungen Tschetschen_innen durchaus auch Anhänger_innen des IS-Jihadismus.

Die tschetschenischen Communities sind allerdings nicht nur deshalb teilweise von gegenseitigem Misstrauen geprägt, sondern auch deshalb, weil Geheimdienstnetzwerke aus Tschetschenien auch in Österreich aktiv sind und zumindest in einem Fall, dem 2009 in Wien ermordeten Umar Israilov, bereits in Österreich Mordbefehle aus Tschetschenien ausgeführt haben.

Mögliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft:

Viele tschetschenische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, sind aufgrund der Kriegsereignisse traumatisiert. In vielen tschetschenischen Familien existiert kein Vater oder sind diese so nachhaltig von den Kriegsereignissen traumatisiert, dass die Kinder oft ohne männliche Vorbildfigur aufwachsen, was insbesondere für junge Burschen schwerwiegende Folgen haben kann. Dazu kommt noch die Stigmatisierung von Tschetschen_innen in der österreichischen Gesellschaft, die teilweise dazu führt, dass tschetschenische Jugendliche sich in Gruppen zurückgezogen haben und sich ohnehin für chancenlos halten.

Teilweise existieren allerdings auch politische Konflikte zwischen Angehörigen verschiedener politischer Strömungen. Tschetschenische Jugendliche sind, insbesondere in der Hochphase des IS, aber auch mit kurdischen Jugendlichen in Auseinandersetzungen geraten. All dies kann sich, je nach Zusammensetzung, auch in einer Schule bzw. Klasse widerspiegeln.

Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten in der Klasse:

Bleiben Sie generell aufmerksam, wenn es um Konflikte in der Klasse geht und machen Sie auch durch Ihr eigenes Verhalten klar, dass Diskriminierung und Mobbing in der Schule keinen Raum erhalten und die Missachtung der Kinderrechte in patriarchalen Familien eine Kindeswohlgefährdung darstellen kann. Handeln Sie, wenn Konflikte ethnisiert oder konfessionalisiert werden, Schüler_innen diskriminiert werden, oder wenn sich Konflikte in Richtung Mobbing entwickeln. Sollte es zwischen tschetschenischen und kurdischen oder verschiedenen tschetschenischen Kindern zu Konflikten kommen, die möglicherweise mit den Konflikten in der Region zu tun haben, macht es Sinn, genau nachzufragen und mit den Kindern dahingehend zu arbeiten, dass diese den anderen als Person wahrzunehmen lernen und nicht nur als Vertreter_in einer ethnischen oder religiösen Gruppe. Vermeiden Sie auf jeden Fall Stigmatisierungen und vorschnelle Verdächtigungen, wenn Sie den Eindruck haben, dass sich Jugendliche in Richtung extremistischer Ideologien entwickeln könnten. Suchen Sie in diesem Falle professionelle Unterstützung. Mehr Infos dazu finden Sie unter der Kurzinformation „Extremismus“.

Literaturempfehlungen:

Herwig Schinnerl / Thomas Schmidinger: Dem Krieg entkommen? Tschetschenien und TschetschenInnen in Österreich. Wiener Neustadt, 2012

Anna Politkovskaja: Tschetschenien. Die Wahrheit über den Krieg. Köln, 2003

Jeronim Perović: Der Nordkaukasus unter Russischer Herrschaft. Geschichte einer Vielvölkerregion zwischen Rebellion und Anpassung. Köln/Weimar/Wien, 2015

Autor: Thomas Schmidinger

Methoden

Fish-Bowl (Diskussionsmethode)

Fish-Bowl ist eine Diskussionsmethode für größere Gruppen. Die Methode ermöglicht es, dass alle gehört werden können und fördert ein konstruktives Diskussionsklima. Dabei formen die Schüler_innen einen großen Kreis und in der Mitte befindet sich das „Podium“ mit mindestens drei Plätzen, wobei ein Platz frei bleibt. Schüler_innen, die zur Diskussion beitragen möchten können nacheinander in die Mitte treten, den freien Platz einnehmen und ihren Standpunkt äußern. Wichtig ist, dass immer, wenn jemand den freien Platz einnimmt, ein anderer Platz frei werden muss. Es dürfen nur diejenigen sprechen, die in der Mitte stehen. Eine Person übernimmt die Moderation und die Zusammenfassung der Diskussion am Ende der Übung. Je nach Thema, können Schüler_innen vorab das Thema recherchieren oder ohne Vorbereitung in die Diskussion eintreten. Diese Methode eignet sich vor allem für Diskussionen, welche heikle Themen, die zu Emotionen und Polarisierung führen können, ansprechen.

Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier: Fish Bowl

Forumtheater/Theater der Unterdrückten

Das Theater der Unterdrückten (TdU) ist eine interaktive Form des Theaters, das vom Brasilianer Augusto Boal entwickelt wurde. Die Grundidee ist, „die Menschheit menschlicher zu machen“ indem sowohl die Theaterschaffenden als auch das Publikum gemeinsam ein Problem oder einen Konflikt durchspielen. Ziel ist es, gemeinsam eine Lösung zu einem bestimmten Problem zu finden. Hierbei verschwimmen die Rollen der Schauspieler_innen und der Zuseher_innen. Nach dem Darstellen eines Problems auf der Bühne, dürfen die Zuseher_innen einschreiten und den Darsteller_innen helfen, den Konflikt zu lösen. Durch Interaktion und Improvisation können unterschiedliche Strategien durchgespielt werden. Dies bietet die Möglichkeit der Entwicklung einer gemeinsamen effektiven Strategie, um Konfliktpotentiale aufzulösen. Das TdU weist eine äußerst geringe Hemmschwelle auf, da es weder professioneller Schauspieler_innen oder eines Skripts bedarf. Aus diesem Grund kann das TdU in der Klassengemeinschaft als Methode zur Auflösung unterschiedlicher sozialer Konflikte herangezogen werden. Im Anschluss folgt eine pädagogische Nachbetreuung der Darstellung.

Weitere Informationen zum Theater der Unterdrückte finden Sie hier: Forumtheater

Kugellager (Diskussionsmethode)

Wie Fish-Bowl und World-Café handelt es sich auch beim Kugellager um eine Diskussionsmethode in Großgruppen. Dabei bilden die Schüler_innen zwei konzentrische Kreise: einen Innen- und einen Außenkreis. In beiden Kreisen müssen gleich viele Schüler_innen sitzen, so dass sich immer zwei Personen gegenübersitzen oder stehen. Die Teilnehmer_innen des Innenkreises blicken nach außen, so dass sich immer zwei Diskussionsteilnehmer_innen gegenüberstehen. Der oder die Lehrende formuliert nun eine Frage, die zwischen den sich gegenüberstehenden Studierenden diskutiert wird. Nach einer bestimmten Zeit (z.B. zwei oder drei Minuten) rückt der innere Kreis einen Platz im oder gegen den Uhrzeigersinn vor. Nun stehen sich andere Diskussionspartner_innen gegenüber und diskutieren die nächste Frage.

Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier: Kugellager

Perspektivenwechsel

Die Methode des Perspektivenwechsels oder auch des „in den Schuhen der anderen“ hilft gegenseitiges Verständnis zu fördern. Ein Perspektivenwechsel kann unterschiedlich gestaltet werden. Beispielsweise werden diverse persönliche Fragen ausgearbeitet und die Schüler_innen teilen sich in Zweierteams auf und stellen sich die Fragen gegenseitig. Dies wiederholen sie. Dabei steht das Verständnis für den Gegenüber im Vordergrund. Die Lehrperson kann mit Nachfragen und Fragen das Erfahrene mit den Schüler_innen sowohl fördern als auch aufarbeiten.

Handbuch für Methoden für das Vermitteln von sensiblen Lerninhalten

Podiumsdiskussion (Simulation)

Sehr gut für die Vermittlung und Diskussion von Inhalten geeignet ist die Simulation einer Podiumsdiskussion. Dabei spielen Schüler_innen Personen (z.B. bekannte Intellektuelle oder Politiker_innen) mit verschiedenen Positionen zu einem Thema und müssen dabei diese Position – und nicht die eigene – einnehmen und aus dieser Position heraus argumentieren und schließlich mit den anderen Podiumsteilnehmer_innen und dem „Publikum“, also den anderen Studierenden, diskutieren. Diese Form des Theaters zwingt dazu, sich in die Logik anderer Positionen als der eigenen hineinzudenken und sich mit inhaltlichen Fragen aus verschiedenen Perspektiven zu beschäftigen.

Statuentheater

Das Statuentheater ist eine weitere Form des pädagogischen Theaters nach Augusto Boal. Ziel ist es mithilfe von Körpern Realitäten als auch Wunschszenarien abzubilden und somit Veränderungsprozesse bildlich darzustellen. Ausgangspunkt ist ein Moment eines Interessenskonfliktes oder einer anderen sozialen Problematik. Die Teilnehmenden stellen dann „Statuen“ oder Bilder mit Körpern dar. Es ist ein interaktiver und gemeinschaftlicher Prozess, in welchem die Darstellungen analysiert und diskutiert werden können. Anschließend soll ein Wunschbild dargestellt werden. Durch welche Veränderung wird das Realbild zu einem Wunschbild? So kann herausgefunden werden, welche realen Schritte es braucht um die Ausgangssituation, die einen Konflikt darstellt, aufzulösen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten das Statuentheater durchzuspielen. Die Bilder können entweder in Gruppen oder einzeln dargestellt werden. Des Weiteren können die Teilnehmenden selbst ein Bild darstellen oder ein Bild mithilfe anderer Teilnehmenden darstellen. Nach dem Prozess des „Umformens“ der Bilder folgt eine Auflösung, welche mithilfe der Pädagog_innen stattfinden soll. Hierbei können unterschiedliche Leitfragen behilflich sein, wie zum Beispiel folgende: „Welche Schritte empfindet ihr als realistisch? Wie habt ihr das Formen und Umformen empfunden?“

Das Statuentheater kann auch als Vorbereitung für das Forumtheater dienen.

Weitere Informationen zum Statuentheater finden Sie hier: Statuentheater

Verschwörungstheorien entwickeln

Diese Methode ist gewissermaßen eine absurde Intervention, kann aber helfen die Absurdität populärer (z. B. antisemitischer) Verschwörungstheorien aufzuzeigen. Die Schüler_innen werden dazu aufgefordert sich im Unterricht eine möglichst absurde Verschwörungstheorie zu überlegen, welche, für alle einsichtig, völlig konstruiert und an den Haaren herbeigezogen ist. Danach erhalten sie als Hausübung die Aufgabe „Beweise“ für diese Verschwörungstheorie zu finden und möglichst schlüssige Belege für ihre Verschwörungstheorie zu finden. Diese werden dann in der Schule in Vorträgen vorgestellt. Damit kann aufgezeigt werden, dass durch entsprechende Manipulation und falsche Beurteilung von richtigen oder weniger richtigen Informationen, die z.B. im Internet kursieren, jede noch so abstruse Verschwörungstheorie vordergründig begründet werden kann. Da die Schüler_innen von Anfang an wissen, dass es sich dabei um absurde, selbst erfundene Verschwörungstheorien handelt, kann dies gegen populärere Verschwörungstheorien immunisieren.

World-Café (Diskussionsmethode)

Auch beim World-Café handelt es sich um eine Diskussionsmethode in Großgruppen. Diese ursprünglich von den US-Unternehmensberatern Juanita Brown und David Isaacs entwickelte Methode kann auch in Oberstufen an Schulen zum Einsatz kommen und wird heute in unterschiedlichsten Workshops weltweit eingesetzt. Ein World-Café funktioniert so, dass die Schüler_innen sich im Raum an Tischen mit vier bis fünf Personen verteilen. Die Tische sind mit beschreibbaren Papiertischdecken oder Plakaten belegt. Weiters liegen Stifte auf oder werden von Schüler_innen mitgenommen. Pro Tisch gibt es einen Gastgeber oder eine Gastgeberin. Diese bleibt jeweils auf dem Tisch, moderiert das Gespräch und sorgt dafür, dass die wichtigsten Eckpunkte der Diskussionen notiert werden. Die Schüler_innen rotieren dabei zwischen den Tischen um ständig in neuen Konstellationen aufeinanderzutreffen. So können zum Beispiel drei oder vier unterschiedliche Fragen bearbeitet werden. Nach jeder Frage erheben sich alle Teilnehmer_innen – außer den Gastgeber_innen –und verstreuen sich auf andere Tische. Der Gastgeber oder die Gastgeberin fasst zu Beginn kurz das zuvor Diskutierte zusammen und leitet das Gespräch ein. Am Ende berichten die Gastgeber_innen kurz dem Plenum über das Diskutierte. Für den Erfolg eines World-Cafés ist es sowohl entscheidend, den Ablauf und die Aufgaben der Teilnehmer_innen, insbesondere der Gastgeber_innen gut zu erklären, als auch gut bearbeitbare Frage zu stellen. Die Fragen sollen einfach und relativ offen formuliert sein um einen Diskussionsprozess in Gang zu setzen.

Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier: World Cafe

Materialien

für den Unterricht

Schulinterne

Lehrer_innenfortbildungen

Initiativen

Bezüglich weiterer Initiativen passend zum Thema – von Radikalisierung über Extremismus bis hin zu Medienkompetenz oder Demokratie – findet man untenstehend eine Auflistung. Während sich der erste Teil auf weiterführende Materialien und relevante, deutschsprachige Initiativen bezieht, betrifft der zweite europaweite bzw. internationale, weiterführende Informationen: